Vergabe der Fußball-WM 2006:So soll der Schmiergeld-Trick gelaufen sein

Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer

Der Präsident des Organisations-Komitees der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, Franz Beckenbauer (rechts), und der heutige DFB-Chef Wolfgang Niersbach, bei einer Pressekonferenz 2004 in Basel.

(Foto: Walter Bieri/dpa)
  • Die Vergabe der Fußball-WM 2006 an Deutschland soll mit Geld des damaligen Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus gekauft worden sein.
  • Franz Beckenbauer und der heutige DFB-Chef Wolfgang Niersbach sollen davon gewusst haben.
  • Als Dreyfus das Geld zurückforderte, sollen die Zahlungen mit Tricksereien vertuscht worden sein.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Über den gesamten Donnerstag hatten Europas Spitzenfunktionäre in Nyon getagt. Es sollte um die Zukunft des suspendierten Frontmannes Michel Platini gehen, und viele Wortmeldungen in den Tagen und Stunden vor der Sitzung hatten den Schluss nahegelegt, dass der Franzose am Ende nicht mehr unumstrittener Uefa-Chef und Fifa-Präsidentschaftskandidat der Europa-Fraktion sein würde. Doch dann geschah: nichts. Die Gruppe versicherte Platini ihre Solidarität und zog still von dannen, auch Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), äußerte sich nicht. Dabei war er als heißer Anwärter auf eines der vakanten Spitzenämter in Uefa oder Fifa gehandelt worden.

Hatte die Zurückhaltung der Deutschen damit zu tun, dass sie wussten, welche brisanten Vorgänge auf sie selbst zukommen würden?

Der DFB weist die Anschuldigungen über Schmiergelder zurück

Am Freitagnachmittag veröffentlichte der Spiegel einen Artikel mit gravierenden Vorwürfen: Die Vergabe der Fußball-WM 2006 sei mutmaßlich gekauft gewesen. Das Bewerbungskomitee habe über eine schwarze Kasse verfügt, gefüllt vom damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus mit 10,3 Millionen Franken, um sich die Stimmen von Wahlmännern zu sichern. Eingeweiht seien "allem Anschein nach" (Spiegel) der Chef des Bewerbungskomitees, Franz Beckenbauer, spätestens seit 2005 der heutige DFB-Chef Niersbach sowie weitere Funktionäre gewesen.

Der Verband teilte in einer Stellung- nahme am Freitagabend mit, es habe beim DFB im Zusammenhang mit der Bewerbung für die WM 2006 keine schwarzen Kassen gegeben. Die Vorwürfe zielen allerdings nicht auf eine schwarze Kasse beim Verband, sondern beim Bewerbungs- beziehungsweise Organisations- komitee ab. Ebenso wies der DFB zurück, es seien in diesem Kontext Stimmen gekauft worden. Dementsprechend hätten weder der DFB-Präsident noch die anderen Mitglieder des Organisationskomitees in derartige Vorgänge involviert sein oder davon Kenntnis haben können.

Ein solcher Vorgang könnte allerdings zum Gesamtbild der damaligen Bewerbung passen. Das deutsche Sommermärchen 2006 war schon bald nach der Vergabe im Juli 2000 kein Märchen mehr, zu viele merkwürdige Vorgänge hatten sich in der heißen Bewerbungsphase ereignet und kamen nun hoch. In den vier asiatischen Ländern, aus denen Wahlmänner des Fußball-Weltverbandes stammten, gab es kurz vor der Abstimmung jäh vielfältige Aktivitäten durch die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft: Der Bundessicherheitsrat beschloss eine Waffenlieferung nach Saudi-Arabien, Daimler verkündete eine Allianz mit dem südkoreanischen Autohersteller Hyundai.

Robert Louis-Dreyfus

Robert Louis-Dreyfus war von 1994 bis 2001 CEO von Adidas und ab 1996 größter Anteilseigner bei Olympique Marseille. Er starb 2009 an Leukämie.

(Foto: picture-alliance/dpa)

Zudem schloss das Kirch-Fernsehimperium bemerkenswert gut dotierte Verträge in Ländern von vier Fifa-Vorständen ab, offiziell für die Vermarktung von Freundschaftsspielen, die gegen das deutsche Nationalteam und den FC Bayern ausgetragen werden sollten. All das krönte am Wahltag der Neuseeländer Charles Dempsey, der die Sitzung des Wahlgremiums vor der entscheidenden Abstimmung einfach verließ. Um das Flugzeug in die Heimat zu kriegen, wie er damals erzählte.

