Fußball:Schweinsteigers Abschied wird zum Staatsakt

  • Bastian Schweinsteiger verabschiedet sich tränenreich von der Fußball-Nationalmannschaft.
  • "Dieser Tag gehört neben dem Gewinn der Weltmeisterschaft zu meinen emotionalsten Momenten", sagt der Profi von Manchester United.
  • Bundestrainer Löw sagt, mit Schweinsteigers Abschied "richten wir den Blick nach vorne, und wir können uns auf die Zukunft freuen".

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Manchmal sind Fußballabende wie Musicals. Es wird gesungen, gelacht und geweint, und am Ende verneigen sich die Darsteller vor dem begeisterten Publikum. Im "König der Löwen", einem echten Musical, das zum Beispiel dem jungen Nationalspieler Julian Brandt sehr gut gefällt, wird in einem Elton-John-Lied vom "Circle of Life" gesungen: vom Kreislauf des Lebens.

Wenn etwas vergeht, erwächst woanders etwas Neues. Im Fußball ist das ähnlich. Wenn sich ältere Fußballer zur Ruhe setzen, kommen junge Talente nach und nehmen ihren Platz ein. Das ist der Kreislauf des Fußballs.

Am Mittwochabend, als Bastian Schweinsteiger beim 2:0-Sieg der deutschen Mannschaft gegen Finnland sein letztes Länderspiel gemacht hatte, als Tränen geflossen waren, die Fans seinen Namen gesungen hatten und eine besonders emotionale Stimmung entstanden war, da blieb Schweinsteigers langjähriger FC-Bayern-Kollege Thomas Müller mit einem gütigen Lächeln ziemlich gelassen und sagte, als sei es eine Textzeile aus einer Elton-John-Schnulze: "Es ist im Fußball nun mal so, dass immer wieder neue Gesichter zu sehen sind, weil das System weitergehen muss - aber das ist ja auch das Schöne in Deutschland: dass immer wieder junge Talente nachkommen."

Vielleicht muss man das Nationalmannschaftsende von Bastian Schweinsteiger genau so sehen: sentimental, rational und beruhigt zugleich, denn diese Nationalmannschaftskarriere war keine der verpassten Chancen und Hoffnungen. Schweinsteiger wird am Ende, wenn er mit dem Fußball einst ganz aufhört, von keinen Dämonen geplagt werden. 2014 ist er in Rio Weltmeister geworden, und um gut einzuordnen, welche emotionale Bedeutung sein Rücktritt aus der Nationalmannschaft nach zwölf Jahren am Mittwochabend für ihn hatte, konnte man ihn im Kabinengang des Mönchengladbacher Borussia-Parks sagen hören: "Dieser Tag gehört neben dem Gewinn der Weltmeisterschaft zu meinen emotionalsten Momenten."

38 Minuten vor dem Beginn des Freundschaftsspiels gegen Finnland war Schweinsteiger am Mittwoch als erster deutscher Spieler zum Aufwärmen aufs Feld gelaufen und hatte extrovertiert ins Publikum gewinkt. Er freue sich über jeden einzelnen Zuschauer, hatte er zuvor gesagt, aber dass er vor dem Spiel durch die Ränge ziehen würde, um jedem einzelnen die Hand zu schütteln, war trotzdem nicht zu erwarten gewesen. Also winkte er vom Rasen aus besonders freundlich und demonstrierte damit, wie sehr er sich auf diesen Fußballabend freute in lauer niederrheinischer Sommerluft.

Der Abschied war ein fußballerischer Staatsakt

"Deine Leidenschaft und Dein Kampfgeist haben die Mannschaft geprägt", stand auf einem langen Transparent im Oberrang, DFB-Präsident Reinhard Grindel würdigte ihn vor dem Anpfiff mit einer Ansprache auf dem Rasen, und Schweinsteiger weinte. Das Publikum applaudierte sehr, sehr lange, das gab Schweinsteiger die Gelegenheit, sich zu fassen, um ein paar wehmütige Worte des Dankes zu formulieren. "Es hat mir auch immer sehr viel bedeutet, für euch Fans zu spielen", sagte er und erntete einen Jubelsturm. Die Kamera, die sonst während der Nationalhymne die singenden Spieler abläuft, ist diesmal direkt beim Kapitän Schweinsteiger stehen geblieben zur Dokumentierung seiner letzten Hymne.

Als das Spiel begonnen hatte und lange keine großen Schauwerte bot, huldigte das Publikum (30 121 Menschen) dem scheidenden Kapitän mit Jubel bei jeder Ballberührung. Die großzügige und meist unergiebige Ballrotation im Mittelfeld half beim ungestörten "Schweini"-Zelebrieren. 67 Minuten lang durfte er spielen, dann wurde er ausgewechselt.

Seine Bemühungen, im 121. Länderspiel sein 25. Länderspieltor zu schießen, hatten sich in Grenzen gehalten. Als er um 22:16 Uhr den Rasen im Borussia-Park verließ, skandierten die Zuschauer minutenlang "Basti", und am Spielfeldrand wurden riesige Deutschlandfahnen geschwenkt. Es war ein fußballerischer Staatsakt, aber wer hoffte, der 32-Jährige würde Mönchengladbach in dieser Nacht winkend aus einem offenen Doppeldeckerbus verlassen, wurde enttäuscht.

Schweinsteiger wurde nach dem Spiel von seinen Teamkollegen noch auf dem Platz hochgeworfen, wie es sonst nur mit titelbringenden Trainern gemacht wird, und weil sie ihn alle wirklich gern mögen, haben sie ihn auch wieder aufgefangen. "Bemerkenswert waren für mich vor allem immer seine Menschlichkeit und seine Fairness", sagte der Bundestrainer Joachim Löw. Auf die Menschlichkeit und auf Schweinsteigers Tränen der Rührung zielte auch Thomas Müller ab, als er sagte: "Man hat gesehen, dass wir Menschen sind und Gefühle haben."

Löw bedankt sich bei Schweinsteiger

Löw betonte spät in der Nacht, "emotional sehr stark berührt" gewesen zu sein und machte dies auch daran fest, dass Schweinsteiger für ihn "eine wichtige Konstante" gewesen sei und dass er "dem Basti maßgeblich mit zu verdanken habe, dass wir in all den Jahren durchgängig so erfolgreich gewesen sind".

Allerdings, so schloss Löw, beginne nun etwas Neues, "mit Bastis Abschied richten wir den Blick nach vorne, und wir können uns auf die Zukunft freuen". Der Kreislauf des Fußballs macht auch vor Bastian Schweinsteiger nicht halt - oder jedenfalls nur für einen Abend. Aber dieser Abend wurde würdig gefeiert. Der Sieg gegen Finnland durch die Tore von Max Meyer und Mesut Özil war Nebensache. Erst am Sonntagabend in Oslo geht es um wichtige Punkte für die WM-Qualifikation. "Dieses Spiel", sagte Schweinsteiger lächelnd und gefasst, "werde ich mir im Fernsehen anschauen."

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