Fußball:Irrtum, falsche Sportart

Am Ende der Ära Ballack fehlt dem FC Bayern eine einende, eine große Idee vom Fußball. Gilt also "Bayern kaputt"?

Klaus Hoeltzenbein

Hundsgemein ist es, der Jugend in ihrer Not das Alter als ein leuchtendes Vorbild auszumalen. Die Österreicher tun dies gerne, wenn ihre alpinen Abfahrer mal wieder von den Amerikanern besiegt wurden.

Fußball: Michael Ballack beim Basketball. Oder doch Fußball?

Michael Ballack beim Basketball. Oder doch Fußball?

(Foto: Foto: dpa)

Dann wird von Franz Klammer und Karl Schranz geschwärmt, und darüber, was diese beiden für Höllenhunde waren.

Auch Franz Beckenbauer hat den Trick mit dem Alter einmal genutzt, im Frühjahr 2001 nach dem 0:3 in Lyon, als er in einer Bankettansprache den entzauberten Bayern-Profis offenbarte, ihr Tempo habe ihn an das der Uwe-Seeler-Gedächtniself erinnert.

Kaum weniger demütigend ist es, wenn ein Senior zum Vorbild ausgerufen wird, der direkt am Wettbewerb beteiligt war. Dies tat in der Nacht zum Donnerstag in Mailand Karl-Heinz Rummenigge, er hielt eine Rede von der frühen Rente.

Im Originalton klang das so: "Wenn ich nun überlege, wie ein Jaap Stam auf der rechten Seite, mit seinen 33 Jahren, am Ende seines Vertrages - er kehrt am Ende der Saison nach Amsterdam zurück - hoch und runter marschiert ist, dann war das sicher für uns alle eine Demonstration von Leidenschaft, von Willen. Und das, muss man ganz nüchtern betrachten - das hat uns heute gefehlt."

Vom Beben erschüttert

Seit Jahren sind es diese Bankettreden, in denen sich das Stimmungsbild des FC Bayern genauestens spiegelt. Früher wurde diese Pflicht von Franz Beckenbauer übernommen, doch spätestens seit der Präsident die WM organisiert, ist Vorstandschef Rummenigge dran.

Und wenn dann der Laudator außer der kurzen Phase zwischen einem 1:2 und einem 1:3-Rückstand nun gar nichts Lobenswertes findet, wenn er nach einem 1:4 beim AC Mailand von "Blamage", von "Demütigung" spricht, dann ist zu ahnen, dass den Klub nicht nur eine Niederlage, sondern ein Beben erschüttert hat.

Dann steht eine Zäsur bevor, in der der Arbeitgeber seine Position zu jedem Angestellten überdenken wird. Symbolhaft deutlich wurde dies darin, dass Rummenigge mit dem Rücken zur Mannschaft sprach, als habe er sich von ihr losgesagt; und dass diese anschließend zu großen Teilen umgehend den Saal verließ, ohne das Büfett zu würdigen.

Damals, als Beckenbauer an Uwe Seeler erinnerte, ließ sich noch etwas korrigieren, wenige Monate später hatten die Bayern die Champions League gewonnen.

Dieses Mal, als Rummenigge vom glatzköpfigen Senior Jaap Stam schwärmte, bildeten seine Worte einen symbolischen Schlussstrich. Wieder einmal sind die Bayern früher ausgeschieden, als sie es ersehnt und erwartet hatten, wieder einmal kamen sie, wie im Vorjahr am FC Chelsea, nicht an einem großen Namen vorbei.

Auf der Ebene, auf der sie ihre Kräfte messen wollte, hält die Mannschaft nicht mit. "Der Traum, den wir hatten, der noch an Weihnachten auch nach außen groß angekündigt wurde, der ist ausgeblieben", stellte Rummenigge fest.

Trost wird nun wieder dort gesucht, wo eigentlich kein Trost zu finden ist, denn DFB-Pokal und Bundesliga galten als Betriebsroutine, die nun wieder Erlebnischarakter bekommen muss: "Wir spielen am Samstag in Wolfsburg", sagte Rummenigge. Er erinnerte an das jüngste 1:2 gegen den Hamburger SV und hofft darauf, "dass die Mannschaft eine positive Reaktion zeigt".

"Bayern kaputt!"

Von wem die kommen soll? Jetzt, da die Gazzetta dello Sport die martialische Zeile "Bayern kaputt!" aufs Spielfeld der bitteren Emotionen wirft?

Dürfte nach Wolfsburg nur mit, wer in Mailand nicht in Ehrfurcht erstarrte, würde der FC Bayern dort aus Bastian Schweinsteiger bestehen - und damit der nicht allein ran muss, vielleicht noch aus Torwart Oliver Kahn, der den von Milans Sturm Inzaghi/Schewtschenko entfachten Turbulenzen ausgeliefert war.

Rummenigges Bankettrede hat sich Kahn erspart, er blieb ihr fern, was irgendwie verständlich war. Er musste ja nicht noch einmal erinnert werden an jene fatale 47. Minute, in der Lizarazu und Ismaël den Ball eigentlich selbst zum 1:3 ins Netz beförderten.

Getroffen hat letztlich Filippo Inzaghi. Von da an sei er Teilnehmer an einer "Mission impossible" gewesen, befand Ismaël.

Irrtum, falsche Sportart

Aber sie haben es Milan auch leicht gemacht, die in der Bundesliga so selten schwer geprüften Innenverteidiger Ismaël und Lucio. Noch immer verrichten sie nahezu schweigend nebeneinander ihr Werk.

Die in Stein gehauenen Säulenheiligen im Mailänder Dom reden bei Nacht mehr miteinander, und dieser Mangel an kreativer Kommunikation zieht sich durch die gesamte Bayern-Elf, er fiel schon beim 1:1 im Hinspiel auf.

Münchner Mängelliste

Mit der Mängelliste vom Mittwoch werden die Münchner noch im Sommer beschäftigt sein, die Frage ist nur, wo begonnen werden muss: Bei Demichelis, der im Mittelfeld in der Spieleröffnung Probleme hat, bei Ballack, der in der Masse unterging, Deisler, in dessen Rücken Milan Angriff auf Angriff über die linke Seite inszenieren durfte, oder doch bei der kompletten Gruppe, der Manager Uli Hoeneß noch in der Kabine vorwarf, sie hätten sich wohl in der Sportart geirrt: "Das war Basketball. Ein völlig körperloses Spiel."

Womöglich aber bewegt sich der FCBayern auch nicht so recht im Rhythmus der neuen taktischen Zeit. Oft wirkt die Mannschaft so, als verbinde sie allein der Zweck, was fehlt, ist eine einende, eine große Idee vom Fußball.

Andere Mannschaften auf dem Niveau, auf das die Münchner wollen, verschieben ihre Reihen besser, stellen mehr Fallen und schwärmen entschlossener aus.

Erst irritiert, dann verloren

Dass dies nicht zu beobachten war, lag für Trainer Felix Magath auch daran, dass er seine Elf arg benachteiligt sah: Im Hinspiel durch jenen fragwürdigen Handelfmeter, der den Verein viel zu sehr aufwühlte, im Rückspiel nicht nur durch Treffer Nummer eins, bei dem Magath Inzaghi im Abseits sah, was auch die Zeitlupe nicht zweifelsfrei beweisen konnte.

In der Champions League aber gehört erlittenes Unrecht zum Programm. Wer sich irritieren lässt, hat meist schon verloren.

In der Ära Ballack, die nun zu Ende geht, haben die Bayern diese Gesetzmäßigkeit nie so recht akzeptiert. Sobald in Kürze ein Strich unter die gemeinsamen Jahre gezogen wird, wird die Bilanz von vielen schönen Erlebnissen, nicht aber von den ganz großen Ergebnissen geprägt sein.

2002 war Michael Ballack aus Leverkusen gekommen. Mit ihm, so der Plan, sollten Europas Ranglisten gründlich durcheinander gewirbelt werden, doch das gelang nicht: "Wir haben unsere Lektion erteilt bekommen", sagte Rummenigge in seiner Rede über Jaap Stam, die Rente und den Reiz des Seniorensports: "International ist die Luft dünner."

Eine Phrase, gewiss, aber die Bayern haben den Klimawechsel zuletzt nicht mehr bewältigt. Offen bleibt, ob sie ihren Ballack am Ende wirklich verstanden haben. War Ballack der ersehnte Chef, der Effenberg-Nachfolger, der nur seinem Auftrag nicht folgte, oder doch eher ein Harmonist, der besonders auffällt, wenn er plötzlich aus sicherer Deckung kommen kann?

In Mailand suchte Ballack die Mannschaft. Die Mannschaft suchte ihn. Man kennt einander schon lange, und hat einander doch nicht gefunden.

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