Fußball:"Sie haben mich wie einen Kriminellen behandelt"

Fußball: Schiedsrichter Daniele Minelli zeigt Sulley Muntari die gelbe Karte.

Schiedsrichter Daniele Minelli zeigt Sulley Muntari die gelbe Karte.

(Foto: AP)
  • Im Spiel bei Cagliari Calcio wird Sulley Muntari von Fans rassistisch beleidigt.
  • Er verlässt kurz vor Schlusspfiff das Feld, und der italienische Verband sperrt ihn zunächst für ein Spiel.
  • Auch wenn die Sperre wieder aufgehoben wurde, schaltet sich nun Fifa-Präsident Gianni Infantino ein.

Von Martin Schneider

Sulley Muntari deutete immer wieder auf seinen eigenen Arm, er war so wütend, dass er mit der rechten Hand fast schon auf seinen linken Unterarm schlug. Es lief die 88. Minute des Serie-A-Spiels zwischen Cagliari Calcio und Delfino Pescara, und Muntari stand direkt vor dem Schiedsrichter. Immer wieder deutete er mit der Hand auf den Unterarm und zeigte dann in Richtung der Heimfans von Cagliari, so dass jeder sehen konnte, worüber er sich beschwerte: Die auf der Tribüne, sie haben mich wegen meiner Hautfarbe beleidigt. Er weigerte sich weiterzuspielen.

Muntari ging bei der nächsten Spielunterbrechung wieder zum Schiedsrichter. Der zeigte dem Ghanaer die gelbe Karte, und weil Muntari das nicht fassen konnte, ging er Sekunden vor dem Schlusspfiff vom Feld - auf Videos hört man, wie Fans dazu Affenlaute machen. Bevor er in den Katakomben verschwand, stellte er sich noch mal vor die Tribüne, deutete auf seinen Arm und rief in Richtung der Cagliari-Fans "mio colore, mio colore" - das ist meine Farbe. Das Ergebnis: Weil er das Feld vorzeitig verließ, bekam Muntari nachträglich die gelb-rote Karte und wurde für ein Spiel gesperrt. Obwohl ein Berufungsgericht die Sperre wieder aufhob, ist der Fall nun zu einem Politikum geworden.

Fifa-Präsident Gianni Infantino nannte die Fans in Cagliari, die Muntari rassistisch beleidigt hatten, "Idioten", die man "bekämpfen" müsse. Der Schiedsrichter hätte in diesem Fall anders handeln sollen. Er hätte das Spiel stoppen und die Spieler vom Platz nehmen müssen. Infantino kündigte an, er wolle mit Italiens Verbandschef Carlo Tavecchio und auch mit Muntari sprechen. Die Weltverbands-Generalsekretärin Fatma Samoura sagte, die Fifa werde eine Ermittlung starten.

Der Weltverband reagiert erst nach Kritik entschlossen

Der Weltverband reagierte allerdings erst so entschlossen, nachdem Muntari die Fifa in einem Interview mit dem britischen Fernsehsender BBC scharf kritisiert und ihr Untätigkeit vorgeworfen hatte. "Fifa und Uefa nehmen Rassismus nicht ernst", sagte Muntari dort. Noch vor einer Woche drückte die Fifa in einer Mitteilung zwar ihre Solidarität mit Muntari aus, meinte aber, die Zuständigkeit für den Fall liege bei den italienischen Verbandsorganen. Die hatten unter der Woche noch mitgeteilt, sie könnten die Cagliari-Fans nicht bestrafen, weil ihrer Ansicht nach "maximal zehn Fans" involviert waren. Für eine Strafe müssten aber mindestens ein Prozent der Zuschauer beteiligt gewesen sein.

"Ich bin durch die Hölle gegangen. Sie haben mich wie einen Kriminellen behandelt", sagte Muntari vor der TV-Kamera. Wenn er wieder beleidigt werden sollte, würde er das Spielfeld erneut verlassen. Rassismus sei ein Riesenproblem in Italien. Viele schwarze Spieler hätten aber Angst, ihren Vertrag oder ihre Position zu gefährden, wenn sie sich wehren, sagte Muntari. Er ermutigte die Spieler, zusammenzustehen und im Zweifel zu streiken. Sein erst 20-jähriger Landsmann Godfred Donsah vom FC Bologna kündigte unter der Woche an, sich im Ernstfall mit Muntari solidarisch zu zeigen und nicht zu spielen.

Beschimpfungen gegen Benatia und Boateng

Muntari gilt bereits seit längerem als Profi, der Konflikte auch mal eskalieren lässt. Er flog schon dreimal aus der ghanaischen Nationalmannschaft, zuletzt vor dem letzten Gruppenspiel der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Dort soll er gegen einen Betreuer handgreiflich geworden sein, weil ein Prämienstreit eskalierte.

Dass der italienische Fußball allerdings seit Jahren ein Rassismusproblem hat, ist hinlänglich bekannt. Der ehemalige FC-Bayern-Spieler Medhi Benatia wurde am vergangenen Samstag bei einem TV-Interview über Kopfhörer als "Scheiß Marokkaner" bezeichnet. Kevin-Prince Boateng verließ bei einem Freundschaftsspiel mit dem AC Mailand vor vier Jahren nach Beschimpfungen den Platz, Mario Balotelli wurde wiederholt von Fans und Funktionären beleidigt. Muntari, der in seiner Karriere unter anderem auch für die englischen Vereine Portsmouth und Sunderland spielte, meinte, in England habe er keine solchen Beschimpfungen erlebt. "Rassisten haben in England Angst, sowas im Stadion zu machen, weil sie wissen, dass es nicht toleriert wird. In Italien ist das anders", sagte Muntari der BBC.

Nicht nur bei Fans ist Rassismus offenbar verwurzelt. Italiens Verbands-Chef Tavecchio, mit dem Infantino das Problem besprechen will, sagte zum Beispiel 2014: "In England schaut man sich Spieler genau an, wenn sie kommen. Sie müssen Lebenslauf und Stammbaum vorzeigen. Wenn sie Profis sind, dürfen sie auch spielen. Bei uns bekommen wir einen Opti Poba (Phantasiename, Anm. d. Redaktion), der vorher Bananen gegessen hat und dann plötzlich in der ersten Mannschaft von Lazio spielt". In der Debatte über die Konsequenzen aus Italiens WM-Vorrunden-Aus in Brasilien sprach er sich dafür aus, die Zahl ausländischer Spieler in der Serie A stärker zu regulieren.

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