Fußball-Weltverband Fifa:Strafermittlungen gegen Blatter

"Treuwidrige Zahlung von zwei Millionen Franken": Die Schweizer Justiz führt nun auch den Fifa-Präsidenten persönlich als Beschuldigten. Das Geld soll Uefa-Chef Michel Platini kassiert haben.

Von Thomas Kistner, Zürich/München

Der Weltfußball verfällt endgültig in Schockzustand: Bereits am Donnerstag hat die Schweizer Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Fifa-Präsident Sepp Blatter eröffnet. Am Freitagnachmittag, nach Abschluss einer zweitägigen Vorstandssitzung in der Züricher Fifa-Zentrale, rückten dort die Strafermittler ein. Sie durchsuchten unter anderem das Büro des Weltverbands-Chefs und eröffneten ihm in Beisein seines Anwalts, dass gegen ihn ermittelt werde: wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung, möglicherweise auch der Veruntreuung. Zugleich gerät Michel Platini, Chef der europäischen Fußballunion Uefa, auf den Radar der Strafermittler. Blatter und Frankreichs ehemaliger Nationalheld Platini sind die höchsten Funktionäre im Weltfußball.

In einem Pressestatement von Freitag, 16.21 Uhr, listet die Bundesanwaltschaft gravierende Vorwürfe auf. Demnach besteht der Verdacht, dass Blatter "am 12. September 2005 mit der Caribbean Football Union (deren Präsident Jack Warner war) einen für die Fifa ungünstigen Vertrag abgeschlossen hat. Andererseits besteht der Verdacht, dass Joseph Blatter auch bei der Umsetzung des Vertrages in Verletzung seiner Treuepflichten gegen die Interessen der Fifa resp. der Fifa Marketing & TV AG verstoßen hat".

Blatter beschuldigt, Valcke suspendiert, der Weltverband ist führungslos.

Der seit 1998 amtierende Schweizer hatte seinem Vize Warner (Trinidad & Tobago) die Karibik-Fernsehrechte an den WM-Turnieren 2010 und 2014 für insgesamt 600 000 Dollar ausgereicht. Warner soll mit diesem Schnäppchen-Paket dann beim Weiterverkauf bis zu 20 Millionen Dollar erlöst haben. Überdies erhielt Warner die Karibik-Rechte bereits seit den Neunzigerjahren immer wieder zugeschanzt. Die amerikanische Justiz, die den weltweit angelegten Ermittlungskomplex um die Fifa seit 2010 betreibt und mit ersten Verhaftungen Ende Mai 2015 ins Rollen brachte, hat Warners Auslieferung beantragt. Am Freitag entschied ein Richter in Port of Spain, diese auf Dezember zu verschieben; er setzte eine Anhörung an.

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Michel Platini (rechts) würde gerne Sepp Blatters Nachfolger werden - aber nun bringt eine Millionenzahlung beide in den Fokus der Schweizer Justiz.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Derweil sagte ein Vertreter der Kanzlei McGuireWoods, die Blatter vertritt, der New York Times: "Wir sind zuversichtlich, dass die Behörden zu dem Schluss kommen, dass dieser Vertrag ordnungsgemäß vorbereitet und verhandelt wurde"; es habe "zweifellos kein Missmanagement gegeben". Dem steht neben früheren Aussagen Warners zum angeblich korrupten Hintergrund der TV-Deals ein Papier gegenüber, das die Fifa bereits als authentisch deklariert hat und in dem der vor Wochenfrist suspendierte Generalsekretär Jérôme Valcke dem Karibik-Funktionär Warner einen Vertrag aushändigt, den "P." ohne Wissen der "zuständigen Gremien" ausgereicht habe. "P" ist in der Fifa das Kürzel für den Präsidenten, der bis 2013 das Recht zur Einzelunterschrift hatte.

