Fußball: Michael Ballack:Der englische Patient

Michael Ballack verlässt den FC Chelsea, wahrscheinlich kehrt er in die Bundesliga zurück. Während Schalke aus dem Rennen scheint, führt eine glaubwürdige Spur zu einem Klub aus Norddeutschland.

Philipp Selldorf

Englische Medien hielten die Mitteilung des FC Chelsea, Michael Ballack keinen Vertrag für die nächste Saison zu geben, für eine Überraschung, aber den Betroffenen hat sie kaum noch irritiert, als ihn die am Mittwoch veröffentlichte Meldung beim Urlaub in Miami erreichte. Dass ihn die Neuigkeit nur noch geringfügig erschütterte, lag aber nicht daran, dass ihn die erzwungene Entsagung von der Weltmeisterschaft und die seit Monaten bestehende Unsicherheit über seine sportliche Zukunft zum Fatalisten gemacht hätte. Er hatte es einfach bloß erwartet: Man hat den 33-Jährigen zuletzt mehrmals spüren lassen, dass seine Karriere beim Londoner Millionärsklub nach vier intensiven, erlebnis- und erfolgreichen Jahren ein Ende nehmen würde.

Training Fussball-Nationalmannschaft

Michael Ballack.

(Foto: ddp)

Der Versuch, mit seinem Arbeitgeber ins Gespräch zu kommen, scheiterte daran, dass sich kein rechter Gesprächspartner mehr finden ließ. Zwar verfügt der FC Chelsea in Gestalt des amerikanischen Rechtsanwalts Bruce Buck über einen veritablen Präsidenten, aber der fungiert lediglich als Interessenvertreter des Klubbesitzers Roman Abramowitsch.

Ein Gespräch mit dem russischen Milliardär, der mehr Einfluss auf die Personalpolitik beansprucht als früher, kam jedoch nicht zustande. Als Ballack gegen Ende der Saison von Buck ein verbindliches Wort über die Dispositionen der Firma hören wollte, da teilte ihm der Präsident bedauernd mit, er habe keine Vollmacht, um konkrete Verhandlungen aufzunehmen oder gar irgendwelche Zusagen zu geben.

Ballacks Ziel: EM 2012

Ballack musste auf diese Weise erfahren, dass er möglicherweise zu viel gewollt hat, als Chelsea noch bereit war, die Zusammenarbeit fortzusetzen. Vor einigen Monaten hatte ihm der Klub einen Vertrag bis 2011 offeriert, doch der Deutsche lehnte ab. Er bestand darauf, entweder eine Vereinbarung über zwei Jahre zu zeichnen oder zumindest die Zusicherung zu erhalten, dass sich sein Vertrag ab einer gewissen Anzahl von Pflichtspielen von selbst verlängert.

Plausibles Motiv: Bis zur EM 2012, die er schon im Frühjahr - lange vor der Verletzung, die ihn die Teilnahme an der Weltmeisterschaft kostete - als Endstation seiner Nationalmannschaftskarriere ausersehen hatte, will er nicht mehr die Unwägbarkeiten eines Klubwechsels auf sich nehmen. Aber dieses Argument war für Chelsea logischerweise nicht von Belang. Selbst Ballacks Angebot, für weniger Geld zu spielen als bisher, verfing nicht.

Nun also veröffentlichte der Klub den Nachruf auf seinen Star aus Germany: "Sein starker Charakter, sein Siegeswille und sein Professionalismus haben ihn zu einem beliebten Spieler auf dem Platz und jenseits des Platzes gemacht", hieß es im Epilog auf der Vereinsseite. Die Bilanz 2009/2010: 45 Auftritte mit dem Team, fünf Tore, 3444 Minuten auf dem Platz. Anders ausgedrückt: Er hatte nicht unerheblichen Anteil daran, dass Chelsea das Double gewann, 103 Treffer in der Liga erzielte und sämtliche Spitzenteams - Manchester United, Liverpool und Arsenal - in beiden Begegnungen besiegte, was in England als historischer Coup betrachtet wird.

Die Probleme mit Schalke

Arbeitslosigkeit braucht der Mittelfeldspieler trotz seines fortgeschrittenen Alters und trotz seiner zuletzt eher unauffälligen Rolle als Arbeitsbiene genau so wenig zu befürchten wie sein Klubkollege Joe Cole, der ebenfalls recht plötzlich von Chelsea verabschiedet wurde. Während aber Cole wohl einfach nur die Arbeitsstelle in London wechseln muss, dürfte die Familie Ballack demnächst den Umzug in ein anderes Land angehen. Adressen im Emirat Dubai, wo es mehrere Bewerber gibt, stehen dabei nicht zur Debatte, und dass sich der Nationalspieler in Gelsenkirchen niederlässt, wie es nun im Zuge eines bewährten, gleichwohl ziemlich substanzfreien Gerüchts immer wieder heißt, wird wohl auch nicht passieren.

Mit Schalkes Trainer Felix Magath verbindet ihn zwar ein gutes Verhältnis aus gemeinsamen Münchner Zeiten, aber sonst passt wenig zusammen: Magath hat auf anderen Positionen seiner Mannschaft Sorgen, und außerdem hat Schalke - wie der Generalmanager ja soeben lautstark beklagt hat - nicht mal für diese elementaren Notwendigkeiten genug Geld zur Verfügung. Die Anstellung von Christoph Metzelder, der eher kein alter Kumpel von Ballack ist, schafft im Übrigen weitere Tatsachen.

Klar ist, dass Ballack bei den Verhandlungen mit Interessenten unverändert auf einem Zweijahresvertrag beharren wird. Einer Rückkehr in die Bundesliga dürfte diese Bedingung aber nicht im Wege stehen, und es gibt auch keine Vorbehalte, die ihn von einem Engagement in der alten Heimat absehen ließen. Er würde die Heimkehr nach Deutschland nicht als Abstieg auffassen.

Vorerst als Journalist

Allerdings ist die Zahl seiner möglichen Ziele begrenzt: Weder der FC Bayern kommt in Frage noch Werder Bremen, wie in England erfinderisch spekuliert wurde. Ein Klub wie der Hamburger SV wäre vielleicht gut für Renommee, ist bisher aber nicht als Anwärter in Erscheinung getreten. Eine glaubwürdige Spur führt dagegen nach Wolfsburg: Dort stimmen die finanziellen Voraussetzungen und andere geschäftliche Rahmenbedingungen (auch Wolfsburg wird von Adidas ausgestattet), und sportlich würde Ballack ebenfalls ins ehrgeizige Programm passen, zumal da der VfL in Gestalt von Steve McClaren einen englischen Trainer bekommt.

Manager Dieter Hoeneß lehnte es am Mittwoch zwar ab, sich dezidiert zu Ballack zu äußern ("wir sind definitiv nicht bereit, an Spekulationen teilzunehmen"), im weiteren Gespräch ließ er aber erkennen, dass der Klub unter dem Eindruck der neuen Fakten seine Planungen neu bewerten könnte. "Die Frage wird sein: Was will Ballack? Wenn er noch mal eine sportliche Herausforderung sucht, halte ich die Bundesliga nicht für ausgeschlossen." Es gäbe sicherlich drei, vier Vereine, die sich den Luxus seiner Verpflichtung leisten könnten, sagte Hoeneß. Einer könnte der VfL sein.

Vorerst aber wird der Reha-Patient Ballack - vorausgesetzt, er erhält die medizinische Erlaubnis - das Lager wechseln und Journalist. Sobald ihn Doktor Müller-Wohlfahrt freigibt, plant er die Reise nach Südafrika, wo er als Kolumnist der Times und als Kommentator fürs englische Fernsehen fungiert. Nächste Saison aber will er definitiv wieder Fußball spielen.

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