Tricksereien bei der Vergabe und den Zahlungen

Bald darauf kursierten Gerüchte, dass in der Nacht vor der Abstimmung noch werthaltige Koffer durchs Hotel manövriert worden seien. Vor ein paar Jahren machte Fifa-Präsident Sepp Blatter selbst in einem Interview mit dem Sonntagsblick eine klare Andeutung: "Gekaufte WM . . . Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ." Bei der angeblichen schwarzen Kasse soll es aber kurz vor der WM zu einem Problem gekommen sei: Dreyfuß habe, so schreibt der Spiegel, eine Wahlkampf- hilfe von umgerechnet 6,7 Millionen Euro wieder zurückgefordert. Deshalb sei im Organisationskomitee mit der Fifa ein Trick ersonnen worden, wie das zu betreiben sei: über einen deutschen Beitrag für eine zunächst geplante, später abgesagte Eröffnungsgala vor dem Turnier unter Regie von André Heller. Der seinerzeitige Fifa-Generalsekretär Urs Linsi schrieb im Januar 2006 an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, man müsse "schweren Herzens" auf die Gala verzichten, wegen der "ungelösten Rasenproblematik" im Berliner Olympiastadion. Als Weltfußballverband müsse man "in letzter Konsequenz den Sport schützen".

Zwölf zu elf: So lief die WM-Wahl

Die Fußball-WM 2006 wurde am 6. Juli 2000 in Zürich vergeben. Bei der Abstimmung setzte Deutschland sich in der dritten Runde mit zwölf zu elf Stimmen gegen Südafrika durch. In den ersten Durchgängen waren Marokko und England ausgeschieden. Aufsehen erregte die Stimmenthaltung des neuseeländischen Vertreters Charles Dempsey. Dieser war von seinem Verband eigentlich dazu aufgefordert, für Südafrika zu stimmen. Im Fall eines Remis hätte die Stimme von Fifa-Chef Sepp Blatter doppelt gezählt und wohl den Ausschlag für Südafrika gegeben. Was den 2008 verstorbenen Dempsey bewogen hatte, vor der finalen Runde den Raum zu verlassen, ist ungeklärt. Folgende 24 Mitglieder der Fifa-Exekutive waren in geheimer Wahl abstimmungsberechtigt:

Sepp Blatter (Schweiz), David Will (Schottland), Antonio Matarrese (Italien), Lennart Johannson (Schweden), Michel d'Hooghe (Belgien), Per Omdal (Norwegen), Senes Erzik (Türkei), Angel Maria Villar Llona (Spanien), Joseph Mifsud (Malta), Mohamed bin Hammam (Katar), Chung Jong-Moon (Südkorea), Abdullah Khalid Al Dabal (Saudi-Arabien), Worawi Makudi (Thailand), Julio H. Grondona (Argentinien), Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolas Leoz (Paraguay), Jack Warner (Trinidad & Tobago), Chuck Blazer (USA), Isaac David Sasso Sasso (Costa Rica), Issa Hayatou (Kamerun), Ismail Bhamjee (Botswana), Slim Aloulou (Tunesien), Amadou Diakite (Mali), Charles Dempsey (Neuseeland). Es gilt als wahrscheinlich, dass die acht Europäer für Deutschland votiert haben.

SZ

Sicher ist: Die Gala fand nicht statt. Die 6,7 Millionen Euro flossen dennoch.

Noch bevor die Vorwürfe publik wurden, hatte der DFB eine Mitteilung versandt. Darin teilte er mit, dass er aufgrund der Ermittlungen um die Fifa kürzlich ein internes Prüfverfahren rund um die WM-Vergabe 2006 begonnen habe. Dabei hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Stimmen gekauft worden seien. Jedoch seien "Hinweise bekannt geworden, dass im April 2005 eine Zahlung des Organisationskomitees der WM 2006 in Höhe von 6,7 Millionen Euro an die Fifa geleistet wurde, die möglicherweise nicht dem angegebenen Zweck entsprechend verwendet wurde". Diese habe nicht im Zusammenhang mit der Vergabe gestanden. Die Fifa sprach von "schwerwiegenden Anschuldigungen", die nun im Rahmen interner Untersuchungen geprüft würden.

Deutsche Kandidaten dürften keine Chancen mehr haben

Nicht nur die Ethiker des Weltverbandes dürften sich die Sache nun genau anschauen. Mit den Vorwürfen rund um die deutsche Weltmeisterschaft von 2006 ist nun endgültig unklar geworden, wie sich der internationale Fußball künftig aufstellt. Bewahrheiten sich die Vorwürfe über die schwarze Kasse, ist jedenfalls die Möglichkeit dahin, den deutschen Verbandschef Niersbach in ein führendes Amt zu hieven. Und ganz generell würden sich die Deutschen für lange Zeit schwertun, Kritik am Gebaren der internationalen Föderationen zu üben.

Uefa-Chef Michel Platini ist suspendiert und dürfte als Fifa-Präsident nicht mehr infrage kommen. Am Freitag rückte der englische Verband als erste wichtige europäische Fraktion offiziell von seiner Unterstützung für den Franzosen ab und erklärte dies mit neuen Belegen, die er bei dem Treffen in Nyon erhalten habe. Stattdessen bringt sich nun der asiatische Verbandschef Salman bin Ebrahim Al-Khalifa aus Bahrain in Position.

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