Fußball-Junioren-EM:Ein Jahrgang mit Charakter

Deutschlands U-17-Auswahl gewinnt mit einem 2:1 gegen die Niederlande den EM-Titel. Für DFB-Sportdirektor Matthias Sammer ist das ein ganz besonderer Triumph.

Claudio Catuogno

Natürlich hatte Reinhold Yabo, 17, das schon viele Male im Fernsehen gesehen. Wie man als Kapitän einer Fußballmannschaft möglichst stilvoll die Trophäe in die Luft stemmt. Also reihte sich Yabo hinten ein in die Schlange, oben auf der Magdeburger Tribüne schmückte DFB-Präsident Theo Zwanziger bereits die ersten Hälse mit den Siegermedaillen, Spieler, Trainer, Physiotherapeuten, Betreuer, der Jugendfußball ist eine personalintensive Sache geworden, und als Letzter tippelte also Yabo hinauf.

Fußball-Junioren-EM: Deutschlands U-17-Fußballer bejubeln den EM-Titel.

Deutschlands U-17-Fußballer bejubeln den EM-Titel.

(Foto: Foto: Getty)

Ein dunkelhäutiger Jugendlicher mit fein geflochtenen Zöpfen, die Eltern aus dem Kongo, er selbst Mittelfeldspieler in der B-Jugend des 1. FC Köln. Kapitän der deutschen U-17-Nationalmannschaft. "Und eine echte Persönlichkeit", sagt sein Trainer Marco Pezzaiuoli. "Unheimlich reif für sein Alter."

Komplimente dieser Art sollte Pezzaiuoli noch häufiger formulieren im Anschluss an den 2:1-Sieg seiner Mannschaft über die Niederlande, für den am Montagvormittag in Magdeburg 80 reguläre Minuten und 20 Minuten Verlängerung nötig waren. Der Mannheimer Pezzaiuoli, 40, früher unter Joachim Löw Jugendkoordinator beim Karlsruher SC, später Assistent von Bum-kun Cha in Südkorea, hat in Magdeburg die besten 1992 geborenen Fußballer Deutschlands zu Europameistern gemacht, aber wenn er erklären soll, wie es dazu kommen konnte, dann hört man wenig über Taktik und Technik, dafür viel über Zusammenhalt, Charakter, Professionalität.

"Dass eine Mannschaft derart fokussiert ist auf ihr gemeinsames Ziel, dass sie sich dabei von gar nichts ablenken lässt", sagt Pezzaiuoli, "das habe ich in dieser Form sogar bei den Profis noch nie erlebt." Welche Leistung muss es da erst bei einem Haufen 16- und 17-jähriger Schüler sein, von denen viele mitten in Abschlussprüfungen stecken? Die alle in naher Zukunft Fußballprofis werden wollen, "aber in diesem Alter", weiß der Bundestrainer Joachim Löw, "ist das noch ein sehr weiter Weg"?

Reinhold Yabo jedenfalls führte nun beispielhaft vor, was unter Zusammenhalt und Charakter zu verstehen ist, er schnappte sich den Pokal, doch anstatt damit die übliche, den Kapitänen dieser Welt zustehende Solo-Show zu veranstalten, tauchte er ein in den Pulk seiner Kollegen, erst sah man eine Weile nur verschwitzte Köpfe, Schultern, Arme, dann tauchte der Kelch wieder auf und wurde von allen gleichzeitig in die Höhe gestemmt.

Das war der Moment, in dem auch Matthias Sammer, dem Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ein Lächeln über die Lippen ging. Es ist noch nicht so lange her, dass der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann versucht hatte, Sammer in diesem wichtigen Amt zu verhindern. Nun nahm Theo Zwanziger, der DFB-Chef, seinen Hauptverantwortlichen für die Nachwuchsarbeit lange in den Arm. Und Sammer lobte kurz darauf: "Wir wollen die Anforderungen des modernen Fußballs schon in den U-Auswahlteams lehren. Bei dieser Mannschaft sieht man das perfekt."

Apfelschorle statt Sekt

Die Spieler waren da schon auf der Ehrenrunde, die fast 24.000 Zuschauer, mehrheitlich Schüler aus ganz Sachsen-Anhalt, kreischten, als seien ihnen Schweini und Poldi persönlich erschienen, Reinhold Yabo griff sich ein Mikrofon und bedankte sich mit einer kurzen Rede, die auch in jeder Realschule anlässlich der Zeugnisverleihung hätte gehalten werden können. "Ohne euch hätten wir das nicht geschafft, vielen Dank für die Unterstützung. Echt Respekt!" Und so weiter.

Man kommt wohl nicht darum herum, so einen Fußballer-Jahrgang nach ähnlichen Kriterien zu bewerten wie den Wein eines Sommers. Ist er nur ein Glücksfall? Oder das Ergebnis einer gefestigten Struktur? Jederzeit wiederholbar? Andererseits ist natürlich gerade dieser Vergleich ziemlich ungeeignet: "Wir reden hier über Jugendliche", erklärt Pezzaiuoli in Magdeburg auch so manchem Medienvertreter, der partout nicht glauben mag, dass dieser Erfolg beim DFB nun mit Apfelschorle begossen wird. Nicht mal ein Gläschen Sekt? - "Nicht in diesem Alter, die Jungs sind Vorbilder."

Wenn man "die Jungs" auf dem Rasen sieht, vergisst man schon mal, dass fast noch Kinder am Werk sind. Was an der erstaunlichen Physis liegt, am hohen Stand ihrer technischen Ausbildung - aber auch an den Sehgewohnheiten des Publikums, die in keinem Sport so sehr von der Dauerschleife des Profisports geprägt sind wie im Fußball. Wer sich das Trikot mit dem Bundesadler überstreift, wird zwangsläufig zum Staatsbürger in DFB-Uniform.

Auf dem Platz ergibt das dann eine erfrischende Mischung aus viel Talent und wenig Erfahrung: Spielzüge, die angelegt sind wie in der Premier League, aber verstolpert werden wie in der Kreisklasse. Oder eben auch nicht: Das 1:1 (nach früher Führung des Holländers Luc Castaignis) köpfte Lennart Thy, der Freistoß, den der eingewechselte Florian Trinks aus fast 30 Metern in den Winkel hämmerte, können wohl in der Bundesliga nur wenige so schießen.

60 Jugendliche hat Pezzaiuoli innerhalb von anderthalb Jahren in seine Auswahl berufen. Herausgekommen ist ein Team, an dem nun endgültig die Vermarkter des Fußballs zu zerren beginnen. In Magdeburg war ein eigenes Festzelt aufgebaut für die Scouts aus ganz Europa. Christopher Buchtmann ist bereits beim FC Liverpool unter Vertrag, der verletzte Alexander Merkel beim AC Mailand, Verteidiger Shkodran Mustafi zieht es zum FC Everton.

Vor allem letzteres, einen Wechsel zu einem englischen Mittelklasse-Klub, sieht Sammer nicht so gerne. Wo er doch gerade in Deutschland die Strukturen für Charakter und Reife geschaffen hat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: