Fußball:O Louco und die Strolche

Lesezeit: 8 min

Der moderne Menschenhandel: Zwischen Europa und Südamerika werden Transfers abgewickelt, die die Behörden vor Rätsel stellen.

Von Javier Cáceres

Vor einem halben Jahr war Kia Joorabchian, 33, den Sympathisanten des SC Corinthians São Paulo ein Unbekannter. Doch seit der gebürtige Perser mit dem britischen Pass einen der beliebtesten Klubs Brasiliens mit Dollars unbekannter Herkunft betankt, werden ihm Säuglinge zum Abbusseln gereicht, fallen ihm alte Damen um den Hals: aus Dankbarkeit, weil er den Klub vor dem Untergang gerettet und talentierte Kicker gekauft hat - allen voran den argentinischen Nationalstürmer Carlos Tevez, 21, von Boca Juniors Buenos Aires für mindestens 16 Millionen Dollar. "Es ist großartig, wie die Leute mich behandeln, ich bin gerührt", sagt Joorabchian. "Doch ich habe nicht nach Zuneigung getrachtet, als ich mich bei Corinthians engagiert habe."

Es gibt einiges, was Joorabchian nicht beabsichtigt haben dürfte. Am wenigsten, dass sich Finanz- und Steuerfahnder aus mindestens sechs Nationen für ihn interessieren - vor allem aber für die Hintermänner von Media Sports Investment (MSI), einer rätselhaften Firma mit Hauptsitz in London, die Fußballtransfers abwickelt und der Joorabchian vorsteht. Mittlerweile haben Joorabchian und MSI mehr Agenten an den Hacken als Stürmer Tevez je Verteidiger hat abschütteln müssen. In Argentinien interessiert sich die Bundesverwaltung für Öffentliche Einkünfte (AFIP) ebenso für die Geschäfte wie die Einheit für Finanzinformationen (UIF) - eine Abteilung der Steuerverwaltung.

Der brasilianischen Zentralbank und der Sondereinheit für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität GAECO, die der Staatsanwaltschaft São Paulo unterstellt ist, bereitet MSI ebenso Sorgen wie den Kollegen in Portugal. Behörden in England, Russland und Georgien wurden um Amtshilfe gebeten. Gemeinsam gehen sie dem Verdacht der Geldwäsche und Steuerhinterziehung nach. Getätigt womöglich von Fußballfreunden, die sich in den Kopf gesetzt haben, aus Corinthians "ein galaktisches Team" zu machen, wie Joorabchian sagt. Doch ist er nur ein Strohmann? In jedem Fall ist er der Verwalter eines Fonds, in den Unbekannte ihr Geld einlegen. Doch wer?

"Wir haben Probleme, zuzuordnen, woher das Geld von MSI stammt und wer die Investoren sind", sagte der brasilianische Ermittler José Reinaldo Carneiro der portugiesischen Zeitung Diario De Noticias. Klar ist nur: "Es gibt bei diesem Fonds keinerlei Transparenz." Dafür aber Stoff für einen Finanzthriller: "Unsere Untersuchung kreist um zwei Strolche aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und ihre Investitionen in Brasilien", so der Staatsanwalt, es gebe "schwerwiegende Anschuldigungen, dass das Geld aus dem Drogen- und illegalen Waffenhandel stammt". Romeu Tuma, früher Interpol-Agent und heute Abgeordneter der sozialistischen Partei Brasiliens, ist sich sogar sicher: "Hier wird Geld der Russenmafia gewaschen."

Die Pressestelle des Fußball-Weltverbandes Fifa äußert sich nicht zu den seltsamen Neureichen, die da plötzlich global mitspielen wollen: "Wir sind nicht die Polizei." Der argentinische Fifa-Vizepräsident Julio Grondona sagte Página/12, dass er damit gerechnet habe, "dass das viele Geld, das in der Welt herumfliegt", früher oder später in Aktivitäten gesteckt werde, die nicht so streng kontrolliert werden. "Früher zahlten die Banken in der Schweiz gute Zinssätze, mittlerweile sind die gesunken. Daher haben viele ihre Depots aufgelöst - und in den Fußball investiert."

Der bekannteste Investor aus dem Osten ist Roman Abramowitsch, ein Russe, der im Energiegeschäft mit der Firma Sibneft zum Milliardär wurde. Rund 300 Millionen Pfund soll er laut englischer Quellen bereits in sein Hobby, den FC Chelsea, Tabellenführer in Englands Premier League und am Mittwoch Champions-League-Gegner des FC Bayern, gepumpt haben. Steckt er auch hinter jenem Fonds, der Talente über den Planeten verschiebt, wie nicht nur die spanische Sportzeitung AS vermutet? John Mann, der Sibneft-Sprecher, ließ ausrichten, dass man sich zu den Aktivitäten des pressescheuen Chefs nicht äußere: "Kein Kommentar."

So muss die vielleicht spannendste Geschichte, die den Fußball derzeit bewegt, ohne einen Hauptdarsteller erzählt werden. Noch ist es ein Rätsel, dessen Lösung von Kia Joorabchian gehütet wird. Die Folgen der von ihm gesteuerten Geldflüsse allerdings werden immer deutlicher, befördern sie doch die Schaffung eines neuen Marktes. Denn kaum ein südamerikanisches Talent blieb in den letzten Jahren auf dem Kontinent, die Klassespieler zog es nach Europa.

Bis MSI kam - und für Corinthians die Verpflichtung von Spielern ankündigte, die man bei Real Madrid, Juventus, Barcelona, Manchester United - oder eben Chelsea vermutet. Und für welche die notorisch klammen südamerikanischen Klubs gewöhnlich nicht einmal mitbieten würden: Tevez, Domínguez (Newell's Old Boys), Carlos Alberto (FC Porto), Roger (Benfica Lissabon) und viele andere. Zuletzt wurde Brasiliens Nationalspieler Gustavo Nery heimgeholt, der sich bei Werder Bremen nicht wohl fühlte.

Joorabchian und MSI vollzogen ihre Landung bei Corinthians im November 2004, mit dem Versprechen, die Schulden zu tilgen und über zehn Jahre hinweg Millionensummen in Zugänge zu investieren - in Dollar. Umgekehrt sollten die Gewinne aufgeteilt werden - 49 Prozent für Corinthians, 51 Prozent für MSI.

Doch hier schon ist es mit den Eindeutigkeiten vorbei. So erklärte MSI öffentlich, die ersten zwei Millionen Dollar, mit denen die Firma die Macht bei Corinthians übernahm, seien von Devetia überwiesen worden - einer Firma mit Sitz im Steuerparadies Virgin Islands. Die Zeitung Folha de São Paulo hingegen will unter Berufung auf Brasiliens Behörden in Erfahrung gebracht haben, dass das Geld von einem georgischen Politiker und Geschäftsmann namens Zaza Toidse stammt. Fragen über Fragen, vor allem eine: Wer steckt hinter MSI Brasilien?

"Einen wahren Wasserfall an Offshore-Firmen" mit diffuser Besitzer-Lage hat Staatsanwalt Carneiro ausgemacht, Firmen mit Namen wie Just Sports, GGAW, MSI Limited und Devetia finanzieren offenbar MSI Brasilien und damit Corinthians. Eine vierstündige Vernehmung Joorabchians in São Paulo brachte die Staatsanwaltschaft an diesem Donnerstag auch nicht weiter. "Wenn wir davon ausgehen, dass wir versuchen, den Ursprung der Gelder von Corinthians zu ergründen, hat es keinen Fortschritt gegeben", sagte Carneiro frustriert. "Wir sind einfach nur eine Investmentgruppe, wie es sie in der Welt zuhauf gibt", sagt wiederum Joorabchian, "die Investoren möchten diskret behandelt werden. Das ist alles."

