Fußball-Nationalmannschaft:Ständige Suche nach bester Gesellschaft

Trotz zahlloser Experimente hat Teamchef Völler ein eingespieltes Duo für den Angriff noch nicht gefunden.

Philipp Selldorf

Michael Ballack kann es nicht leiden, mit Stefan Effenberg verglichen zu werden, was weiß Gott gut zu verstehen ist. Dennoch ist der Vergleich gelegentlich schwer zu vermeiden. Dieser Tage im Lager der Nationalmannschaft zum Beispiel fühlt man sich wieder erinnert an vergangene Zeiten beim FC Bayern, als Anwesenheit oder Abwesenheit des Mittelfeldherrschers über den Gemütszustand der ganzen Mannschaft bestimmten. In Effenbergs Glanzzeiten sehnte man ihn und seine Kraft herbei, in den Ausläufern seiner Ära waren alle froh, wenn er nicht mitspielen konnte.

Über Ballack lässt sich sagen, dass alle seine Mitspieler im Nationalteam froh und glücklich sind, ihn in den EM-Qualifikationsspielen am Samstag auf Island (18.30 Uhr/ARD) und vier Tage später in Dortmund gegen Schottland (20.45 Uhr/ZDF) wieder bei sich zu haben, nachdem er im Länderspiel gegen Italien wegen einer Wadenmuskelverletzung hatte fehlen müssen. Ballack ist, im Gegensatz zu Effenberg, keine kontroverse Figur, ihm fehlt die Selbstherrlichkeit.

Unter den Kollegen ist seine Anerkenntnis allerdings schon so weit entwickelt, dass er manchmal Dinge sagen muss, die kein vernünftiger Mensch von sich geben würde. Am Abend vor der Abreise nach Reykjavik erklärte er zum Beispiel im Frankfurter Teamhotel: "Ich bin sicherlich nicht der Heilsbringer der Nationalmannschaft."

Mehr Spielkultur

Für manche Mitspieler mag diese Enthüllung eine echte Enttäuschung sein, denn mit Ballacks Rückkehr verbinden sich nicht nur hohe Erwartungen an eine Steigerung der Spielkultur. Einige Spieler und besonders die Stürmer spekulieren auch auf einen synergetischen Effekt, der sie selbst besser herausbringt.

Miroslav Klose etwa entwickelt beinahe (aber nur beinahe) Temperament, wenn er hervorhebt: "Es ist wirklich sehr wichtig, dass er wieder gesund und in der Mannschaft ist." Auf die Frage, wie oft ihm Ballacks Zuspiele zu Toren verholfen haben, antwortet er, nun wieder gewohnt tonlos: "Keine Ahnung, aber ich denke: Es war oft genug."

Viele Chancen, keine Tore

Bei der WM in Japan schoss Klose vier seiner fünf Tore nach Pässen von Michael Ballack - das ist in der Tat oft genug. Die Frage bleibt allerdings, ob durch Ballacks Rückkehr schlagartig die Probleme gelöst sind, die sich im deutschen Angriff wieder mal zu eröffnen scheinen wie einst in den Zeiten, als Carsten Jancker den Vorzug vor Oliver Bierhoff erhielt.

Besonders aufgefallen sind die Nöte zuletzt im Qualifikationsspiel auf den Färöer-Inseln und vor zwei Wochen im Testspiel gegen Italien. Beim 2:0 in Torshavn vergaben die deutschen Angreifer ungefähr ein Dutzend Gelegenheiten, und in Stuttgart sollen es sogar bis zu 300 Chancen gewesen sein, wie Torwart Oliver Kahn hinterher zornig rechnete. Gegen Italien setzte Rudi Völler zunächst Fredi Bobic und Oliver Neuville als Sturmspitzen ein. Bobic lief ziemlich wenig und richtete vor dem Tor gar nichts aus; Neuville lief enorm viel und hatte dann vor dem Tor keine Kraft mehr.

Dann kam endlich Klose ins Spiel und hatte prompt eine Hand voll exzellenter Möglichkeiten. Aber er schoss kein mal ins Tor, und darüber ist er immer noch tief betrübt. "Das war wirklich ärgerlich", sagt er mit dieser Stimme, für die man in einer Hotellobby voller gesprächiger Stewardessen und Flugkapitäne die Ohren ziemlich spitzen muss.

Selbstbewußter Klose

Klose mag zwar immer noch leise sprechen, aber er ist nicht mehr das unschuldige Talent aus Blaubach-Diedelkopf, das es als Schicksalsglück empfindet, ins Nationalteam eingeladen zu werden. Inzwischen hält er sich für die Nummer eins im deutschen Angriff ("Wenn meine Leistung stimmt, dann wird's für die anderen schwer, und dann glaube ich, dass ich auch spielen werde"), und die Krise seines Heimat- und Herzensklubs erklärt er, ganz der Profi, einfach für zeitweilig ausgeblendet.

"Kaiserslautern ist weit weg", sagt er - in Frankfurt, ein paar Kilometer entfernt. Beim FCK ist Klose mittlerweile stellvertretender Kapitän und richtet Appelle an die Mitspieler wie ein 33-jähriger Haudegen: "Wenn man einen Zweikampf verliert", so räsoniert er, "dann darf man nicht sagen: 'Das gibt's doch nicht, was ist denn mit mir los?' Sondern es muss heißen: 'So, jetzt zeig ich dir's erst recht.'".

Lauth in der U21-Nationalelf

Auch der Nachwuchsstürmer Kevin Kuranyi und Benjamin Lauth hat sich Klose wie ein Routinier angenommen. Über Lauth hat er kürzlich generös bemerkt: "Er ist ein guter Stürmer, und er wird seinen Weg gehen." Diesmal aber führt Lauth der Weg wieder nur zur U21-Nationalelf, bei der er im Schichtwechsel mit Kuranyi aushelfen muss. Lauth und Kuranyi, in der Bundesliga noch torlos (wie Bobic), genießen beim Teamchef ein eher oberflächliches Vertrauen. Auch darin drücken sich die Probleme im Angriff aus, und Fredi Bobic ahnt dank seiner Erfahrung, wohin ihn das bringt: Auf die Ersatzbank. Oliver Neuville verspricht in Reykjavik gegen Islands Hünen mehr Vergnügen.

Miroslav Klose wird ohnehin wieder in der ersten Elf stehen, doch wen hält er eigentlich selbst für seinen besten Gesellschafter im Angriff? "Ach", sagt er, "das sind alles gute Stürmer, und ich komm' wirklich mit jedem zurecht." Und die Hauptsache bleibt, dass Michael Ballack wieder mitspielt.

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