Fußball:Und Le God geht niemals fort

Zu Hause ist es doch am schönsten: Der Fußballer als Rückkehrer, Nestwärmer, Reisender und Heimatsucher. Sieben Schicksale in Bildern.

Christian Zaschke

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Zu Hause ist es doch am schönsten: Der Fußballer als Rückkehrer, Reisender und Heimatsucher. Sieben Schicksale in Bildern.

I. Singen

Carlos Caszely (rechts) war klein für einen Mittelstürmer, 1,67 Meter, aber was ihm an Länge fehlte, machte er durch Wucht wett. 1950 wurde er in Santiago de Chile geboren, und mit 17 debütierte er beim größten, beim wichtigsten Klub der Stadt und des Landes, bei Colo Colo. Er war ein phantastischer Stürmer, Carlos Caszely, alias "El Chino", alias "König des Quadratmeters" alias "Der Geschäftsführer".

Er gehörte zur legendären 1973er-Mannschaft von Colo Colo, die den wagemutigsten, romantischsten, offensivsten Fußball der chilenischen Geschichte spielte und beinahe die Copa Libertadores gewonnen hätte. Die Legende sagt, dass die Erfolge Colo Colos den Militärputsch in Chile hinausgezögert haben, bis zum 11.September 1973. Caszely war Anhänger Allendes, des vormaligen Präsidenten, was nach dem Putsch gefährlich war. In Deutschland ist er bekannt, weil er sich bei der WM 1974 bei Berti Vogts für ein Foul mit einem Foul revanchierte und als erster Spieler der WM-Geschichte die rote Karte sah.

Von 1973 bis 1978 spielte er in Spanien, bei UD Levante und Espanyol Barcelona, doch es zog ihn zurück nach Hause, nach Chile, zu Colo Colo, trotz des Diktators Pinochet. Bei der WM 1982 verschoss Caszely gegen Österreich einen Elfmeter. Hätte er getroffen, wäre Chile vielleicht weitergekommen. Bei seinem Abschiedsspiel am 12. Oktober 1985, gegen Universidad de Chile, verschoss er wieder einen Elfmeter, und die Menge im Stadion sang: "Die Bullen haben ihn erschreckt, die Bullen haben ihn erschreckt."

Die Bullen, das waren Pinochets Polizisten, und dieser Gesang war zutiefst subversiv. Für die Diktatur war das peinlich, denn die Partie wurde im Fernsehen übertragen. Sie fand im Nationalstadion statt, in dem nach dem Putsch Anhänger Allendes gefoltert worden waren. Nun sangen hier, zum Abschied und zu Ehren des großen Stürmers Carlos Caszely, die Menschen gegen die Diktatur an.

Foto: Imago

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II. Bleiben, Teil 1

Fußballer, die niemals ihren Verein verlassen haben, gibt es viele. Fritz Walter natürlich, der Angebote von Racing Paris und Atletico Madrid ablehnte, ersteres mit dem Satz: ,,Dehäm is dehäm.'' Sein Daheim war in Kaiserslautern.

Uwe Seeler, der immer in Hamburg blieb, obwohl ihm Inter Mailand 1961 ein Angebot über 1,2 Millionen Mark unterbreitete. Manuel Sanchís Hontiyuelo, genannt, Manolo Sanchís, der von 1983 bis 2001 bei Real Madrid spielte, wo selbstverständlich auch sein Vater Manuel Sanchís Martínez gespielt hatte, von 1964 bis 1971.

Und die Italiener. Mit einer gewissen Leidenschaft bleiben die Italiener - manche von ihnen zumindest - ewig lange beim gleichen Verein. Francesco Totti, geboren vor 32 Jahren in Rom, spielend für Rom, das er niemals verlassen hat und niemals verlassen wird. Für Rom spielen heißt natürlich: für AS Rom spielen.

Als er 15 war, kamen die von Lazio Rom und fragten bei den Eltern an, ob der Junge, der talentierte Herr Francesco nicht vielleicht, Sie wissen schon, und ein paar Scheinchen könne man schon lockermachen, ist ja klar, wie wär's? Mamma Fiorella erklärte in angemessenem Ton, dass man bei Tottis - einer anständigen Familie - seit sieben Generationen zu den Romanisti gehöre und selbstverständlich mit den Bauern von Lazio nichts zu haben wolle. Basta. Ach, Mamma Fiorella. Ohne Essen kann sie leben, sagt sie, und ohne Wasser und ohne Luft. Aber nicht ohne Francesco.

Und doch gibt es noch einen größeren Bleiber als Francesco Totti. Paolo Maldini, geboren 1968 in Mailand, spielte in der Jugend des AC Mailand und spielt seit 1984 bei den Profis des AC Mailand. Er hält selbstverständlich alle Rekorde, die man in Mailand halten kann.