Zudem berühren die Strafermittlungen nun Platini, Blatters sportpolitischen Zögling. Und damit das Zentrum des Profibetriebs, der überwiegend in Europa stattfindet. Konkret teilte die Behörde mit: "Zudem wird Blatter eine treuwidrige Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken im Februar 2011 an Michel Platini, Präsident der Uefa, zu Lasten der Fifa vorgeworfen, angeblich für die zwischen Januar 1999 und Juni 2002 geleisteten Dienste."

Im Streit um die Mails des Generalsekretärs musste die Fifa auch klein beigeben

. Platini hatte Blatter bei früheren Wahlen stets unterstützt. Die wichtigste Rolle spielte der Franzose bei Blatters Inthronisierung im Jahr 1998, als der Schweizer auf massive Gegenwehr der Uefa gestoßen war. Erst mit der Wahlkampfhilfe Platinis, der damals Organisationschef der anstehenden WM in Frankreich war, wurde Blatter auch für andere Verbände attraktiver. Auch 2011 setzte Blatter auf die Unterstützung des langjährigen Zöglings, den er 1998 in die Fifa gebracht und 2007 mit an die Uefa-Spitze gehievt hatte. In jenem Wahljahr wurde Blatter von einem anderen früheren Gefolgsmann, Mohamed bin Hammam (Katar), im Präsidentenamt herausgefordert. Platini half damals erneut. Nun galt er selbst als Topanwärter auf den Fifa-Thron, der neue Chef soll bei einem Sonderkongress am 26. Februar 2016 gekürt werden. Aufgrund der klaren Vorwürfe der Bundesanwaltschaft muss aber nun auch die Fifa-Ethikkommission ermitteln. Das dürfte bald die Frage aufwerfen, ob Platini noch Kandidat sein kann.

Am Freitagabend stellte Platini "bezüglich der Zahlungen, die ich erhalten habe, fest, dass dieser Betrag mit meiner vertraglich vereinbarten Arbeit für die Fifa zusammenhängt. Ich bin froh, alle diesbezüglichen Angelegenheiten mit den Behörden geklärt zu haben". Das Statement lässt etwa die Frage offen, warum die Zahlung mit neunjähriger Verspätung erfolgt ist.

Blatter wurde am Freitag, nach Ende der Exekutiv-Sitzung, von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigter einvernommen. Auch Platini wurde zur Einvernahme gebeten, jedoch "als Auskunftsperson". Zudem nahmen die Behörden erneut eine Durchsuchung im Fifa-Hauptquartier vor. Razzien soll es zuvor auch in Privat-Immobilien Blatters gegeben haben; in der Westschweiz wurden mehrere Wohnungen amtlich versiegelt. Am Freitag hat die Bundesanwaltschaft weiteres "Datenmaterial sichergestellt". Man werde dazu "keine weiteren Kommentare abgeben, da es eine laufende Ermittlung ist", teilte die Fifa mit.

Vor Wochenfrist war Blatters langjähriger Vertrauter Jérôme Valcke als Generalsekretär nach "einer Reihe von Vorwürfen" freigestellt worden. Noch am Donnerstag wollte die Fifa der Bundesanwaltschaft den erbetenen Zugang zu Valckes Fifa-Mail-Accounts nur unter Auflagen gewähren. Stunden später, als die Nachricht durch die Welt ging, dass die Fifa den Strafermittlern Bedingungen gestellt habe, überbrachte der Weltverband plötzlich Valckes Mail-Verkehr seit Mai 2015 "aus eigener Initiative", so teilte die Bundesanwaltschaft noch am selben Abend mit.

Der Weltfußball ist führungslos. Das Fifa-Generalsekretariat ist nur interimsmäßig besetzt, Blatters formaler Stellvertreter, Afrika-Chef Issa Hayatou (Kamerun), ist schwer krank. Und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der am Freitag der Exekutivsitzung ahnungslos beigewohnt hatte, ist nur noch "fassungslos".

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