Fußball: Nationalmannschaft:Das Tragwerk wackelt

Die gegenwärtige Gemengelage im DFB kostet Bundestrainer Joachim Löw viel Kraft. Dabei sorgt ihn am meisten der Sport - die Öffentlichkeit erwartet nichts weniger als den WM-Titel.

Philipp Selldorf

Fernsehzuschauer, die sich am Mittwoch das Pokalduell zwischen Schalke und dem FC Bayern angesehen haben, mussten sich während der Halbzeitpause über den Bundestrainer wundern. Joachim Löw moserte im Interview ohne Umweg drauflos und beschwerte sich über die Qualität der Vorführung ("Das Spiel ist schlecht!") und des Schalker Rasens. "Es ist eine Zumutung, den Zuschauern solch einen Platz anzubieten", protestierte Löw wie ein verärgerter Gebührenzahler. "Nanu?", dachte in diesem Moment mancher Betrachter: Ist das wirklich der freundliche Herr Löw aus Freiburg im lieblichen Breisgau?

Die schlechte Meinung vom Spielfeld hatte Löw bekanntlich nicht allein, doch derart dezidierte, unumwundene Spontankritik entspricht nicht seiner Art. Aber Löw hatte sich offenbar auf diesen Abend gefreut, "ein spannendes und attraktives Spiel" und "einen Abend mit Emotionen und Leidenschaft" hatte er prophezeit. Er war deshalb mit seinem gesamten Stab ins Ruhrgebiet gekommen, Torwarttrainer Andreas Köpke, Assistent Hansi Flick, Teammanager Oliver Bierhoff.

Doch das Spiel war aus der Sicht des Ästheten Löw keineswegs attraktiv, es war vielmehr typisch: Dem zähen Ringen der Teams musste ein niederländischer Gaststar mit einem Sololauf das Ende setzen. Ansonsten hatte der Bundestrainer nicht viel Erhebendes von seinen Leuten gesehen. Lahm, Schweinsteiger und Westermann bedienten ihre Rollen, der junge Müller war eher selten, der Routinier Klose fast nie zu sehen.

Schneller genervt

Immerhin: Schalkes Torwart Manuel Neuer hinterließ einen starken Eindruck, und auch die Nummer 22 in Königsblau imponierte. Den Direktvergleich mit Klose gewann Kuranyi ungefähr 10:0, und sicherlich war Löw froh darüber, dass er nach dem Spiel kein Interview mehr geben musste. Die Frage nach Kuranyi wäre unausweichlich gewesen, und unter den vielen gleichlautenden Fragen, die ihm derzeit gestellt werden, mag er die nach dem verbannten Schalker Mittelstürmer besonders wenig leiden.

Leute, die in diesen Tagen öfter mit ihm zu tun haben, sagen nicht, dass Löw schlechte Laune hat. Sie sagen, dass er derzeit schneller als üblich dazu tendiert, emotional, genervt und eher unbeherrscht zu reagieren. Dass diese Neigung mit der pompös gescheiterten Vertragsverlängerung beim DFB zusammenhängt, ist eine naheliegende Vermutung. Aber nach dem großen Krach mit der Verbandsführung hat sich der Kontakt zum Präsidenten Theo Zwanziger und zum Generalsekretär Wolfgang Niersbach wohl wieder verbessert, weswegen es angeblich auch noch keine ausgemachte Sache ist, dass er seinen Posten nach der WM verlässt - unabhängig von Teammanager Bierhoff, der im DFB keine Zukunft mehr zu haben scheint.

Dass Löw, wie zum Teil mutwillig verbreitete Gerüchte behaupten, unmittelbar nach dem Turnier ein neues Kapitel beginnt und ein Klubengagement annimmt - zum Beispiel beim Hamburger SV oder beim VfL Wolfsburg -, gilt dagegen als sehr, sehr unwahrscheinlich. Eher ist es wahrscheinlich, dass er dann eine Pause einlegt. Die gegenwärtig herrschende Gemengelage kostet ihn viel Kraft; es geht dabei aber weniger um die DFB-Funktionäre oder um Mutmaßungen über seinen potentiellen Nachfolger Matthias Sammer. Sondern um die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit, die von ihm nichts weniger als den WM-Titel verlangt, während zugleich jeder erkennt, dass das Tragwerk seiner Mannschaft wackelt.

Löw selbst hat kürzlich erklärt, es gehöre doch "zu den ganz normalen Abläufen vor jedem Turnier dazu, dass eine gewisse Anspannung und Unsicherheit herrschen". Er hat das nicht nur auf sich und seine Arbeit bezogen, sondern auch auf die wenig erfreulichen Diskussionen um den Schauplatz Südafrika, die von toten Fröschen im Pool des Teamhotels bestimmt wird und von der vermeintlichen Notwendigkeit, beim Ausgang schusssichere Westen tragen zu müssen.

Dazu kommt der Einfluss des sogenannten Umfeldes: "Wir lassen uns nicht beunruhigen, wenn Berater oder Vereine ihre Spieler ins Gespräch bringen", hat Löw versichert, nachdem sich Torwarttrainer Köpke drei Tage lang ein verbales Fernduell mit Michael Ballacks Berater Michael Becker geliefert hatte. Becker hatte moniert - diesmal im Dienst seines Klienten Roman Weidenfeller -, dass der DFB-Trainerstab und vor allem der Fachbeauftragte Köpke den Leistungsvergleich auf der Torwartposition eingestellt hätten. Löw wischte die fortgesetzte Debatte ärgerlich beiseite. Die Torwartfrage ist geklärt, findet er. Es passt bloß in die unruhige Zeit, dass Rene Adler just nach der Beförderung zur Nummer 1 das erste Tief seiner Karriere durchmacht.

Die größten Sorgen macht sich der Fußball-Lehrer Löw ohnehin um den Sport. Seine Mannschaft hat seit der geglückten WM-Qualifikation die Konturen verloren, ihr fehlt die innere Stabilität, und Löw kann nicht erkennen, dass die Spieler in der Schlussphase der Saison Punkte fürs Turnier sammeln. Auf gute Nachrichten seiner Angreifer Klose, Podolski und Gomez wartet er bereits seit Saisonbeginn. Er sieht, wie der Musterschüler Hitzlsperger in Italien den Anschluss verloren hat, und wie Kapitän Ballack beim FC Chelsea in den grauen Hintergrund zu geraten droht. Und auf der Suche nach Ballacks Partner im Mittelfeld wird ihm immer noch der Bremer Frings empfohlen. Frings kommt für ihn jedoch ebenso wenig in Frage wie Kuranyi.

Am Samstag fährt Löw mit Köpke nach Leverkusen, Bayer 04 gegen Schalke. Die gute Nachricht: Die Hausherren haben vor drei Wochen einen neuen Rasen verlegen lassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: