Fußball:Italien spielt gegen die Skepsis einer Nation

Liechtenstein vs Italy

Gegen Liechtenstein spielte Italien wie gebremst - die Mannschaft selbst hatte vor dem Spiel wohlweislich tiefgestapelt (im Bild: Nationalspieler Ciro Immobile).

(Foto: dpa)

Vor dem Duell mit der DFB-Elf plagen Italien Selbstzweifel. Selbst um die WM-Teilnahme 2018 in Russland bangt die Squadra Azzurra.

Von Birgit Schönau, Rom

Liechtenstein ist besiegt, und Giampiero Ventura zeigt sich ungeheuchelt erleichtert. "Mit dieser Konzentration und diesem Einsatz! Am wichtigsten war es zu gewinnen, erst danach geht es um das Wie." Vier Angreifer, vier Tore, am Ende sozusagen plus/minus null. "Mit einem fünften Tor würde ja alles schon wieder anders aussehen", sagt Italiens Nationaltrainer; in der Tat hätten die Azzurri damit ihren alten Rekord von 2010 gebrochen, das einsame 5:0 gegen die Färöer.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte Venturas Team am Samstagabend in Vaduz alle nur erdenklichen Chancen für eine noch bessere Bilanz. Allerdings fast ausschließlich vor der Pause. In die zweite Halbzeit startete man bereits mit dem Viererpack - zwei Treffer von Andrea Belotti, jeweils einer vom ehemaligen Dortmunder Ciro Immobile und von Antonio Candreva - und vermied dann jede weitere Anstrengung. Simone Zaza etwa bewies wieder einmal ein unglaubliches Talent zur Torvermeidung auf freiem Feld und zog damit vielleicht schon einen Schlussstrich unter seine kurze Karriere als Nationalspieler.

"Mit den Toren zu übertreiben, liegt uns Italienern nicht", erkannte tags darauf La Repubblica, und das war durchaus kritisch gemeint, denn: "Spanien ist uns enteilt." La Roja hält punktgleich mit Italien die Führung in der Gruppe G, besitzt aber eine bessere Tordifferenz. Was nicht nur am samstäglichen 4:0 gegen Mazedonien liegt, sondern vor allem daran, dass die Spanier gegen Liechtenstein in die Vollen gegangen waren: 8:0, doppelt so viele Tore wie die Italiener, sieben davon in der letzten halben Stunde erzielt. So zynisch und effizient, wie es Italien auch mal war.

Die Azzurri spielen wie gebremst

"Wir reden hier immer noch über einen Sieg", sagte Andrea Belotti, "auch wenn wir vielleicht noch etwas mehr tun konnten." Persönlich hatte der 22 Jahre alte Angreifer vom FC Turin sich nach seinem Doppelpack wenig vorzuwerfen, "ich bin ja erst seit kurzem dabei und versuche, alles zu geben". Drei Tore in vier Spielen, übertroffen wird Belotti noch von Ciro Immobile, der es seit seinem Comeback im September auf vier Treffer brachte. Und doch: Eine Gelegenheit wie in Liechtenstein wird sich zur Verbesserung der persönlichen Statistiken kaum noch einmal bieten.

Dass die Italiener trotz der offenkundigen Unterlegenheit und der bröseligen Abwehr des Gegners wie gebremst spielten, war indes keine Überraschung. Schon vorher hatten Trainer und Spieler tiefgestapelt. "Wer hier einen Torregen herbeireden will, lebt außerhalb der Realität", mahnte doch tatsächlich Ventura. Liechtenstein sei nicht zu unterschätzen. Und Kapitän Gianluigi Buffon wollte die Partie gar weltgeschichtlich einordnen: "Historisch gesehen liegt uns das Leiden mehr, als viele Tore zu schießen." Was auf dem Platz dadurch bewiesen wurde, dass Buffon nur seinem eigenen Teamgefährten Davide Zappacosta in die Quere kommen musste. Ein italienisches Eigentor in Liechtenstein, das wäre dann doch zu peinlich gewesen.

Italien steckt voller Selbstzweifel

Überhaupt ging es in Vaduz offenbar vor allem darum, Peinlichkeiten zu vermeiden. Es ging "um unser Image", wie Ventura einräumte, der sich also freute, "dass wir keinen Schaden gelitten haben". Für ihn und seine Azzurri gibt es wirklich keine kleinen Gegner, ja, die vermeintlich Kleinen sind sogar besonders gefährlich, weil sie Erwartungen wecken, die das Team unter Umständen gar nicht erfüllen kann. So erging es den Italienern in Mazedonien, wo sie sich gerade noch ein 3:2 erzitterten.

Die WM-Qualifikation scheint voller Stolperfallen zu sein, wenn auch Spanien auf dem Papier der einzig ernstzunehmende Rivale in der Gruppe ist. Doch Israel folgt den Spitzenkräften auf dem Fuß, Albanien kommt gleich danach. "Es wäre eine Tragödie, wenn wir uns nicht für Russland qualifizierten", erklärte in schöner Ehrlichkeit Verbandspräsident Carlo Tavecchio nach dem Spiel in Liechtenstein und fügte eilig hinzu: "Natürlich wollen wir als Gruppenerster ins Ziel, aber wir würden auch Platz zwei nicht verachten."

So schnell also ist das Selbstbewusstsein eines Teams zerstoben, das bei der EM noch Belgien und Spanien besiegt hatte - und dann knapp an Deutschland scheiterte. Und was helfen vier Angreifer gegen einen Fußballzwerg, wenn sogar gegen Liechtenstein niemand mit freiem Kopf spielt? Von den Medien war die Trainingseinheit in Vaduz zum Schicksalsspiel verklärt worden, ganz so, als wäre eine Niederlage oder auch nur ein Remis tatsächlich denkbar gewesen.

Ganz so, als müsse der viermalige Weltmeister in jedem Spiel ganz von vorn anfangen. Aber die Azzurri sind derzeit weit davon entfernt, ihre Selbstzweifel und die Skepsis einer Nation zu zerstreuen. Italien im Herbst 2016, das ist ein Team braver Ballarbeiter, bestehend aus ein paar Routiniers und vielen Anfängern, beseelt von eher wenig Talent.

"Die Deutschen sind uns natürlich weit überlegen", warnt Ventura vor dem Testspiel am Dienstag. Da wird er keine vier Offensivspieler bringen. Vielleicht darf Italien also wieder mal beweisen, worin laut Gigi Buffon seine größte Stärke liegt: im Leiden.

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