Fußball:Was die Absteiger von Stuttgart lernen können

Hannover 96 - VfB Stuttgart

Beim VfB Stuttgart ist es gelungen, aus den Verein nach dem Abstieg neu aufzustellen.

(Foto: dpa)

Von Christof Kneer

Sie sind am Sonntag alle eingeladen, die Stürmer Ottmar Hitzfeld und Dieter Hoeneß, die Mittelfeldspieler Hansi Müller und Hermann Ohlicher, die Abwehrspieler Karlheinz Förster und Bernd Martin, der Torwart Helmut Roleder. Die meisten von ihnen werden nicht mal aufwendig anreisen müssen, viele wohnen immer noch in Stuttgart oder um Stuttgart herum. Und den Trainer von damals, den muss man nicht mal einladen, der kommt sowieso.

Jürgen Sundermann, 77, Sternzeichen Wundermann, Aszendent Aufstiegsheld, sieht sowieso fast jedes Spiel von seinem VfB, in der Pressekonferenz sitzt er immer ganz links vorne, und hinterher umarmt er immer den VfB-Trainer. Das ist insofern praktisch, weil er bei der akribischen Ausübung dieses Rituals in den letzten Jahren viele neue Bekanntschaften hat schließen können, Sundermann hatte sie alle. Er hat Veh umarmt und Babbel und den sonderbaren Christian Gross, er stand beim smarten Labbadia und überlebte unverletzt die Gelegenheitsgrantler Zorniger und Stevens, und zurzeit umarmt er Hannes Wolf, als sei er immer noch Kollege.

Der Kollege Wolf ist Jahrgang 1981. Der Wundermann Sundermann hatte seine beste Zeit 1977.

Am 21. Mai 1977 ist der VfB Stuttgart mit den Helden von oben wieder in die Bundesliga aufgestiegen, am 21. Mai 2017 - auf den Tag genau 40 Jahre später - wird der VfB jetzt wohl wieder aufsteigen. Diese Analogie ist zu schön, um an Unschönes zu denken, etwa daran, dass ein Verein, der in den vergangenen Jahren so ein lustiges Trainerchaos veranstaltet hat, am letzten Spieltag gegen den Vorletzten Würzburg noch einen Vorsprung von drei Punkten und zehn Toren verspielen könnte.

Wenn jemand so was schafft, dann der VfB. Wobei: Der sogenannte neue, der seriöse VfB - der von Trainer Wolf und Sportchef Jan Schindelmeiser - wirkt eigentlich viel zu ernsthaft für solche Spinnereien.

Wolf ist heute 36, Sundermann war damals 37, Wolfs Aufstiegsmannschaft ist heute jung und begabt, Sundermanns Aufstiegsmannschaft war damals jung und begabt - muss Hannes Wolf also nächste Saison in der ersten Liga auch gleich Vierter werden, wie damals, vor 40 Jahren, der Wundermann Sundermann?

Jan Schindelmeiser, 53, muss schmunzeln, wenn er solche Analogien hört, und ihm gefällt es übrigens sehr, dass er derartigen Fragen in der Stadt selten begegnet. "Mein Eindruck ist: Die Leute haben ein gutes Gespür, sie erwarten von uns nichts Überzogenes." Abgesehen davon, dass man sowieso erst noch vollends aufsteigen muss - offiziell nehmen weder Schindelmeiser noch Wolf Glückwünsche an.

Eine These, die niemand im Fußball gerne hört

Kann ein Abstieg glücklich machen? Kann es sein, dass ein Verein sich nach einem Abstieg erneuert und nach einjährigem Sabbatical putzmunter zurückkehrt?

Es ist die alte steile These, die gerne um diese Jahreszeit kursiert, sie kursiert immer dann, wenn ein Großer abzusteigen droht, der VfB Stuttgart, der 1. FC Köln, die Hertha oder Eintracht Frankfurt - oder im Moment eben, wieder mal, der Hamburger SV oder, eher neu, der VfL Wolfsburg.

Wäre es also - so gesehen - nicht nur sehr verdient, wenn es den alten Sünder HSV endlich einmal erwischen würde, täte man ihm vielleicht sogar einen Gefallen damit? Weil er dann in sich gehen und bereuen könnte und als besserer Mensch wieder zum Vorschein käme?

Wer mit einem Klubverantwortlichen erstklassigen Ärger haben möchte, der kann ihm diese Frage stellen: Herr Soundso, ganz ehrlich, wäre ein Abstieg nicht was Tolles für ihren Verein? Eigentlich ist das ja wirklich eine bescheuerte Frage, denn so ein Abstieg bricht immer die Herzen der Fans, und immer kostet er unanständig viel Geld. Auf 50 Millionen Euro beziffert Schindelmeiser den Preis des Abstiegs, TV-Honorare und Sponsoreneinnahmen sinken, Eintrittskarten und Logen werden billiger. Trotzdem würde der Stuttgarter Sportvorstand die steile These inzwischen nicht mehr empört ablehnen.

In der 2. Liga kann vieles zusammenwachsen

Es komme immer auf die Art des Abstiegs an, sagt Schindelmeiser, "die Frage ist, ob ein Abstieg nur ein Ausrutscher war oder eben die Konsequenz einer jahrelangen Fehlentwicklung". Im zweiten Fall, der für den VfB gilt und sehr, sehr sicher auch für den HSV gelten würde, könne "ein Leidensdruck entstehen, der es möglich macht, endlich Dinge zu verändern".

Beim heute so seriösen 1. FC Köln hat sich rund um den Abstieg 2012 der Geißbock Hennes als einziger Mandatsträger im Amt halten können, alle anderen haben neuen, vernunftbetonten Menschen Platz machen müssen, und in Stuttgart haben sie 2016 die größte Kehrwoche seit Erfindung des Besens veranstaltet. Präsident Wahler, Sportchef Dutt, Trainer Kramny, sie alle hat es weggefegt, und der neue Sportchef Schindelmeiser hat ein paar Wochen später den Mut gehabt, den ebenfalls neuen, aber vor ihm in die Stadt gerufenen Trainer Luhukay wieder aus dem Amt zu entfernen. Luhukay wäre kein Erneuerer gewesen, er hätte sich mit ein paar heruntergewohnten Routiniers am Aufstieg versucht, und falls der VfB am Ende tatsächlich wieder in der ersten Liga gelandet wäre, hätte er gleich die nächste Renovierung nötig gehabt. Und wieder hätte man Abfindungen bezahlen und Spieler unter Marktwert hergeben müssen, wieder hätte man keine klare Identität gehabt und die Kehrwöchler auf der Haupttribüne hätten drauf gepfiffen, und die Spielerberater hätten ihren Talenten wieder gesagt, nein, zum VfB gehst du mir nicht, sonst kannst du ja gleich zum HSV.

Natürlich geht es nicht darum, nach einem Abstieg wahllos Menschen rauszuschmeißen, es geht darum, eine frische Idee zu haben und Menschen zu locken, die diese Idee verkörpern. Hannover 96 wird ein anderer, ein eher klassischer Aufsteiger sein, dort haben sie zwar auch viel Personal gewechselt, aber die Mentalität im Klub ist unverändert geblieben: Alles hört auf das Kommando von Klubchef Martin Kind und dessen Einflüsterern.

In Stuttgart dagegen hat sich der kommunikative Schindelmeister ausdrücklich um einen Politikwechsel und einen moderneren Tonfall bemüht. Er hat begabte Talente wie Mané, Asano, Brekalo oder Pavard in die Stadt geholt und ihnen Hannes Wolf an die Seite komponiert, ein Toptalent der Trainerszene. Und die Menschen in der Stadt haben schnell gespürt, was da läuft, heilix Blechle!, haben sie gedacht, die trauen sich was beim VfB, und wenn die Leute die Talente so spielen sehen, dann denken sie: Was isch'n da los? Unser Verein geht sogar gut um mit seinem Geld!

So kann sogar die zweite Liga - vorübergehend - Spaß machen: Man nutzt sie als kurzen Kuraufenthalt, man stärkt Geist und Seele mit Siegen bei Erzgebirge Aue, man erlebt kaum Niederlagen, die einem aufs Gemüt schlagen, und das Stadion ist immer voll. 50 000 werden es am Ende im Schnitt sein, das ist ein höherer Wert als beim FC Chelsea und bei jedem italienischen Erstligisten. In diesem Zweitligajahr sei zwischen Stadt und Klub "vieles wieder zusammengewachsen", hat der Stürmer Daniel Ginczek festgestellt.

Der VfB will jetzt unbedingt auch noch gegen Würzburg gewinnen, der Klub will weiter jene solidarische Stimmung bedienen, die er gerade so dringend braucht. Auf der Mitgliederversammlung am 1. Juni will der VfB seine Profiabteilung in eine AG ausgliedern, dafür braucht es sehr ambitionierte 75 Prozent Ja-Stimmen. Das wäre eine Story, die ins VfB-Geschichtsbuch gehören würde wie der Wundermann Sundermann: wenn das größte Projekt der Klubgeschichte nur gelingen würde, weil man vorher abgestiegen ist.

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