Fußball international:"Du geldgeiler Glatzkopf"

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Jorge Sampaoli (rechts) hört als Chiles Nationaltrainer auf: Er will nach Europa. (Foto: Carlos Parra/dpa)

Chiles Nationaltrainer Sampaoli kauft sich frei und will nach Europa.

Von JAVIER CÁCERES, Santiago de Chile

Falls ein Handbuch gebraucht werden sollte, wie man ein Maximum an fußballerischem Renommee in kürzester Zeit in Trümmer legen kann - bei den Chilenen könnte man es in Auftrag geben. Gut sechs Monate nach dem Sieg beim Nationenturnier Copa América stehen die Chilenen ohne Geld, ohne schlagkräftige Mannschaft und nun endgültig auch ohne Trainer da. Der Argentinier Jorge Sampaoli, 56, kaufte sich aus seinem vor gerade mal zwei Monaten verlängerten Kontrakt heraus - und spekuliert nun auf einen Job in Europa.

Sampaoli ist dabei günstiger weggekommen als vertraglich fixiert worden war. Statt 6,2 Millionen US-Dollar (der Gegenwert seiner bis zur WM 2018 in Russland ausstehenden Honorare) soll Sampaoli lediglich 1,8 Millionen Dollar zahlen. Chiles Verband ANFP begründete die Großzügigkeit damit, dass man nicht sicher sein konnte, einen möglichen arbeitsrechtlichen Prozess zu gewinnen - und dann noch schlechter gefahren wäre. Klar war aber auch, dass der seit Ende 2012 amtierende Sampaoli unhaltbar geworden war. Er hatte sich wegen der millionenschweren Konventionalstrafe in seinem Vertrag als "Geisel" der Chilenen bezeichnet, was angesichts seiner im Landesvergleich fürstlichen Honorare bestenfalls Spott nach sich zog.

Es fehlt Geld für einen Nachfolger, im Verband wurde viel veruntreut

Bei seiner Rückkehr von der Fifa-Gala in Zürich, wo Sampaoli zum drittbesten Trainer des Jahres 2015 gewählt worden war, deckte ihn eine aufgebrachte Menge auf dem Flughafen von Santiago mit dem ganzen Kanon chilenischer Flüche ein. "Hau ab, du geldgeiler Glatzkopf", war dabei noch die harmloseste Schmähung, die der Mann hören musste, der immerhin 64 Prozent seiner Spiele mit Chile gewann. Zuvor war ruchbar geworden, dass er Zahlungen im Steuerparadies Virgin Islands erhalten hatte, dort sei sein Geld sicherer, hatte Sampaoli argumentiert.

Wer künftig die von Bayern-Mittelfeldspieler Arturo Vidal angeführten Chilenen trainieren soll, ist völlig offen. Dabei steht in nicht mal mehr zwei Monaten das nächste WM-Qualifikationsspiel gegen Argentinien an, für das Spielmacher Jorge Valdivia und Stürmer Eduardo Vargas wegen Sperren ausfallen. Abgesagt hat in Manuel Pellegrini von Manchester City ein Coach, der seine Pappenheimer kennt - Pellegrini ist gebürtiger Chilene.

Die seit Jahresbeginn amtierende Verbandsspitze versucht derweil, Ordnung in das finanzielle und buchhalterische Chaos zu bringen, das der abgehalfterte Verbandsboss Sergio Jadue hinterlassen hat. Er ist in die Fifa-Korruptionsaffäre verwickelt, hat offenkundig Schmiergelder entgegengenommen und versucht nun, etwaigen Strafen als Kronzeuge der US-Justiz zu entgehen. Jadue aber war nicht der einzige, der sich großzügig bediente. Allein: Wer wie viel Geld aus der Verbandskasse in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, weiß niemand. Die neue Führungsriege weiß nur, dass sie kein Geld hat, um einen Trainer von Rang zu holen. "Die Einnahmen im Jahr 2015 waren außerordentlich; der Saldo bei Jahresschluss erbärmlich", sagte ANFP-Vize Andrés Fazio.

Im Gespräch bleiben der derzeit beschäftigungslose Marcelo Bielsa, der Chile zur WM 2010 führte, sowie sein früherer Adjutant Eduardo Berizzo, heute bei Celta de Vigo in Spanien erfolgreich. Berizzo stünde aber frühestens im Juni zur Verfügung: angesichts der Qualifikationsaufgaben wohl zu spät.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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