Fußball:Premier League fördert Herzattacken

Liverpool v Leicester City - Barclays Premier League

Die Liverpool-Spieler feiern den Siegtreffer gegen Leicester City.

(Foto: REUTERS)
  • Bei Manchester United wackelt Trainer Louis van Gaal, bei Chelsea ist mit Guus Hiddink gute Laune eingekehrt und bei Manchester City reden jetzt bereits alle über Pep Guardiola.
  • In der Premier League sorgen vor allem die möglichen Trainerwechsel für Diskussionen, aber auch die schwächelnden Spitzenmannschaften.
  • Hier geht es zu Ergebnissen und Tabelle der englischen Premier League.

Von Raphael Honigstein, London

Das traditionelle "Boxing Day"- Programm am zweiten Weihnachtstag hat den Trend der tabellarischen Abstumpfung in England bestätigt. Es gibt momentan keine echten Spitzenteams, dafür aber umso mehr Spektakel, ein improvisiertes Volksschauspiel mit zwanzig Kasperln auf der Bühne. In der Premier League kann jeder jedem jederzeit eins überbraten.

Manchester United

Manchester United Vor dem Auswärtsspiel bei Stoke City hatte Louis van Gaal mit strengem Blick eine Entschuldigung von den englischen Berichterstattern eingefordert. Diese hatten ihn unter der Woche im Anschluss an Manchester Uniteds dritte Niederlage in Folge (1:2 gegen Norwich) schon quasi entlassen. Nach Fiasko Nummer vier (0:2 bei Stoke City) am Samstag schien jedoch der Kampfesmut des Niederländers erschöpft zu sein. Tore von Bojan Krkic (19.) und dem Ex-Werderaner Marko Arnautovic (26.) hatten die abermals quälend langsam und uninspiriert auftretenden Gäste frühzeitig aus der Bahn geworfen.

Sein Team sei mit dem Druck und stürmischen Winden nicht zurecht gekommen, sagte der 64-Jährige im Britannia-Stadion betreten und deutete gar seinen Rücktritt an: "Es ist nicht immer der Verein, der mich feuert, manchmal tue ich das auch selbst. Aber ich werde davor zuerst mit dem Vorstand und den Spielern reden. Nicht mit Ihnen."

Offiziell wollte der auf Tabellenplatz sechs abgerutschte Klub mindestens bis zum Duell gegen den FC Chelsea an diesem Montag an dem meist fürchterlich selbstsicheren Fußballlehrer aus Amsterdam festhalten. Doch das historische Ausmaß der Krise - United ist seit sieben Spielen ohne Sieg, das hatte es zuletzt 1989 gegeben, als Alex Ferguson um sein Haar sein Amt verloren hätte - macht van Gaals Abschied wohl unabdingbar.

Seine spezielle Art der Menschenführung und ein rigides Positionsspiel waren im Old Trafford nie auf viel Gegenliebe getroffen. Ohne den gesperrten Bastian Schweinsteiger bot das im Sommer für 140 Millionen Euro verstärkte Team in Stoke eine Vorstellung, die man als Hilfeschrei interpretieren musste. Assistenztrainer Ryan Giggs stünde als Interimstrainer bereit; José Mourinho, erst jüngst beim FC Chelsea gefeuert, hätte den Job auch gerne. Dem völlig überforderten United-Geschäftsführer Edward Woodward wäre diese destruktive Personalie durchaus zuzutrauen.

FC Chelsea

FC Chelsea Trotzige "José Mourinho"-Rufe des Publikums blieben beim 2:2 gegen die Vorstadt-Truppe des FC Watford an der Stamford Bridge aus, vermutlich aus Rücksicht auf dessen allseits beliebten Nachfolger. Guus Hiddink hatte die Blues schon 2009 für ein halbes Jahr interimsmäßig übernommen und sympathisch zum Gewinn des FA-Pokals gecoacht, Ruhe und Menschlichkeit des 69-Jährigen tun den West- Londonern nach eineinhalb Jahren Dauer-Aggressionen unter Mourinho spürbar gut.

"Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein", sagte Hiddink vor dem Match mit einem verschmitzten Lächeln hinter seiner Goldbrille. Da er nun aber schon einmal da ist, hat er das im unteren Mittelfeld der Tabelle gestrandete Team mit großväterlicher Gelassenheit zu Fokussierung auf das Wesentliche ermahnt. Insbesondere Diego Costa, der kurzbehoste Gewalttäter im Angriff, trat ausnahmsweise tatsächlich nicht wild um sich, sondern den Ball zwei Mal kontrolliert ins Netz.

Das hätte - trotz des verschossenen Elfmeters von Oscar - zu einem lockeren Sieg gegen den Aufsteiger reichen müssen, doch zum einen ist Chelsea in der Defensive aktuell in etwa so stabil wie der am Samstag im Pressestübchen servierte Brotpudding (mit Vanillesoße), und zum zweiten ist Watford (Platz sieben) ein gutes Beispiel für die gestiegene Qualität der kleineren Teams.

Die in den Achtzigerjahren mit Unterstützung von Popstar Elton John erstmals in die erste Liga aufgestiegenen Hornets (Hornissen) werden seit 2012 von der italienischen Pozzo-Familie kontrolliert, die auch Udinese (Italien) und Granada (Spanien) besitzt. Eine gute Trainerwahl (Quique Flores) und cleveres Scouting haben den Kader Premier-League-tauglich gemacht; Top-Stürmer Odion Ighalo, 26, aus Nigeria würde mit seinen 13 Saisontoren auch prominenteren Teams gut zu Gesicht stehen.

Pellegrini nimmt die Guardiola-Gerüchte gelassen

Manchester City

Wie die Kollegen van Gaal und Hiddink coacht auch Manuel Pellegrini nur auf Abruf. Der Chilene hat immerhin das Glück, dass sein designierter Nachfolger Pep Guardiola erst nach Ende der laufenden Saison verfügbar ist. "Es kann sein, dass mir der Meistertitel helfen würde (im Amt) zu bleiben, es kann aber auch nicht sein", sagt der 62-Jährige. "Ob ich nächste Saison weitermache, ist mir momentan egal."

Man nimmt ihm den Gleichmut ab. In der Vergangenheit hat man Pellegrini seine ewig graue Regungslosigkeit oft zum Vorwurf gemacht, doch seit sich der Verein keine große Mühe mehr gibt, Pep Guardiolas Verpflichtung für die kommende Saison zu dementieren, kann sich der Klub keinen besseren Bank-Warmhalter wünschen.

City (Platz 3) gewann als einziger Meisteranwärter sein Weihnachtsspiel, ungefährdet mit 4:1 gegen Abstiegskandidat Sunderland. Der ehemalige Wolfsburger Kevin De Bruyne war mit zwei Vorlagen und einem Tor der beste Mann im Stadion, das wird übrigens auch Guardiola freuen. Der Spanier hatte, so hört man in der Stadt, City den Kauf des 24-Jährigen im vergangenen Sommer dringlichst empfohlen.

FC Liverpool

FC Liverpool "Früher oder später mussten wir verlieren, das ist schon okay", sagte Leicester- City-Coach Claudio Ranieri nach dem 0:1 in Liverpool entspannt. Sein Team hatte nach dem 3:5 gegen Arsenal im September keine Niederlage mehr erlitten; man wolle "wie Forrest Gump" weiter rennen, ohne groß nachzudenken, hatte Ranieri vor der Partie verkündet. Eine ähnlich simple Marschroute hatte aber auch Jürgen Klopp ausgegeben. Seine Elf trotzte mit simplen, flachen Bällen dem stürmischen Wind an der Anfield Road und hetzte jedem Ball nach. Das sonst so präzise konternde Leicester fand nie ins Spiel. "Wir waren zu nervös, ich weiß nicht warum", so Ranieri.

Klopp, der vor seinem ersten Boxing Day mit gebührender Vorsicht "zu viele Partien" im englischen Kalender moniert hatte ("So kann die englische Nationalelf keinen Erfolg haben, das weiß jeder") gelang der erste Sieg seit fünf Spielen. Der eingewechselte Christian Benteke sicherte mit seinem Tor (63.) drei Punkte, vergab aber in der Schlussphase so kläglich vor dem verwaisten Leicester-Kasten (Torhüter Schmeichel war in den Strafraum von Liverpool geeilt), dass dem Trainer das kalte Grausen ereilte: "Das ist natürlich Herzattacke." Am Ende des Schlussphasen-Irrsinns stand ein verdienter Heimsieg, der Chancen auf Platz vier lässt.

FC Arsenal

FC Arsenal TV-Moderator und Arsenal-Edelfan Piers Morgan hatte nach dem 2:1 der Gunners gegen Manchester City am Montag versprochen, seine langjährige Anti-Arsène-Wenger-Kampagne "bis zum Saisonende zu suspendieren". Das Gelübde währte nicht lange: "Wenger hat mein Weihnachten ruiniert, das ist so peinlich, was für ein Albtraum", fluchte Morgan nach dem 0:4 der Nord-Londoner in Southampton.

Arsenal hätte mit einem Erfolg die Tabellenspitze übernommen, doch Wengers Künstler zeigten sich mal wieder von ihrer fragilsten Seite. Sie verteidigten gegen die Saints, die Heiligen, unterirdisch und nahmen mit Ball nie Fahrt auf.

Wenger klagte aus guter Gewohnheit über "unglückliche Schiedsrichterentscheidungen vor den ersten drei Toren", an mangelnder Druckfestigkeit seiner Elf wollte der Elsässer die Horrorshow nicht festmachen: "Das Einzige, was zählt, ist die Qualität der Leistung, und die hat heute nicht gestimmt."

Piers Morgan und andere Zweifler fühlen sich bestätigt. Egal, wie turbulent und anarchisch diese Saison auch sein mag - mit einem Kollaps von Arsenal im Titelrennen ist auch 2015/16 jederzeit zu rechnen.

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