Dass Spötter sagen, er habe den tiefen Teller nicht erfunden, ficht ihn nicht an, es perlt an ihm ab. Alles perlt an ihm ab, wie sonst sollte er so lange in Mailand bleiben, im Klub von Berlusconi? Spötter sagen zudem, Maldini verstehe gar nicht, was die Redewendung vom Erfinder des tiefen Tellers bedeute, und was Berlusconi bedeute schon gar nicht, aber das sind die Spötter, herrje. Paolos Vater Cesare Maldini spielte auch beim AC Mailand, aber nicht nur, und sein Sohn Christian Maldini spielt, tja, wo spielt er bloß? Ach ja, in der Jugend des AC Mailand.

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III. Streiten

Wie so viele wirklich große Talente, debütierte Johan Cruyff bereits als 17-Jähriger in der ersten Mannschaft seines Heimatklubs, bei Ajax Amsterdam. Das war 1964. Cruyff war ein phantastischer Fußballer, über den Franz Beckenbauer bemerkte: "Johan war der bessere Spieler." Da der Satz ein wenig unfertig erschien, fügte Beckenbauer noch an: "Aber ich bin Weltmeister." Eine herrliche Gemeinheit.

Cruyff war nicht nur der bessere Spieler, er war auch ein vollkommen neuer Spieler, weil er sich um die Gesetzmäßigkeiten des Fußballs nicht kümmerte. Er erfand eine eigene Position für sich, wobei das Wort Position ein wenig in die Irre führt. Er spielte überall.

Und an vielen Orten. Von Amsterdam ging er zum FC Barcelona, wo sie ihn bis heute wegen seines Fußballs verehren und dafür, dass er seinen Sohn nach dem katalanischen Nationalheiligen Jordi benannt hat. Dann spielte er in Los Angeles, Washington, Levante, und als die Zeit reif war, kehrte er zurück, nach Amsterdam zu Ajax.

So könnte die Geschichte in schönstem Kitsch zu Ende gehen, der verlorene Sohn, am Ende zu Hause, und so ließ sie sich auch an. Neben dem Talent zum Fußball hat Cruyff jedoch auch das Talent, sich mit allen und jedem zu verkrachen, so dass er Ajax nach zwei Jahren verließ und seine Karriere 1984 bei Feyenoord Rotterdam beendete, aus Amsterdamer Sicht: bei den Feinden.

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IV. Reisen

Lutz Pfannenstiel lehnte es 1993 ab, einen Vertrag bei den Amateuren des FCBayern München zu unterschreiben. Er war damals 20 Jahre alt, Torwart in der Bayernliga beim 1. FC Bad Kötzting, und anstelle des großen Klubs aus München wählte er die Penang Panthers. Erste Liga, das schon, aber in Malaysia. So hat es angefangen.

15 Jahre später hat Pfannenstiel sein Werk vollendet, indem er einen Vertrag beim Clube Atletico Hermann Aichinger in Brasilien unterschrieb. Südamerika hatte ihm noch gefehlt, er ist seitdem der einzige Fußballprofi, der auf allen Erdteilen unter Vertrag stand. Zwischen Malaysia und Brasilien liegen mehr als 20 Klubs und Hunderte Geschichten.

Diese zum Beispiel, aus Singapur: Ihm wurde vorgeworfen, drei Partien manipuliert zu haben, das war im Jahr 2000. Sein Klub, Geylang United, hatte zwei der Partien gewonnen, eine endete unentschieden. Der Vorwurf: Pfannenstiel habe zu gut gehalten. Klingt recht unterhaltsam, und erst riss Pfannenstiel im Gericht noch Witze. Ob er 100000 Dollar Kaution hinterlege, fragte der Richter. Pfannenstiel sagte: "Leider habe ich das Geld gerade nicht im Portemonnaie, aber ich schau mal schnell im Aschenbecher meines Autos nach."

Im Vergleich zu Richtern in Singapur geht die CSU als Spaßpartei durch, und so fand sich Pfannenstiel im Knast wieder. 101 Tage, das Klo ein Loch im Boden, heiß war es, 45 Grad. Das waren die miesesten Momente der Reise.

Der schönste kam am zweiten Weihnachtsfeiertag 2002. Dramatisch gesagt: Pfannenstiel starb an diesem Tag. Weniger dramatisch gesagt: Nach einem Zusammenprall mit einem Stürmer blieb er liegen, dritte englische Liga, sein Klub: Bradford Park Avenue. Sie versuchten, ihn wiederzubeleben, vergeblich, aus seinem Mund lief Flüssigkeit, mit dem Hubschrauber wurde er ausgeflogen. Im Krankenhaus wachte er dann einfach wieder auf.

Dramatisch gesagt: weil seine Reise noch nicht zu Ende war. Weniger dramatisch gesagt: Glück gehabt, aber ohne Glück geht es eben nicht. Wer so viel reist, kommt niemals an, weil's ihm ums Ankommen nicht mehr geht.

