Fußball: Michael Ballack:Das Schicksal der ungünstigen Geburt

Der Weltklassespieler Michael Ballack wuchs in eine Zeit des deutschen Fußballs hinein, die ihm die Weltklassemitspieler verweigerte. Das Ende seiner DFB-Karriere ist eine betrübliche Geschichte. Einen Schuldigen dafür gibt es nicht.

Thomas Hummel

Das erste Länderspiel von Michael Ballack ist eine Erinnerung wert. Am 28. April 1999 füllte sich das Bremer Weserstadion nur deshalb halbwegs, weil der Deutsche Fußball-Bund großzügig Freikarten ausgab. Der 22-jährige Ballack und die anderen Reservespieler bekamen Stühle zugeteilt, die einzeln in blaue Müllsäcke verpackt worden waren, um den Werder-Sponsor unsichtbar zu machen.

Michael Ballack und der Zwerg

Michael Ballack, auf einem Werbeplakat.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

In der Halbzeitpause verweigerte das Flutlicht weiteren Dienst, weil eine Sicherung rausgeflogen ist, "die noch nie rausgeflogen ist" (der damalige DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach). Die Besucher im dunklen Rund bekamen deshalb in der Pause lustige Schlagermusik vorgesetzt (Roberto Blanco: "Ein bisschen Spaß muss sein") und die zweite Halbzeit wurde 15 Minuten zu spät angepfiffen.

Es war eine nicht nur in diesem Sinne dunkle Zeit in der Historie des deutschen Fußballs. Der Libero Lothar Matthäus absolvierte sein 135. Länderspiel (es sollten noch 15 dazukommen!), der Trainer Erich Ribbeck wechselte den Neuling Ballack nach 60 Minuten für Dietmar Hamann ein. Sechs Minuten später erzielte Don Hutchinson für Schottland das 1:0. Dabei blieb es.

Es hätte kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt gegeben für einen Spieler mit herausragenden Eigenschaften, um in der deutschen Elf zu debütieren. Der Weltklassespieler Michael Ballack wuchs in eine Zeit des deutschen Fußballs hinein, die ihm einfach die Weltklassemitspieler verweigerte. So musste er im Laufe des folgenden Jahrzehnts viel alleine regeln, was ihm bisweilen erstaunlich gut gelang. Was aber nicht zum ersehnten großen Titel führte, an dem im titelverwöhnten Deutschland so viel gemessen wird.

Jetzt ist die Karriere des inzwischen 34-Jährigen in der Nationalmannschaft beendet. Mit dem Ende schließt sich der Kreis: Dieses Ende kommt betrüblich daher, mit einem schalen Beigeschmack, dass hier einer der besten deutschen Fußballer so nebenbei in die Mottenkiste verramscht wird. Dabei ist dieses Ende niemandem wirklich vorzuwerfen. Es ist, wenn man so will, das Schicksal der ungünstigen Geburt.

Ballack in der Opferrolle

Als Michael Ballack 1999 debütierte, wusste der DFB noch nichts von seinem später hochgelobten Jugendprogramm. Der Verband musste erst die Niederschläge bei den Europameisterschaften 2000 und 2004 erleben, um den Wert der Nachwuchsförderung zu erkennen. Während der Verband anfing, die Özils und Götzes zu planen, werkelte Ballack als Anführer einer bescheiden talentierten deutschen Nationalmannschaft. Er spielte herausragende Rollen bei der WM 2002, der WM 2006 und der EM 2008. Zweimal Zweiter, einmal Dritter - ohne den Mann aus Görlitz mit seiner breiten Brust, mit seinen technischen und strategischen Fähigkeiten, mit seinen Toren in den wichtigsten Momenten wäre das niemals denkbar gewesen.

Auf dem Spielfeld war sich der stolze Ballack nicht zu schade, sich für das Ganze zu opfern. Im Halbfinale 2002, als er einen Konter der Südkoreaner per Foul stoppte, obwohl er wissen musste, dass eine gelbe Karte und die Sperre für Finale folgen mussten. Bei der WM 2006, als er im defensiven Mittelfeld für zwei ackerte und das unsichere Gebilde des jungen Teams zusammenhielt, obwohl er vorne als torgefährlicher Ballack hätte glänzen können. Sein letztes Ziel, die WM 2010, verpasste er nach dem Tritt von Kevin-Prince Boateng wegen einer Verletzung. Er sprach von der "schlimmsten Diagnose" der Karriere und humpelte auf Krücken davon.

Inzwischen hatte das Nachwuchsprogramm des DFB gewirkt und in Südafrika spielte sich eine junge, neue deutsche Mannschaft auf die Titelseiten der Weltpresse. Ballack stand draußen und applaudierte, die neue Generation brauchte ihn nicht mehr. Diese neue Generation wirkte auch befreit vom Platzhirschen Ballack, der 2008 noch den Ton bestimmte und seine Chefrolle mit harschen Worten auf und neben dem Platz verteidigte. Auch deshalb gab es für ihn nach der WM keinen Weg mehr zurück in diese Elf. Die Jungen akzeptieren den alten Boss nicht mehr. Er ist raus.

Bundestrainer Löw hatte dies wohl früh erkannt, zögerte dennoch mit dem Trennungsgespräch. Vielleicht hätte auch er Michael Ballack einen schöneren Abschied gewünscht, doch für eine Wiederaufnahme in den DFB-Kader war es einfach zu spät. Ballack wäre in diesem Team junger Internatsschüler ein seltsamer Fremdkörper.

Jetzt heißt es: Der Ballack, der hat's nicht geschafft. Ein Unvollendeter, ein Gescheiterter. Hat er nicht auch seine zwei Champions-League-Finals verloren (2002 mit Leverkusen, 2008 mit Chelsea)? Und damals, ja, als er in Unterhaching das Eigentor schoss und Leverkusen wieder nicht Meister wurde. Er wurde viermal Deutscher und einmal Englischer Meister, dreimal Deutscher und dreimal Englischer Pokalsieger. Für einen deutschen Fußballer seiner Qualität ist die Titelsammlung nicht die allerfeinste. Er spielte einfach zur falschen Zeit.

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