Fußball-Länderspiel:Seekrank unter Pfiffen

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Im letzten WM-Qualifikationsspiel dreht die deutsche Elf erst in der Schlussphase auf und erreicht nach einer insgesamt faden Vorstellung ein schmeichelhaftes 1:1 gegen Finnland.

Noch nie hat die deutsche Elf ein WM-Qualifikationsspiel verloren, wenn sie auswärts antreten konnte. Zu Hause standen bis zum Mittwoch zwei Niederlagen zu Buche, eine gegen Portugal (1985), eine gegen England (2001), und alles sah nach der dritten Schlappe aus, als in der 90. Minute Lukas Podolski nach einigem Gestochere den Ball nicht richtig traf, woraufhin dieser zum Ausgleich, zum 1:1 (0:1), gegen Finnland ins Netz kullerte. Kurz darauf hätte Miroslav Klose beinahe den Siegtreffer erzielt, aber das wäre des Guten zuviel gewesen in einer überaus schwachen Partie. Qualifiziert für die WM sind die Deutschen bereits seit Samstag, deshalb ließen sie es am Mittwoch in Hamburg so ruhig angehen, dass das Publikum die Elf mit Pfiffen verabschiedete. "Nach dem Russland-Spiel war es schwer, die Frische und Energie zu haben, die nötig gewesen wäre. Wir hatten enorme Schwierigkeiten, in Fahrt zu kommen", sagte Löw, der sich dennoch über die Pfiffe der Fans ärgerte.

Sitzfußball, beispielhaft präsentiert von dem Finnen Veli Lampi (links) und seinem deutschen Kollegen Piotr Trochowski. (Foto: Foto: Reuters)

Doch das Hamburger Publikum ist bei Länderspielen regelrecht gefürchtet, weil es seinem Unmut schnell und laut Ausdruck verleiht. Spielt die deutsche Mannschaft gut, wird sie angemessen beklatscht, bisweilen gar bejubelt, spielt sie jedoch schlecht, setzt auf den Rängen ein Sturmflut-Getöse ein. Es ist wirklich erstaunlich, mit welcher Inbrunst der Hamburger pfeifen kann. Zu hören war das am Mittwochabend erstmals, als die deutsche Elf in der ersten Halbzeit immer langsamer spielte, immer müder wirkte und insgesamt so träge zu Werke ging, als wäre jeder einzelne Spieler von der schrecklichen Seekrankheit erfasst und durchdrungen worden.

Gomez schaut wütend

Das Pfeifen war so laut, dass es vermutlich noch im rund 100 Kilometer entfernten Kiel zu hören war, wo man also auch ohne Fernseher wissen konnte, was in Hamburg auf dem Rasen los war. Gut, die Details ließen sich dem Pfeifen nicht entnehmen, wohl aber die allgemeine Stimmung, und die war: mies. "Ich habe kein Verständnis für die Pfiffe", sagte Kapitän Michael Ballack, "natürlich haben wir nicht gut gespielt, aber das hat die Mannschaft nach dieser guten Qualifikation nicht verdient. Wir sind alle enttäuscht. Ich hätte mehr Fingerspitzengefühl erwartet." Bundestrainer Joachim Löw ergänzte: "Die Pfiffe waren ja nicht ganz unberechtigt, weil in der ersten Halbzeit kaum etwas zusammenlief. Was die ganze Qualifikation betrifft, hat die Mannschaft keine Pfiffe verdient."

Zur Stimmungsaufhellung der Hamburger trug es nicht bei, dass die Finnen seit der 11.Minute 1:0 in Führung lagen. Roni Porokara kam gegen Andreas Beck zum Flanken, Roman Eremenko sprang höher als Philipp Lahm, und Jonatan Johansson schob die Kugel an René Adler vorbei ins Netz. Für Johansson war das eine ganz feine Sache, denn er absolvierte gerade sein 100. Länderspiel. Hätte Michael Ballack gewusst, wie Johansson dieses Ereignis zu feiern gedachte, hätte er ihm wohl kaum vor Anpfiff einen hübsch komponierten Blumenstrauß überreicht. Johanssen ist übrigens gerade vereinslos, kein Klub wollte ihn - aber gegen Deutschland reicht es eben doch noch, mag er sich gedacht haben.

Nur zwei Minuten später hatte Mario Gomez die Chance zum Ausgleich. Er nahm den Ball am Strafraum an, er zog mit Wucht los in Richtung des finnischen Tores, aber dann wurde er ein bisschen geschoben, gehalten und gedrückt, er kam nicht mehr an den Ball, die Chance war vorbei. Gomez schaute im Zurücklaufen wütend auf die Stelle, an der er die Kugel verloren hatte, als sei der Hamburger Rasen an allem Schuld. Der Rasen jedoch lag in unschuldigem Grün.

