Fußball-WM:Die Größten zicken

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Rote Sonnenbrille, Zigarre und viel Ärger: Diego Armando Maradona, argentinischer Fußball-Held, verfolgt das Spiel seiner Nationalmannschaft gegen Island. (Foto: Carl Recine/Reuters)

Die Weltfußballer Ronaldo und Messi streiten mal wieder, wer von ihnen der Allerbeste ist. Das kann man albern finden wie die Sonnenbrille von Maradona. Doch es ist der Treibstoff, der die WM Richtung K.o.-Runde trägt.

Kommentar von Claudio Catuogno

Kurz vor dem Anpfiff der Partie gegen Island hatten die argentinischen Fans ihren Helden entdeckt. Ihre Nummer zehn! Den Erlöser! In einer Ecke des Vip-Balkons. Das war allerdings auch zu erwarten gewesen, schließlich hatte sich Diego Armando Maradona eine jener Sonnenbrillen aufgesetzt, die gar nicht erst dazu gedacht sind, sich dahinter zu verstecken. Sie hatte rot verspiegelte Gläser. Und weil auch im Moskauer Spartak-Stadion striktes Rauchverbot gilt, roch man die Zigarre, die Maradona sich genüsslich zwischen die Zähne gesteckt hatte, bis in den Fanblock.

Es ist interessant zu beobachten, welche Aufregung in einem Stadion entsteht, wenn Maradona gesichtet wird. So viel Anlass für Jubel hat Lionel Messi den Argentiniern am Samstag jedenfalls nicht geboten.

Diego Armando Maradona, um die Rauchschwaden mal ein wenig wegzuwedeln, hat in und nach seiner Karriere ein paar nicht sehr gut beleumundete Dinge getan, er hat gekokst und gedopt, er war mal fast tot, weil er es mit dem Leben so übertrieb, und einmal hat er eindeutig ein sehr wichtiges Tor mit der Hand erzielt, offen blieb nur, mit wessen Hand. Und die Rolle als Nationaltrainer, die man ihm schon antrug, kurz nachdem man ihn aus dem Dauerwachkoma geholt hatte, die füllte er auch eher im Stile eines Maskottchens aus; sogar Arne Friedrich schoss gegen seine Argentinier ein WM-Tor, 2010 in Südafrika.

Zum Vorbild im Wortsinne taugt Maradona sicher nicht. Aber gekickt hat er damals wie kein Zweiter. Weltmeister wurde er auch. Und im Fußball sind Aura und Mythos halt immer mächtiger als die schnöden Kriterien des Verstands. Und damit zu Lionel Messi und Cristiano Ronaldo.

Ronaldo? Drei Tore erzielt - Messi? Einen Elfmeter verschossen

Die beiden Hauptgötter des Gegenwartsfußballs sind unlängst beide knapp einer Haftstrafe entgangen - die in der Branche fast üblichen Steuergeschichten. Wer Vorbilder sucht, sollte sie wohl besser nicht im Fußball suchen, dafür ist schlicht zu viel Geld im Spiel. Doch das sind gerade allenfalls Nebengeräusche in Russland, da ist schließlich die Sache mit der Ziege!

Also, folgendes: Nach seinen drei Treffern für Portugal gegen Spanien am Freitag hat sich der stets penibel rasierte Ronaldo doch tatsächlich auffällig am Kinn gekratzt, als jucke dort ein veritables Hammelbärtchen - was ja nur eine Anspielung auf Lionel Messi sein konnte. Der hatte schließlich kürzlich für ein Magazin-Cover mit einem leibhaftigen Ziegenbock posiert, und die dazugehörige Schlagzeile lautete schlicht: GOAT. Englisch für Ziege. Aber auch die Abkürzung für "Greatest of all time", für den "Größten aller Zeiten". Beim Spiel der Argentinier gegen Island schaltete Messis Ausrüster tatsächlich eine Stadionwerbung mit dem Wort GOAT - dann hüpften ein paar lustige Zicklein über die Werbebande.

Aber auf dem Platz sieht es in Russland jetzt erst mal so aus: Der fünfmalige Weltfußballer Ronaldo hat drei Tore gegen Spanien erzielt. Und der fünfmalige Weltfußballer Messi einen Elfmeter gegen Island verschossen. Fortsetzung folgt. Wer würde da noch behaupten, dass die ewige Frage nach dem Besten der Besten doch eigentlich einen gewaltigen Bart hat?

Gut, man kann das schon auch albern finden, dieses selbstreferenzielle Getue, dieses ewige Wer-hat-den-größten-Gehaltsscheck. Andererseits ist es der Treibstoff, der so ein Turnier Richtung K.o.-Runde trägt. Denn wenn man sich nun nach den ersten Vorrundenspielen die Frage stellt, was wohl in Erinnerung bleibt von den ersten russischen WM-Tagen, was wäre das dann? Marokko gegen Iran? Eher nicht. Ronaldo gegen Messi? Eher schon.

In acht Jahren erinnert man sich womöglich wehmütig an Russland zurück

Gut möglich, dass die beiden Möchtegern-GOATs bei der WM in acht Jahren selbst hinter bunten Sonnenbrillen auf einem Vip-Balkon sitzen, in Edmonton, Dallas oder Guadalajara. Und auch gut möglich, dass man sich dann ein bisschen wehmütig an jene Zeit erinnert, als es das noch gab: Spanien gegen Portugal schon in der Vorrunde. Argentinien in der Bredouille schon in der Vorrunde.

Bei der WM in acht Jahren in den USA, Kanada und Mexiko wird es 16 Dreier-Gruppen geben, das dann mit Streichkandidaten auf 48 Teilnehmer aufgeplusterte Feld muss ja irgendwie auf 32 Teams reduziert werden, danach folgen noch mal 16 K.o.-Spiele, ehe die Achtelfinals beginnen. Für die Großen, das ist keine allzu gewagte Prognose, wird es dann noch leichter werden. Das Turnier wird berechenbarer. Bergziegen in der Tiefebene?

Vielleicht sollte man 2018 noch mal genießen. So gesehen passt Putins Russland als Gastgeber ja ganz gut zum Suchtrentner Maradona und zum Ziegengegockel der iberischen Über-Kicker. Man muss schon sehr viel ausblenden, um diesen Fußball zu ertragen. Aber die Geschichten, die er schreibt, sind halt gut.

© SZ vom 17.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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