Fußball:"Viele Klubs wissen nicht, was ihre Spieler treiben"

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Uefa-Experte Peter Limacher über den Kampf gegen Spielmanipulationen und die riesigen Geldmengen, die mit Fußballwetten bewegt werden.

Thomas Hummel

Momentan herrscht wieder erhöhte Aufmerksamkeit bei Peter Limacher. Am Sitz der europäischen Fußball-Union Uefa in Nyon/Schweiz leitet Limacher die Disziplinarabteilung, die unter anderem zuständig ist für die Bekämpfung von Spielmanipulationen durch Wettbetrug. In dieser Woche beginnen die Qualifikationsspiele zur Champions League und zur neugegründeten Europa League, dem Nachfolge-Wettbewerb des ehrwürdigen Uefa-Pokals. Insgesamt sind 235 Klubs für die Europa League startberechtigt, und gerade die Unübersichtlichkeit von Qualifikationsrunden wirkt auf Manipulatoren verführerisch. Bekannt ist dies aus dem Uefa Intertoto Cup, kurz UI-Cup, der nicht zuletzt deshalb im Sommer 2008 abgeschafft wurde, weil er als chronisch verdächtig galt, ein Tummelplatz für Geldwäscher mittels Sportwetten zu sein. Uefa-Experte Peter Limacher äußert sich über den schwierigen Kampf gegen Spielmanipulation und die riesigen Geldmengen, die mit Fußballwetten bewegt werden.

Der Kampf gegen Spiel- und Wettmanipulationen im Fußball ist schwierig. (Foto: Montage: sueddeutsche.de)

sueddeutsche.de: Herr Limacher, immer wieder sind Spiele aus den ersten Runden der europäischen Wettbewerbe verdächtig.

Peter Limacher: Das Problem hat nichts mit dem Wettbewerb zu tun, sondern mit den teilnehmenden Vereinen und ihrem Umfeld. Aus diesem Grund haben wir die Überwachungsmaßnahmen für die kommende Saison noch verstärkt.

sueddeutsche.de: Nach einem Kongress der Fußballverbände zum Thema Spielmanipulation durch Wettbetrug im November hatten viele Beobachter den Eindruck, Uefa und der Fußball-Weltverband Fifa stünden dem Problem ratlos gegenüber.

Limacher: Dem ist nicht so. Seit 2005 haben wir ein umfassendes Überwachungssystem, das wir fortwährend ausgebaut haben. Die Uefa investiert inzwischen sehr viel Geld in die Überwachung von Spielen und den nötigen Untersuchungsapparat. Ab der kommenden Spielzeit werden wir nicht nur Uefa-Spiele überwachen, sondern auch die ersten zwei Ligen und Pokalspiele aller Länder beobachten. Da kommen wir im Jahr auf 29.000 Spiele. Aber es stimmt, dass auch wir erst lernen mussten.

sueddeutsche.de: Wie funktioniert das Überwachungssystem?

Limacher: Wir verfolgen die Preisentwicklungen auf den Wettmärkten. Auch in Asien. Dort steckt am meisten Geld im System, neun von zehn Manipulationsversuchen laufen über diesen Kontinent. Dann folgt unsere Plausibilitätsprüfung. Geht es mit rechten Dingen zu, wenn so viel Geld auf ein bestimmtes Ergebnis gesetzt wird? Im Übrigen betreiben wir in Zukunft eine Datenbank, verknüpft aus Spiel- und Wettdaten. Ziel ist die Erstellung individueller Profile für Spieler, Trainer und Verein.

sueddeutsche.de: Und wenn Sie Verdacht schöpfen?

Limacher: Wenn wir vor Spielbeginn aufmerksam werden, intervenieren wir. Das heißt, der Uefa-Delegierte geht in die Kabine zu den Mannschaften und sagt: Ihr werdet beobachtet! Wir hoffen, dass Spieler dann vorsichtig werden, sich umstimmen lassen. Wir wollen uns nicht Untätigkeit vorwerfen lassen.

sueddeutsche.de: Wie oft kommt so etwas vor?

Limacher: Wir haben das innerhalb der ersten zwei Jahre etwa zwölf Mal gemacht, in zwei Fällen zeigte das Wirkung. Bei den anderen änderte es nichts, da war wohl zu viel Geld im Spiel. Inzwischen greift diese Strategie aber ohnehin nicht mehr, weil die Manipulatoren heute erst wetten, wenn die Spiele schon laufen. Manchmal wird auch versucht, uns zu täuschen, indem vor einem Spiel hohe Wetten eingehen, die kurz vor Beginn wieder abgezogen und auf die andere Mannschaft gesetzt werden.

sueddeutsche.de: Was können Sie dann noch unternehmen?