Für die nächste Phase der Partie galt der Fußball-Fachbegriff "das Spiel plätscherte dahin", was in Hamburg, der Stadt der Ozeanriesen, als besonders passend erscheinen muss. Wenn das Hamburger Publikum nicht pfiff oder schimpfte, demütigte es die deutsche Elf subtiler: Es schwieg vornehm, und was können diese Hamburger vornehm schweigen. Man hätte das Netz des finnischen Tores abmontieren und einem freundlichen Elbfischer schenken können, da hätte es immerhin eine sinnvolle Verwendung gefunden.

Der biblische Litmanen

In der zweiten Halbzeit stellte Joachim Löw das Spielsystem um. Hatte er zunächst einem 4-2-3-1 vertraut, mit den vier Offensivkräften Cacau, Trochowski Podolski und Gomez, so wählte er nun ein 4-4-2, für Hitzlsperger und Ballack kamen zudem Mesut Özil und Christian Gentner in die Partie. Hatte es also am System gelegen? "Ob es mit dem System zu tun hatte, weiß ich nicht. Wir haben uns einfach schwergetan gegen starke Finnen", sagte Lukas Podolski. In der Tat war der Unterschied zur ersten Halbzeit zunächst ungefähr so groß wie der Tidenhub in der Ostsee, nämlich minimal. Aber immerhin: Ein bisschen beschwingter wirkte die deutsche Mannschaft nun.

Bei den Finnen setzte sich Jari Litmanen zwei Mal gut in Szene, was bemerkenswert ist, da Litmanen seit zirka 1648 im Fußball mitmischt, 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewann und später noch bei so illustren Klubs wie dem FC Barcelona, dem FC Liverpool und Hansa Rostock wirkte. Nun, im biblischen Alter von 38, hält er sich beim FC Lahti und mit Länderspielen zum Beispiel gegen Deutschland fit. Fünf Minuten vor Schluss verließ er unter Applaus den Platz, vielleicht war es sein letztes Spiel auf großer Bühne.

Die Deutschen drehten noch ein wenig auf in den letzten zehn Minuten, wohl auch, um das Publikum nicht vollends zu vergrätzen. Dann schoss Heiko Westermann, es war die 90. Minute, Mesut Özil versprang der Ball, der im allgemeinen Gewusel von Klose zu Lukas Podolski kam, und von dessen Fuß gelangte die Kugel auf verschlungenen Wegen zum 1:1 ins Tor. Wenig später zog der Torschütze das Fazit: "Wir haben uns schwer getan, aber blamabel war die Leistung nicht. Man hat schon im Hinspiel gesehen, dass die Finnen etwas drauf haben."

Deutschland: Adler (Bayer Leverkusen/24 Jahre/8 Länderspiele) - Beck (1899 Hoffenheim/22/5), Friedrich (Hertha BSC/30/69), Westermann (FC Schalke 04/26/16), Lahm (FC Bayern München/25/62) - Trochowski (Hamburger SV/25/27), Ballack (FC Chelsea/33/97), 46. Özil (Werder Bremen/20/6), Hitzlsperger (VfB Stuttgart/27/50), 46. Gentner (VfL Wolfsburg/24/4), Podolski (1. FC Köln/24/68) - Cacau (VfB Stuttgart/28/4), Gomez (Bayern München/24/30), 77. Klose (FC Bayern München/31/93). - Trainer: Löw.

Finnland: Jääskeläinen (Bolton Wanderers/34/55) - Lampi (FC Zürich/25/16), Hyypiä (Bayer Leverkusen/36/103), Heikkinen (Rapid Wien/31/50), Sparv (Halmstads BK/22/5) - Roman Eremenko (Dynamo Kiew/22/24), Moisander (AZ Alkmaar/24/8) - Johansson (vereinslos/34/100), Litmanen (FC Lahti/38/129), 86. Nyman (Inter Turku/25/20), Hämäläinen (Turku PS/23/4), 66. Kolkka (NAC Breda/35/97) - Porokara (Örebro SK/25/9), 72. Kuqi (TuS Koblenz/32/60). - Trainer: Baxter.

Tore: 0:1 Johansson (11.), 1:1 Podolski (90.). Schiedsrichter: Atkinson (England). Gelbe Karte: Sparv. Zuschauer (in Hamburg): 51500 (ausverkauft).

© SZ vom 15.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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