Fußball-Weltverband:Vorwürfe gegen Infantino

Miguel Maduro

Bedrängt: Miguel Maduro, Ex-Governance-Chef der Fifa.

(Foto: E. Uni. Institute/CC BY-SA 2.0)

Der Fifa-Chef soll im Fall Mutko gegen den eigenen Ethik-Code verstoßen haben. Dies berichtet der frühere Regel-Wächter Maduro.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, London/München

Die Offenbarung zündete in einem sehr gediegenen Ambiente. In Raum acht des britischen Unterhauses tagte am Mittwochmorgen der Sport-Ausschuss, zu Gast hatte er den aktuell wohl wichtigsten Portugiesen des Weltfußballs. Nicht Cristiano Ronaldo, sondern Miguel Maduro, 50, vormaliger Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof und bis Mai im Nebenamt Vorsitzender des Governance-Komitees beim Fußball-Weltverband.

Maduros Ausführungen bringen nun die aktuelle Fifa-Spitze um Präsident Gianni Infantino und Generalsekretärin Fatma Samoura in höchste Not. Der Jurist beschrieb in öffentlicher Sitzung nicht nur, wie tief Geringschätzung für und Missachtung von Regeln in der Fifa-Kultur wurzelt. Sondern auch konkret ein Verhalten des Duos, das gemäß Fifa-Statuten Aktivitäten des Ethikkomitees auslösen müsste.

Es geht um deren Einmischung in den Fall des umstrittenen russischen Funktionärs Witalij Mutko: In seinem Heimatland ist Mutko unter anderem Vize-Premier und Fußballchef. Zugleich saß er viele Jahre im höchsten Fifa-Gremium; bei der Neuwahl in Bahrain im Mai wollte er erneut ins Council einziehen. Doch Maduro, Chef des Wahlprüfungskomitees, sah darin einen klaren Verstoß gegen die Statuten: Die Regel 14 verbietet politische Einmischungen. Und gibt es eine größere politische Einmischung als die, dass ein Vize-Premier persönlich in das Fifa-Council einrückt?

Der Widerstand der Fifa-Spitze gegen den bevorstehenden Ausschluss des mächtigen Russen, dessen Land über den Energieriesen Gazprom sowohl die Fifa als auch die Uefa sponsert und der bei Abstimmungen öfter mal diskret die vielen Voten aus Osteuropa dirigiert, war laut Maduro enorm. Den Parlamentariern im Londoner Ausschuss schilderte der Topjurist, wie ihm der Fifa-Boss in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt habe, dass ihm ein Ausschluss Mutkos stark missfalle. Kurz darauf habe er dann einen Anruf aus Zürich erhalten. Generalsekretärin Samoura wollte bei ihm vorsprechen - es ginge um eine Angelegenheit des Präsidenten. Bei einem überfallartig organisierten Treffen in Brüssel, wo er selbst gerade beruflich weilte, sei er bedrängt worden, eine Lösung zu finden, damit Mutko wieder ins Council einziehen dürfe: Sonst drohe der WM 2018 in Russland ein Desaster - und Infantinos Präsidentschaft sei in Gefahr.

Auch bei einem weiteren heiklen Thema habe sich Infantino klar auf die Seite des russischen Vize-Premiers gestellt. Er habe gesagt, es gebe "keine Beweise" für dessen Beteiligung am dokumentierten Staatsdopingsystem. Indes ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen eine klare politische Verantwortung Mutkos, der damals Sportminister war - und in mindestens einem Fall sogar eine operative Beteiligung.

Maduro aber ließ sich nicht beirren. Er verwies auf das Fifa-Reglement und auf sein unabhängiges Amt - und schloss Mutko trotz aller Fürsprachen wegen politisch-sportpolitischer Interessenskonflikte aus. Danach, sagt der Portugiese, habe Infantino nie mehr mit ihm geredet. Und wenig später war er seinen Job los, nach nur zehnmonatiger Amtszeit. Mit ihm abgesägt wurden die beiden Ethik-Chefs Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert. Auch sie hatten sich durch diverse harte Urteile einen Ruf als strenge Instanz erworben.

Maduro beklagt bei der Fifa "ein System von Regeln - ohne eine Herrschaft des Rechts"

Ein Fifa-Boss und seine Generalsekretärin, die Einfluss auf eine unabhängige Prüfung nehmen? Das legt Verstöße gegen diverse Regeln des Ethik-Codes nahe. Experten verweisen im Kern auf zwei Aspekte. Regel 14 verlangt strikte politische Neutralität, Regel 19 regelt die Frage von Interessenskonflikten. Wäre Maduros Vortrag korrekt, hätten Infantino und Samoura durch eine Einmischung zugunsten des russischen Vize-Premiers sowie mit den dargelegten politischen Motiven dahinter klar gegen die beiden Vorschriften verstoßen.

Im vorliegenden Fall erscheint die Gesamtlage auch substanzieller als bei früheren Verdachtslagen gegen Infantino, etwa bei dessen umstrittenen Privatflügen. Insofern bezeichnet es ein in Ethik-Fragen kundiger Jurist sogar als "zwingend", dass Regel 83 des Ethikcodes angewendet werden müsse: Darin heißt es, dass bei einem Verdacht auf einen Verstoß gegen das Ethikreglement provisorische Maßnahmen wie eine Suspendierung möglich sind, wenn eine rechtzeitige Entscheidung im ordentlichen Verfahren zweifelhaft erscheint.

Die Fifa teilte mit, ein "Austausch" zwischen der Administration und den Komitees sei "logisch und sogar wünschenswert", so dass es faktisch inkorrekt sei, einen solchen Austausch als Einflussnahme zu beschreiben. Die neue Ethik-Chefin Maria Claudia Rojas beantwortete eine SZ-Anfrage nicht. Bemerkenswert war zudem: Neben Maduro hatten die britischen Parlamentarier auch den Ex-Chefermittler Borbely geladen. Der Schweizer hätte dafür gemäß Reglement eine Erlaubnis der Fifa benötigt - aber die erhielt er nicht.

Maduro sprach im Ausschuss von einem "System von Regeln ohne Herrschaft des Rechts", das bei der Fifa vorherrsche. Als ein Beispiel nannte er den Umgang mit der neuen Frauenquote. Demnach muss jede Konföderation mindestens eine Frau ins Fifa-Council entsenden. Im asiatischen Erdteilverband AFC gab es dann sogar vier Kandidatinnen - die durften sich aber nur um einen neu geschaffenen Quoten-Platz für Frauen bewerben, nicht um die anderen. Als Maduro auf Änderung des Wahlprozederes drängte, habe der Wahlleiter erklärt: Die Posten seien schon vergeben.

Solche Fälle gibt es laut Maduro in der Fifa zuhauf - und vor allem eine Kultur, die sich gegen unabhängige Geister im Governance- oder Ethikkomitee sträubt. Infantino habe sich dem angeschlossen, aus einem einfachen Grund: "Er entschied sich für sein politisches Überleben."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: