Fußball: Nationalelf:Qualität statt Erfahrung

Das Unentschieden gegen Italien liefert Joachim Löw die Sicherheit, dank Manuel Neuer und Mesut Özil auf Schlüsselpositionen keinerlei Probleme zu haben. Einzig für Thomas Müller gibt es kritische Worte.

Thomas Hummel, Dortmund

Mesut Özil war einmal ein schüchterner, junger Mann, den der Deutsche Fußball-Bund und sein damaliger Verein Werden Bremen lieber schützten vor der nachbohrenden Öffentlichkeit. Er sollte erst einmal Leistung zeigen, reden konnte er ja dann immer noch. Inzwischen ist aus dem zurückhaltenden Mesut Özil ein selbstbewusster Weltmann geworden, ein gefeierter WM-Held, ein Profi von Real Madrid. Die nachbohrende Öffentlichlichkeit? Pah, kein Problem mehr!

Länderspiel - Deutschland - Italien

Gutes Spiel im defensiven Mittelfeld: Bastian Schweinsteiger im Zweikampf mit Sebastian Giovinco.

(Foto: dpa)

Als er schon viele Fragen zu diesem Test-1:1 gegen Italien beantwortet hatte, winkte ihn noch ein Reporter mit Mikrofon herbei, ein italienischer Journalist. Der bemühte Mann hatte sich eine Frage auf Deutsch auf einen Zettel schreiben lassen, las diese nun ab und hielt Özil das Mikrofon unter die Nase. Özil blickte den Mann mit seinen großen Augen an, es war rein überhaupt nichts zu verstehen gewesen.

Also nahm ihm Özil den Zettel eilfertig aus der Hand, las die Frage ab und gab eine dieser höflichen, aber nichtssagenden Özil-Antworten. Ja, es trafen zwei große Mannschaften aufeinander und wir, die Deutschen, hätten gerne gewonnen. Und so weiter. Özil lächelte dabei und sah den Mann freundlich an.

Kurz bevor der 22-Jährige endgültig in der Dortmunder Nacht verschwand, stellte er sich noch für ein paar Fotos mit Fans zur Verfügung. Er fühlte sich merklich wohl, die Menschen behandelten ihn anerkennend, manche gar ehrfürchtig. Auch Bundestrainer Joachim Löw meinte es gut mit seinem Mesut und verteilte für seine Verhältnisse ein bombastisches Einzellob. "Özil hat sein Spiel ohne Ball entscheidend verbessert."

Das mag sein, aber am schönsten anzuschauen ist immer noch Özils Spiel mit Ball. In der ersten halben Stunde stellte er damit Dinge an, die die Italiener vorher nicht einmal denken konnten. Seine Pässe auf Lukas Podolski, Miroslav Klose oder seine Vorbereitung des 1:0-Tores von Klose mit der Ferse hoben den Testkick für Augenblicke auf ein anderes Niveau. Kein Wunder, dass ihm bereits das Bernabéu in Madrid zu Füßen liegt. Özil hat bei Real und Trainer José Mourinho seine Klasse nochmals erhöht, in Dortmund drehte sich fast jede gelungene Offensivaktion um den jungen Mann aus Gelsenkirchen. Deutschland hat auf absehbare Zeit kein Problem mit der Besetzung des offensiven Mittelfelds.

Neben den schönen Özil-Momenten wird von diesem Klassiker des europäischen Fußballs für die deutsche Elf wohl nicht viel nachhallen, die Erinnerung daran bald verblassen. Obwohl die Deutschen es verpassten, Italien erstmals seit 16 Jahren wieder zu besiegen, wird der Ärger über das späte 1:1 verfliegen, weil die Gewissheit den Deutschen bleibt, die Italiener anfangs dominiert zu haben. "Ich bin mir sicher, dass wir sie irgendwann schlagen werden", sagte Bastian Schweinsteiger.

Löw beanstandete schon in der ersten Halbzeit einige Mängel, zum Beispiel die schlechte Raumaufteilung in der Defensive, die ihre Wurzeln im ungenügenden Verteidigen einiger Offensivspieler hatte. Allen voran von Thomas Müller, der einen für ihn rätselhaft gelangweilten Auftritt hatte. Löw wechselte ihn in der Halbzeit aus. "Thomas Müller hat sich viel zu sehr an seiner Position rechts vorne orientiert", kritisierte Löw seinen Spieler sogar öffentlich.

"Schweinsteiger auf die Sechs"

Weil vorne einige nicht mithalfen und die Defensivspieler spät aufrückten, war der Abstand zwischen Angreifer und Verteidiger zu groß, was den Italienern Räume gab, die diese immer wieder nutzten. "Wir wollten vorne drauf gehen, aber die Italiener waren oft in Überzahl, das sah dann blöd aus", meinte Sami Khedira. Die Gäste hatten deshalb einige schöne Möglichkeiten, was ihnen wohl kaum einer zugetraut hatte. Nach der schlechten Weltmeisterschaft steckt die Squadra Azzurra Mitten im Umbruch, da bejubelten die Anhänger jede gelungene Aktion, am Ende gab es viel Applaus für die Mannschaft.

Die Deutschen hingegen verschwanden schnell. Erst alle vom Spielfeld, dann die Profis des FC Bayern aus dem Stadionbauch. Sie wollten offenbar noch ein Flugzeug erwischen und bahnten sich deshalb den Weg fast mit Gewalt zu zwei wartenden Großraumautos. Dagegen nahm sich der Bundestrainer noch kurz Zeit, um ein paar positive Erkenntnisse des Abends unter die Leute zu bringen.

Zum Beispiel jene, dass ihm die Stadt Gelsenkirchen neben einem Regisseur auch einen großartigen Torhüter schenkt. Sogar Gianluigi Buffon lief nach dem Abpfiff im schwarzen Unterhemd über den halben Platz, um Manuel Neuer zu umarmen und ihm ein paar warme Worte ins Ohr zu sagen. Neuer hielt wieder sicher, manchmal spektakulär, beim Ausgleich hatte er keine Abwehrmöglichkeit, weil seine erste Abwehr dem Schützen Guiseppe Rossi noch einmal vor den Fuß fiel (81.).

Löw hat auch gesehen, dass Bastian Schweinsteiger auf der Position im defensiven Mittelfeld die Präsenz der WM zeigte. Beim FC Bayern musste der 26-Jährige zuletzt weiter vorne spielen, doch für Löw gehört "Schweinsteiger auf die Sechs", weil der Münchner stark im Zweikampf und im Passspiel sei. Das sah jeder im Stadion, dennoch wollte Löw nicht belehrend in Richtung Bayern-Trainer Louis van Gaal wirken, schließlich hätte der zuletzt keine Alternativen im offensiven Mittelfeld gehabt.

Und als Letztes sah der Bundestrainer, dass hinter der ersten Elf einige Alternativen herangewachsen sind. Mario Götze machte sein zweites Länderspiel, und so wie er auftrat, hätte es auch sein 40. sein können. Mats Hummels (Dortmund), Jérôme Boateng (Manchester City) und Kevin Großkreutz (Dortmund) kamen noch, wenngleich die vielen Wechsel das Spiel nicht besser machten. Eigentlich hatten viele auch mit einem Einsatz von Marcel Schmelzer oder mit dem Debüt von Sven Bender (beide Dortmund) gerechnet.

Löw verwahrte sich hingegen dem Verdacht, die Leute bekämen nur eine Chance, weil sie jung sind. "Wir haben keien Jugendwahn! Diese Spieler bringen Qualität mit, und das ist mir dann wichtiger als Erfahrung." Ein Seitenhieb Richtung des 34-jährigen Michael Ballack? Nicht doch. "Momentan spielt er ja erst 60, 65 Minuten in Leverkusen. Wenn er wieder richtig in Form ist, kommt er zurück", versprach Löw.

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