Fußball: 1860 vor der Insolvenz:Bangen um eine Kultmarke

Elf Millionen Euro Schulden, ein 3,5-Millionen-Loch bis Ende Mai - dem TSV 1860 München droht das Aus. Derzeit scheint der Verein nicht einmal die Gehälter für den laufenden Monat bezahlen zu können.

A. Burkert, G. Kleffmann und K. Ott

Als Christian Seifert kürzlich eine Dienstreise nach München unternahm, fuhr er zunächst zum FC Bayern. Der Chef der Deutschen Fußball Liga hatte mehrere Dinge zu bereden mit Vorstand Karl-Heinz Rummenigge, bei dieser Gelegenheit ließ er sich auch eine Einschätzung zur neuen Führung des wenige hundert Meter westlich beheimateten TSV 1860 München liefern.

Dorthin fuhr Seifert dann, um den neuen Präsidenten Dieter Schneider, 63, und Geschäftsführer Robert Schäfer, 34, kennenzulernen. Dem Vernehmen nach hörte er nur Gutes über die Herren, die seit Oktober damit beschäftigt sind, die Altlasten des Klubs zu sichten und das kleine Kunststück einer Sanierung hinzubekommen.

Doch nun sieht es so aus, als droht auch der anerkannte Sanierer Schneider an der Aufgabe zu scheitern: Der Fußball-Zweitligist, der im Oktober schon zwei Punkte wegen allzu kühn bei der DFL avisierter Einnahmen abgezogen bekam - er steht nach SZ-Informationen vor der Zahlungsunfähigkeit zum Saisonende. Allein für die Finanzierung bis Saisonende - also für die nächsten zwei Monate - wären jetzt wohl drei bis 3,5 Millionen Euro vonnöten. Bis heute ist unklar, woher das Geld kommen soll.

Die Altschulden summieren sich inzwischen offenbar auf rund elf Millionen Euro, und die Höhe des bis zum Saisonende 2011/12 erforderlichen frischen Geldes - von Investoren oder über neue Bankkredite - beläuft sich angeblich auf acht bis neun Millionen Euro.

Zuletzt hatten Schneider und Schäfer einen zehnprozentigen Gehaltsverzicht angeordnet - nach Lage der Dinge sei ungewiss, wie in zwei Wochen die nächsten Monatsgehälter bezahlt werden sollen. Am Donnerstag hieß es aus einem Vereinsgremium: "Wir hangeln uns von Woche zu Woche an der Insolvenz vorbei."

Die bevorstehende Insolvenz würde einen Absturz ins Amateurlager nach sich ziehen. Offenbar will die Klubspitze die Öffentlichkeit nun über die Szenarien vor dem Heimspiel an diesem Freitag gegen Karlsruhe informieren. Damit sich vielleicht doch noch ein Gönner meldet. Und um Transparenz zu schaffen. Schneider und Schäfer müssen dann wohl verkünden, dass wegen der Altschulden ein viel höherer Liquiditätsbedarf besteht als bisher angenommen. Und dass sich Investoren trotz der intensiven Suche bisher nicht fanden. Zudem, dass sich eine lange Zeit vielversprechende Bankenlösung, für die man alle Zusagen erhalten zu haben glaubte, in dieser Woche unerwartet zerschlagen hat.

Dem Profifußball droht damit der Verlust eines Traditions- und Kultklubs, was auch die DFL bedauern würde. "Natürlich sind große Vereinsmarken gut für die Liga", sagte DFL-Kommunikationsdirektor Christian Pfenning am Donnerstag: "Im Rahmen der Lizenzierung hat dies aber keinerlei Einfluss auf die Prüfung und Entscheidung." Denn letztlich würden "alle Klubs gleich behandelt". Dem FC Bayern wiederum droht der Verlust seines Arena-Mieters. Präsident Uli Hoeneß hatte nie einen Hehl daraus gemacht, vor allem wegen dieser Stadion-Geschäftsbeziehung an soliden Verhältnissen beim deutschen Meister von 1966 interessiert zu sein.

Zuletzt hatte der vermögende Lokalrivale den Löwen die Miete gestundet, dem Vernehmen nach wären diese zwei Millionen Euro im Juli an die Arena-GmbH fällig. "Wir haben uns bei Sechzig nur deshalb so engagiert, weil wir erstmals zu den handelnden Personen Vertrauen haben, besonders zu Herrn Schneider", sagte Hoeneß am Donnerstag der SZ. Für die Arena-Miete sind 4,5 Millionen Euro pro Jahr fällig, Bayern hatte auch hier längst Zugeständnisse angekündigt.

"Mit betriebswirtschaftlichem Denken nichts zu tun"

Das Sanierer-Duo der Löwen hat, seit sie im Januar spät einen von der DFL geforderten Liquiditätsnachweis über 5,3 Millionen liefern konnten, ungezählte Termine bei möglichen Investoren und Sponsoren gehabt. Alles umsonst. Dabei konnte 1860 der DFL und Geldgebern ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte vorlegen, in der es heißt, der TSV sei durchaus zu sanieren, binnen zwei bis vier Jahren. Dennoch, zu gewagt scheint bisher Geldgebern das Engagement bei dem Klub, der in den Jahren seit dem Bundesliga-Abstieg 2004 sein Image als Krisenklub souverän verstärkte. Die Vertrauensperson Schneider kommt vermutlich zu spät.

Mit Schäfer putzte er diese Woche die letzten Klinken, die sie noch entdeckten, nachdem eine entscheidende Bürgschaft für das Sanierungskonzept, das die Löwen am Montag im Lizenzantrag an die DFL schickten, nun ausbleibt.

Eine Umschuldung ist aber dringend vonnöten, um die bisher bestehenden Bankkredite ablösen zu können, die mit einem Zinssatz von sechs bis sieben Prozent zu Buche schlagen sollen. Private Forderungen werden offenbar sogar mit einem Satz von bis zu neun Prozent verzinst. Auch diese Konstruktion könnte nun das Aus beschleunigen.

Schneider und Schäfer drohen somit an den Fehlern ihrer Vorgänger zu scheitern, ebenso an der offenkundigen Ahnungslosigkeit der Aufsichtsräte. "Die Art der Vereinsführung hat hier mit betriebswirtschaftlichem Denken bisher nichts zu tun gehabt", hatte Schneider im Dezember nach Durchsicht der Bücher offenbart. "Es wurden Einnahmen vorgezogen und Ausgaben ins nächste Jahr geschoben", sagte Schäfer. Vermögenswerte hat 1860 nicht. Sogar die Fernsehgelder dieser Saison sind dem Vernehmen nach bereits verpfändet.

Nach seinem Amtsantritt im Oktober 2010 hatte Schneider zudem errechnet, dass der aktuelle, von Sportdirektor Miroslav Stevic zusammengestellte Kader des finanzschwachen TSV rund 3,5 Millionen Euro mehr kostet als etwa 2007. Damit lagen die Kaderkosten bei etwa zehn Millionen Euro. Auch zu Erstligazeiten war dieser Betrag nicht viel höher. Stevic' Personalpolitik ist intern auch deshalb umstritten, weil er viele große Talente wie Lars und Sven Bender (Leverkusen bzw. Dortmund) ziehen ließ.

Angesichts des aktuellen Szenarios dürfte nun wohl erneut jener Geschäftsmann und Spielerberater ins Spiel gebracht werden, der sich schon 2009 als Investor anbot, mit sieben Millionen Euro, allerdings verteilt auf mehrere Jahre. Der Deal wurde zurückgezogen - die DFL hätte vermutlich interveniert, da dem Investor zu viel Mitspracherecht eingeräumt werden sollte.

So soll der Berliner angeblich Einfluss auf die Besetzung der Managerposition verlangt haben. Stevic wurde damals zeitgleich installiert, Stefan Reuter musste gehen. Stevic, einst ebenfalls Spielerberater, wies die Vorwürfe einer möglichen Geschäftsbeziehung zum Investor zurück. Dem Vernehmen nach soll aber der Mann, den man sogar im Aufsichtsrat "nicht als den Partner" sieht, "mit dem wir in die Zukunft gehen" wollen, die nun so dringend und rasch benötigte Summe gar nicht stemmen können.

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