Limacher: Es ist ein schwieriges Feld. Sportverbände können keine Hausdurchsuchungen oder Handy-Überwachungen anordnen, obwohl das in manchen Fällen opportun wäre. Man muss Beweismittel finden, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Der Fall Lim zeigte eindrücklich, wie akribisch solche Fälle untersucht werden müssen. Bei Herrn Lim endete das immerhin schon mal mit einer Verurteilung. ( Anm. d. Red: Der Malaysier William Bee Wah Lim wurde im Juni 2007 zu zwei Jahren und fünf Monaten wegen Verabredung zum gewerbs- und bandenmäßigen Betrug verurteilt, da er versucht hatte, Spiele in der deutschen Regionalliga und Österreichs erster Division zu verschieben. Lim kam gegen Kaution von 40.000 Euro frei und ist seitdem untergetaucht.)

sueddeutsche.de: Ihnen fehlt aber zumeist die juristische Handhabe, weil es das Delikt "Sportbetrug" in den meisten Ländern nicht gibt. Auch in Deutschland nicht.

Limacher: So ein Gesetz wäre ein großer Fortschritt. Um die Politiker dafür zu gewinnen, muss es noch ein, zwei große Fälle geben. Und diese werden kommen! Wir sehen die Dimensionen und die großen mafiösen Organisationen, die dahinter stehen. Der Fall des Schiedsrichters Robert Hoyzer hat ja in Deutschland einige aufgeschreckt. Vorher sind wir nur belächelt worden. Wettbetrug war ein Gentlemen-Delikt. Und Asien? Davon wusste niemand etwas. Aber ein Sportverband kann nicht gegen das organisierte Verbrechen vorgehen.

sueddeutsche.de: Mit den geltenden Gesetzen fühlen Sie sich in den meisten Fällen machtlos?

Limacher: Die Uefa ist ja strafrechtlich nicht geschädigt, sie verliert kein Geld, wenn eine Mannschaft mit Absicht verliert. Unsere Reputation und die Integrität unserer Wettbewerbe leidet, aber das genügt vor einem Strafgericht nicht zur Klageberechtigung. Zudem ist gerade bei europäischen Spielen der Ort des Vergehens strittig, die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen manchen Ländern kann ein Riesenproblem sein.

sueddeutsche.de: Aber die Uefa kann Vereine und Spieler sperren.

Limacher: Wir haben bislang drei Fälle verfolgt. Zuletzt wurde der mazedonische Klub FK Pobeda Prilep für acht Jahre für alle Wettbewerbe gesperrt, außerdem der Klubpräsident und der Kapitän der Mannschaft lebenslänglich. Wir konnten ihnen nachweisen, bei Manipulationen mitgewirkt zu haben, unter anderem bei einem Uefa-Spiel im Jahre 2004. Das ist der bisher größte Fall. Der griechische Klub Egaleo musste einmal 50.000 Euro Strafe zahlen, und ein weiterer mazedonischer Klub stand im Fokus. Dieses Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt.

sueddeutsche.de: Das sind drei Fälle, die bei Ihnen bearbeitet wurden. Wie groß ist die Dunkelziffer?

Limacher: Ich möchte mich nicht auf Spekulationen einlassen. Gerade in der Finanzkrise haben aber Vereine Probleme, Sponsoren zu finden. Wenn nun einem osteuropäischen Verein eine halbe Million Euro geboten wird, ein Spiel zu verlieren, ist die Versuchung groß. In vielen Fällen wissen die Klubs aber gar nicht, was ihre Spieler da treiben.

sueddeutsche.de: Das Problem ist in Europa nicht auf den Osten beschränkt.

Limacher: Überall besteht das Risiko von Manipulationen. Zuletzt haben wir dem schwedischen Verband eine Akte geschickt, weil eine Partie in der dortigen zweiten Liga sehr auffällig war. Es wäre falsch, wenn ein Verband sagen würde: Unsere Liga ist nicht betroffen. Nur um das Ausmaß zu verdeutlichen: Kürzlich fiel ein Spiel in Englands fünfter Liga auf, zu dem allein beim englischen Anbieter Betfair 700.000 Pfund eingingen. In Asien wurde das Spiel auch angeboten.

sueddeutsche.de: Sogar Englands fünfte Liga?

Limacher: Die großen Buchmacher dort sind Firmen mit Umsätzen wie Coca-Cola. Alleine auf das Champions-League-Halbfinale Liverpool gegen FC Chelsea wurden bei einem Buchmacher 48 Millionen Euro gewettet. Die großen Buchmacher sind seriöse, hochprofessionelle Unternehmen, die kein Interesse haben, ständig mit Manipulationen zu tun zu haben. Das Problem ist die enorm hohe Liquidität in Asiens Wettmarkt und das teilweise schmutzige Geld, das er anzieht. Vergessen wir aber nicht, dass es für ein geschobenes Spiel einzelner Akteure auf dem Spielfeld bedarf und diese Spielfelder nicht alle in Asien liegen, sondern überall. Es gibt in Asien bei weitem nicht nur mafiöse Strukturen.

sueddeutsche.de: Aber es gibt sie.

Limacher: Solche Summen ziehen natürlich Kriminelle an. Wir haben es ja auch mit Geldwäsche zu tun, wenn Leute gar nichts gewinnen, sondern durch Favoritentipps schmutziges Geld gegen sauberes tauschen wollen. Da werden manchmal gleich mehrere Agenten zwischengeschaltet, bis das Geld beim Buchmacher landet. Es ist unheimlich schwer, solche Geldströme zu verfolgen.

© sueddeutsche.de/SZ vom 03.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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