Fußball: Trikot ausziehen:Adonis am Ball

Olic, Forlan, Ronaldo: Warum ziehen sich Fußballer nach entscheidenden Toren das Trikot aus? Und wieso ist es verboten? Eine sportsoziologische Annäherung.

Thomas Hummel

Ivica Olic, das ist unbestritten, hat sich einen fast perfekten Oberkörper antrainiert. Er entspricht dem allgemeinen Schönheitsideal. Wer hier das Fett sucht, der wird sich an den Bauchmuskeln den Fingernagel abbrechen. Das weiß nicht nur seine Frau Natalie, sondern das sahen Ende März auch 66.000 Besucher in der Münchner Arena, fast neun Millionen deutsche TV-Zuschauer und mehr als 100 Millionen rund um den Globus.

Ivica Olic Trikot imago

Ivica Olic, nach seinem Treffer gegen Manchester.

(Foto: Foto: imago)

Der Bayern-Stürmer aus Kroatien hatte im Champions-League-Hinspiel gegen Manchester United in der Nachspielzeit das 2:1 erzielt. Als der Ball im Tor lag, sprintete der 30-Jährige Richtung Spielfeldrand, riss sich das Trikot vom Leib, warf es gegen die Werbebande, blickte in die emphatisch schreiende Menge und spannte all die imponierenden Muskelfasern an. Die Mitspieler kamen, umarmten ihn, tätschelten ihn, die Fans jubelten.

Dann kam der Schiedsrichter Frank De Bleeckere und zeigte Olic die gelbe Karte. Das Trikotausziehen beim Torjubel ist verboten.

Eine gelbe Karte kann in einem langen Wettbewerb wie der Champions League dazu führen, am Ende für ein Finale gesperrt zu sein. Es ist deshalb durchaus möglich, dass der Bayern-Trainer und Disziplinfreund Louis van Gaal an jenem ManU-Abend ein wenig sauer war auf Ivica Olic.

Warum hat sich das Striptease-Jubel-Ritual trotz Verbotes und mahnender Trainer-Worte dennoch eingebürgert in der Kicker-Gesellschaft? Der letzte, der blank zog, war Diego Forlán von Atlético Madrid nach seinem Siegtor im Europa-League-Endspiel in Hamburg.

Die Spieler selbst tragen dazu kaum Erhellendes bei, weil "sie selbst nicht so genau wissen, warum sie das tun", vermutet Karl-Heinrich Bette, Professor für Sportsoziologie an der TU Darmstadt. Und wenn die Spieler das schon nicht wissen, darf munter spekuliert und interpretiert werden.

"Einerseits ist es Ausdruck der Freude, die Raum braucht und expressiv ausgedrückt werden muss. Die Spieler wollen etwas tun, laufen, springen - das Trikot schwenken", sagt Robert Gugutzer, Professor für Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität in Frankfurt. Doch weil das Phänomen des Trikotausziehens unter Fußballern erst seit etwa zehn Jahren in Mode ist, bestünde zudem ein Zusammenhang mit dem Zeitgeist des Körperkults. "Die Arbeit am Körper ist nicht bloß Selbstzweck, das will man auch zur Schau stellen", befindet Gugutzer.

Als Ur-Adonis der Kicker stellte David Beckham bis in diese Saison hinein gerne seine Tätowierungen zur Schau. Inzwischen ist er in der Abteilung Fußball-Model von Cristiano Ronaldo abgelöst worden. Der 25-jährige Portugiese verbringt nach Einschätzung einer Ex-Freundin mehr Stunden vor dem Spiegel als weibliche Schminkprofis. Als Hobby nennt Ronaldo: Sit-ups. Bis zu 3500 Stück sollen es pro Tag sein.

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Gelbe Karte als Ritterschlag

Wenn der Sportler dann vor tausenden Zuschauern zum Narziss wird, "wird der muskulöse Körper als ein Symbol der kraftstrotzenden Männlichkeit und Hypermaskulinität vorgeführt", glaubt Sportsoziologe Bette. Für den Darmstädter Professor kann das Entblößen auch als Zeichen an das Publikum verstanden werden, dass der Spieler "alles gegeben und nichts zu verstecken hat". Für seine ehrlich erbrachte Leistung erwarte er nun "seinen Lohn in Form einer Huldigung". Im Fall Olic funktionierte das vorzüglich.

Für den Kollegen Gugutzer kommt hinzu, dass der Fußball "eine sehr traditionelle Männerwelt ist". Das Zurschaustellen des nackten Oberkörpers sei in dieser Welt ein Zeichen: "Schaut her, was ich für ein toller Hecht bin!" Dass dies verboten ist, erhöht den Wert des Rituals. Sich gegen eine Regel aufzulehnen, die Inkaufnahme der Strafe beinhaltet eine heroische Note. Die gelbe Karte ist demnach "ein Ritterschlag, eine Auszeichnung", so Gugutzer. Bezeichnend auch, dass der Sünder Olic dem strafenden Schiedsrichter De Bleeckere noch lächelnd die Hand gab.

Stellt sich nun die Frage, warum das in Europa gemeinhin als harmlos zu bezeichnende Ritual auf dem Feld genauso bestraft wird wie das brutale Foul eines Boateng, mit dem er Michael Ballack die Bänder zerfetzte. Im Jahr 2002 beschloss das regelgebende Fifa International Board (IFAB), dass nur noch Spieler das Trikot beim Jubeln ausziehen dürften, wenn auf dem Hemd darunter keine religiösen, privaten oder politischen Mitteilungen standen. Das "I love Jesus" vor allem brasilianischer Profis war den Funktionären wohl ein Dorn im Auge.

Zwei Jahre später erging der Erlass, dass der nackte Oberkörper beim Jubeln generell nicht mehr geduldet werden könne. Die Regelhüter teilten mit, das Trikotausziehen sei nun als "unsportliches Betragen" zu ahnden. Dabei reicht es schon, wenn sich der Spieler mit dem Hemd sein Gesicht verdeckt. "Das Ausziehen des Trikots nach einem Tor ist unnötig. Solch übermäßiger Torjubel ist von den Spielern zu vermeiden", heißt es in Regel Nummer zwölf.

Da vier von acht IFAB-Mitgliedern von den ehrwürdigen Verbänden England, Schottland, Wales und Nordirland gestellt werden, liegt die Vermutung nahe, dass das Trikotausziehen dem britischen Sportsgeist widerspricht. Offiziell heißt es, dass es nicht mit den kulturellen Regeln einiger Fifa-Mitgliedsländer zu vereinbaren sei. Es gebe etwa "in islamischen Staaten in dieser Hinsicht Probleme", sagte 2004 der damalige Vorsitzende des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, Volker Roth.

Tatsächlich wunderten sich beispielsweise die Zuschauer des iranischen Fernsehens, dass nach dem Olic-Tor im Spiel FC Bayern gegen Manchester keine Wiederholung des Olic-Tores gezeigt wurde - sondern eine Wiederholung der ersten beiden Treffer. Solch ein austrainierter nackter Männer-Oberkörper ist im offiziellen Iran eben nicht so gern gesehen.

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