Foto: Reuters

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V. Bleiben, Teil 2

Es gab Menschen, die über Matthew Le Tissier (rechts) geflucht haben. Die es nicht mitansehen konnten, wie der Mann während seiner gesamten Karriere zu dick war. Wie er über den Platz trabte, wenn um ihn herum alles rannte, grätschte und den Rasen umgrub. Und das alles immer in Diensten des FC Southampton, dieses Witzklubs.

Sie fluchten, weil sie Le Tissier für den größten Verschwender von Talent hielten, den die Insel je gesehen hatte. Und es gab andere, die ihn liebten, weil er während seiner gesamten Karriere zu dick war, weil er über den Platz trabte inmitten des Rennens, Grätschens und Umgrabens, immer in Diensten des FC Southampton.

Diese zweite Gruppe nannte Le Tissier ,,Le God''. Das lag daran, dass er mit beiden Füßen gleichermaßen gut war, nämlich perfekt, und dass er so oft, wenn es wichtig wurde, einen unglaublichen Volleyschuss aus dem Nichts produzierte, der zu einem schönen Tor für den FC Southampton führte. Der AC Mailand wollte ihn, der FC Chelsea wollte ihn, so viele wollten ihn, doch Matthew Le Tissier wechselte 1986 von der Jugendabteilung des FC Southampton zu den Profis des FC Southampton, bei denen er bis 2002 spielte, wirkte, trabte und zauberte.

Was Le Tissier nie war: verbissen, ehrgeizig, bienenfleißig. Was er war: faul, begnadet, bodenständig, göttlich. Und immer bei sich.

Foto: Getty

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VI. Sehnen

Sein Leben lang stand Marco Ballotta im Tor. Und er war ein guter Torwart, er wusste einfach, wie man den Ball fernhält vom Netz, wie man ihn aus der Luft fischt, wie - ach, er wusste alles übers Torwartspiel, und er lernte beständig dazu. Bei Boca San Lazzaro, beim FC Modena, beim AC Cesena, dem AC Parma, bei Brescia Calcio, bei AC Reggiana, bei Lazio Rom, bei Inter Mailand - jaja, die ersten Adressen, - beim FC Modena, bei FBC Treviso und schließlich wieder bei Lazio Rom.

Das war 2005, 41 Jahre alt war Ballotta da, und er sollte den dritten Torwart geben. Wie schön, so auf die alten Tage noch ein bisschen dabei sein, morgens beim Training der Geruch von Gras, und keine Verantwortung. Dann verletzten sich Angelo Peruzzi und Matteo Sereni, die Torhüter, die zum Arbeiten da waren, und so stand Ballotta wieder im Tor.

Peruzzi verletzte sich immer wieder, ein neu gekaufter Torwart taugte nichts, Ballotta blieb im Kasten und wurde am 11. Dezember 2007 mit 43 Jahren und 252 Tagen der älteste Spieler, der bisher in der Champions League gespielt hat. 2008 reichte es Ballotta, er war über 44 bei seinem letzten Spiel in der Serie A.

Das heißt, so ganz reichte es ihm nicht. Er sagte: "Mein ganzes Leben lang musste ich meinen Kollegen beim Jubeln zuschauen, wenn sie getroffen hatten." In seiner Heimat heuerte er beim Achtligisten Calcara Samoggia an, als Mittelstürmer, und das fühlte sich an, als sei er, der Zeit seines Lebens so ein guter Torwart war, nach Hause gekommen.

Foto: dpa

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VII. Treffen

Wie so viele Fußballer, die nicht mit Talent im Übermaß gesegnet sind, musste Dean Windass (links) einige Umwege in Kauf nehmen. Zum Beispiel den über die Fabrik, in der er tiefgefrorene Erbsen verpackte. Mit 22 gab der in Hull geborene Windass 1991 dann doch noch sein Debüt als Profi für Hull City, und dann ging er auf Reisen.

In Aberdeen gelang es ihm, in einem Spiel drei rote Karten zu sehen, die erste fürs Foul, die zweite für die folgende Ansprache an den Schiedsrichter, die dritte fürs Zerstören der Eckfahne. In Bradford griff er einem Gegenspieler mit Wucht ins Gemächt.

Er war ein Trinker, der in Hotelzimmern randalierte, weil man das seiner Ansicht nach in Hotelzimmern so machte, er spielte da und dort, und immer schoss er Tore. 2007, nach 16 Jahren des Trinkens, Tretens und Treffens, kehrte er nach Hull zurück. Zunächst sicherte er den Klassenerhalt in der zweiten Liga. Am Ende der folgenden Saison, es war der 24. Mai 2008, erzielte er im Playoff-Spiel gegen Bristol City mit einem Volleyhammer das 1:0, es war der Siegtreffer, und Hull stieg auf in die Premier League.

Windass, der Held von Hull, ist nicht an Weihnachten geboren, das wäre an dieser Stelle zu viel des Guten. Sein Geburtstag ist der 1.April. Kein Scherz.

Foto: AFP Text: Christian Zaschke (SZ vom 24.12.2008/mikö)

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