Joorabchian lebt die Diskretion, von seiner Vita ist wenig mehr bekannt, als dass er als Kind nach der Revolution Khomenis mit der Familie nach England kam und dort aufwuchs. Laut der brasilianischen Zeitschrift Caros Amigos, einer auf Korruption spezialisierten Monatspublikation, unterhält Joorabchian im 5.Stock der Kingsway Road 72 in London Holborn gleich neun Firmen, unter ihnen MSI. Sie wurde im August 2004 gegründet - mit einem Startkapital von 100 Pfund und einem Eintrag im Handelsregister des Steuerparadieses Virgin Islands. Fakten, aus denen sich für den Experten Romeu Tuma, der es als Interpol-Agent einst bis zum Sicherheitschef bei einer Papstvisite in Brasilien schaffte, weitere Fragen ergeben: "MSI hat ein Firmenkapital von 300 Dollar. Aber nicht Joorabchian, sondern zwei Anwälte tauchen als Verantwortliche der Firma auf. Und dann wird ein Geschäft über 35 Millionen Dollar abgewickelt. Finden Sie nicht, dass man da misstrauisch werden kann?"

Fakt ist zudem: Joorabchian hat bemerkenswerte Freunde mit sehr viel Privatvermögen, das sie vor allem zu Zeiten gemacht haben, als es in Russland nicht leicht war, sauber zu Geld zu kommen. Boris Patarkatsischwilli zum Beispiel, der als reichster Mann in Georgien gilt. Er ist Präsident von Dynamo Tiflis, einem Verein, der derzeit wegen des mutmaßlich verschobenen und weltweit hoch gewetteten Uefa-Cup-Spiels gegen Panonios Athen in den Schlagzeilen ist: Endergebnis (5:2) und Halbzeitstand (0:1) sollen unter Eingeweihten in Georgien schon Tage vor der Partie bekannt gewesen sein. Auch Patarkatsischwilli, 49, ist im Zusammenhang mit MSI erwähnt worden - doch Joorabchian hat jede Beteiligung dementiert.

Verbindungen zu Corinthians gibt es dennoch. Dynamo erhielt von Corinthians den Zuschlag für den Spieler Rafael Silva - dieser wurde gegen seinen Willen nach Tiflis verschoben, kehrte aber umgehend zurück. Joorabchian beteuert, Patarkatsischwilli sei kein Investor, es gebe nur ein Transferabkommen zwischen den Vereinen.

Hartnäckig hält sich weiter die Vermutung, dass Boris Beresowskij, einst Berater des russischen Ex-Präsidenten Boris Jelzin und Geschäftspartner Patarkatsischwillis, hinter dem Fonds steckt. Seit seinem Bruch mit Wladimir Putin, der in einem Haftbefehl wegen Wirtschaftsdelikten sowie der Anschuldigung gipfelte, er sei in die Finanzierung der tschetschenischen Mafia verstrickt, lebt Beresowskij im Londoner Exil. "Er ist ein sehr, sehr, sehr enger Freund", sagt Joorabchian, "aber er ist zurzeit nicht im Fußballgeschäft involviert. Ich weiß nicht mal, ob er Fußball mag."

Das muss nicht viel heißen: Joorabchian gilt als perfekter Abwiegler, seit er Ende der Neunziger Jahre abstritt, im Auftrag Beresowskijs zu handeln. Damals war er zusammen mit dem ebenfalls aus Persien stammenden Reza Irani Kirmani aus dem Nichts als Käufer der russischen Zeitung Kommersant aufgetaucht - und hatte sie später an Beresowskij weiter verscherbelt. Ein klassisches Strohmanngeschäft. Auch jetzt tauchte Kirmani wieder auf. Staatsanwalt Carneiro Guimarães spricht in Brasilien von "Beweisen", dass Kermani die MSI-Konten kontrolliere - über eine Internet-Adresse. Kirmani bestreitet jede Verbindung. Wie auch Chelsea-Eigner Abramowitsch, der allerdings ein Interesse haben könnte, Talente bei Corinthians zu parken, und wenn nur, um sie dem Zugriff der Konkurrenz zu entziehen. Joorabchian beteuert, dass man "keine Links zu Roman" habe, "wir haben nicht mal mit ihm geredet".

So dürfte wohl nur Licht ans Netzwerk kommen, wenn die Ermittlungsbehörden ihre Recherchen abschließen. In Portugal, Brasilien und Argentinien konzentrieren sie sich auf drei Operationen: die Transfers der Profis von Tevez, Carlos Alberto und Roger zu Corinthians. "Die Gelder für die Transfers von Carlos Alberto und Roger kamen nicht aus Brasilien", heißt es bei den portugiesischen Ermittlern, "sondern aus einem Steuerparadies". Wie im Fall Tevez. Im Vertrag wurde vereinbart, dass Boca Juniors das Geld von Corinthians erhält, "oder wen auch immer Corinthians dazu beauftragen möge". Eine Anzahlung erhielt Boca von MSI, den Rest von einer "Firma mit ausländischem Namen", wie Bocas Vizepräsident Pedro Pompilio erklärte. Seine Glaubwürdigkeit ist angekratzt, seit er der Presse erzählte, das Geld für Tevez komme von einer europäischen Bank - das stellte sich als falsch heraus. Eingeschaltet wurde ein US-Geldhaus mit Filiale auf den Virgins, wie die Zeitung Clarín ermittelte. "Es ist nicht unsere Aufgabe, zu eruieren, woher das Geld von MSI kommt", sagte Boca Juniors-Präsident Mauricio Macri schnippisch. Seine Stimmung hat sich verschlechtert, weil er einräumen musste, dass sein Verein "nur" 16 Millionen Dollar für Tevez bekommen hat - und nicht, wie noch im Januar behauptet, 19,5 Millionen.

Das alles ist ein Krimi mit offenem Ausgang. Auch vor dem Hintergrund, dass Roberto Digón, früherer Vizepräsident Bocas, behauptete, Tevez sei ein Spielball Macris geworden. Dieser habe ihn gezwungen, nach Brasilien auszuwandern, "sie haben ihn sogar beschimpft, damit er von Boca zu Corinthians geht". Fügt sich eins zum anderen? Laut Página/12 hat die Holding von Macris Familie "geschäftliche Interessen in Russland und anderen Sowjetrepubliken". Die Einstiegsofferte für Teves, die der FC Bayern München 2004 abgab, lag mit 15,8 Millionen Dollar so nahe beim späteren Verkaufspreis, dass verwundert, dass Boca sich beeilte, Tevez für relativ wenig Geld loszuwerden.

Auch in Europa kommen undurchsichtige Transfers in Mode. Zum Beispiel in der Partnerschaft zwischen dem FC Porto und einer Gesellschaft namens Global Soccer Investment (GSI), die womöglich nicht zufällig eine Namensverwandschaft mit MSI aufweist: Zuletzt zahlte die Aktiengesellschaft FC Porto 1,3 Millionen Euro für 25 Prozent der Transferrechte an Luís Fabiano vom FC São Paulo - die Firma GSI die restlichen 75 Prozent. "Wir kennen den Generaldirektor des Fonds, aber wir dürfen seinen Namen nicht verbreiten", sagt Fernando Gomes von Champions-League-Sieger Porto. Ist GSI ein Tentakel von MSI?

Laufen gar alle Fäden beim FC Chelsea zusammen, der sich im Sommer problemlos beim Personal des FC Porto bedienen konnte? Werden Gelder gewaschen? Oder ist das alles nur ein James-Bond-verdächtiger Plot: eine Gruppe von Oligarchen kontrolliert über ihre Spielzeuge Corinthians, Chelsea, Porto, Dynamo Tiflis, ZSKA Moskau über hundert der talentiertesten Kicker der Welt?

Und: Wie geht es weiter? Kürzlich erklärte Augusto César Lendoiro, Präsident des spanischen Erstligisten Deportivo La Coruña, "der Gleiche, der Corinthians gekauft hat" habe Interesse an seinem Verein angemeldet. Kia Joorabchian streitet dies ab. Er wolle derzeit nicht in Europa tätig werden, er habe genug mit dem Aufstieg von Corinthians São Paulo zu tun. Den ersten Trainer hat er dabei schon verschlissen. Dieser wurde entlassen, weil er in einem Ligaspiel einen Elfmeter nicht von Carlos Tevez ausführen ließ. Joorabchian soll in der Kabine getobt haben. Seine Spieler haben ihm nun einen Spitznamen verpasst: O Louco. Der Verrückte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: