Fußball: 1860 München:Die Zeit rennt davon

Lesezeit: 3 min

Um den Zweitligisten TSV 1860 München sanieren zu können, müssen Geschäftsführer Schäfer und Vizepräsident Schneider gezielt mit der Vergangenheit brechen. Weitere Kündigungen sind nötig - und zwar schnellstens.

Markus Schäflein

Die weniger schlimme Nachricht zuerst: Fußball-Zweitligist TSV 1860 München hat seine Mietpflanzen abbestellt. Neben der Tatsache, dass man Pflanzen tatsächlich mieten kann, war auch zu erfahren, dass das ziemlich teuer ist: Durch weniger Grün in der Geschäftsstelle spart der Klub pro Saison 15.000 Euro.

"Wir haben keine Zeit": Auf 1860-Geschäftsführer Robert Schäfer warten unruhige Weihnachtstage. (Foto: imago sportfotodienst)

Weniger Freude kommt hingegen traditionell auf, wenn statt an Pflanzen an Menschen gespart wird. Mit brutaler Konsequenz hat sich der neue Geschäftsführer Robert Schäfer des Teammanagers Robert Hettich entledigt, am Montag war Hettich bereits freigestellt. "Im einstelligen Bereich" wird es (neben der Zehn-Prozent-Lohnkürzung für alle) laut Schäfer in der Geschäftsstelle zu betriebsbedingten Kündigungen und "freiwilligen Abschieden" kommen - und zwar schnellstens.

Nicht etwa trotz des bevorstehenden Weihnachtsfests - sondern sozusagen wegen Weihnachten. Schäfer und der neue Vizepräsident Dieter Schneider stehen mit ihrem Sanierungsplan unter enormem Zeitdruck - bis zum 14. Januar müssen sie bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Liquidität nachweisen, um die Saison zu Ende spielen zu können.

Dabei geht es um 5,3 Millionen Euro - die sich zusammensetzen sollen aus Einsparungen, Stundungen bestehender Darlehen und frischem Geld von Banken oder Investoren, rund drei Millionen neue Euro sind wohl nötig. "Wir haben keine Zeit, und durch die Weihnachtsfeiertage und Neujahr noch weniger", sagte Schäfer.

Um für seine adventlichen Radikalmaßnahmen, die Banken und Investoren beeindrucken sollen, um Verständnis zu werben, hatte Schäfer ins Besprechungszimmer im dritten Stock der 1860-Geschäftsstelle geladen. Dort hat er ein Symptom der Vergangenheit gefunden. "Die ganzen Pokale, die hier herumstehen, sollen aussehen wie eine Ruhmeshalle", sagte er, "aber wenn man genauer hinschaut, steht da drauf: Jugendmeisterschaft, 1985, 10. Platz."

Viele zu lange habe sich der Verein verhalten wie ein Erstligist - "im Glauben, man sei noch eine deutschlandweite Marke" - und dabei weit über seine Verhältnisse gelebt. "Wir haben unsere Zukunft über einen langen Zeitraum verfrühstückt", sagte Vizepräsident Schneider.

Weil das neue Duo aufgrund seiner Maßnahmen und seiner Informationspolitik bereits in die Kritik geriet, trat es nun den Weg nach vorne an - und verriet erstmals Details über den langen Weg, der immer tiefer in die Krise führte. So wurden auch die Tricks bekannt, wie Schäfers zahlreiche Vorgänger dem Aufsichtsrat und auch der DFL Jahr für Jahr geschönte Zahlen präsentierten. "Es wurden Einnahmen vorgezogen und Ausgaben ins nächste Jahr geschoben", erklärte Schäfer eine einfachere Kreativmaßnahme.

TSV 1860 München
:Gefangen zwischen Tradition und Chaos

Zwischen Euphorie und Komödiantenstadl: Die Geschichte des TSV 1860 prägen schöne Erinnerungen, heftige Machtspiele und der dunkle Schatten des Nachbarn FC Bayern. Jetzt soll Benno Möhlmann den Klub vor dem Abstieg retten.

Zudem kalkulierte 1860 mit Einnahmen, beispielsweise über Zuschauer, Transfers oder die Löwen-Anleihe, die nicht eintrafen. "Wir haben als erstes alle Einnahmepositionen mit der Realität verglichen, die Spitzen rausgenommen und stattdessen die Jahresschnitte in die Gewinn- und Verlustrechnung eingeführt", sagte Schäfer - ein Fehlbetrag von weiteren 2,5 Millionen Euro soll alleine dadurch ans Licht gekommen sein.

TSV 1860 München
:Gefangen zwischen Tradition und Chaos

Zwischen Euphorie und Komödiantenstadl: Die Geschichte des TSV 1860 prägen schöne Erinnerungen, heftige Machtspiele und der dunkle Schatten des Nachbarn FC Bayern. Jetzt soll Benno Möhlmann den Klub vor dem Abstieg retten.

"Die Art der Vereinsführung hat hier mit betriebswirtschaftlichem Denken bisher nichts zu tun gehabt", sagte Schneider. "Die DFL will immer nur den Nachweis, dass man eine Saison zu Ende spielen kann, und genau nach dieser Liquiditätsdenke ist der Verein geführt worden."

Dass das Saniererduo nun so offensiv auftritt, hat damit zu tun, dass es seine Pläne in Gefahr sah. "Die öffentliche Wahrnehmung hat eine Dynamik angenommen, die hochgefährlich für uns ist", sagte Schäfer, "dieser Taumel ist geeignet, den Banken Angst zu machen. Wir haben eine ernste Situation und reden hier wirklich über den Bestand des Vereins. Aber wir taumeln nicht, wir kennen die Zahlen."

Vor Weihnachten findet noch einmal ein Sponsorentreffen statt. Über Spenden zum Fest würde er sich freuen, aber Schneider will nicht so aggressiv um Hilfe werben, wie er es als damaliger Sponsor von früheren Geschäftsführern kennt. "Das waren Psychoterroranrufe", sagte Schneider, "da wurden die Sponsoren regelrecht verbrannt." Auch mit der Tradition des Schönredens bricht er, gezwungenermaßen.

"Wenn die Banken nicht mitmachen oder ein größerer Partner wegbricht, dann ist hier Schluss", sagte Schneider. "Ich begegne immer wieder der Vorstellung, man wird 1860 doch nicht untergehen lassen - aber wer ist denn man? Keiner muss hier irgendwas, weder die Banken noch die Stadt noch sonst wer. 1860 kann natürlich untergehen, so wie jedes mittelständische Unternehmen."

© SZ vom 14.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: