Fußball in USA:Klinsmann klingt nach Superman

The United States Celebrates The World Cup in Brazil

Plötzlich schauen alle Fußball: Szene aus einer Bar in New York

(Foto: Michael loccisano/AFP)

"Wie lange dauert eigentlich ein Fußballspiel?" Jürgen Klinsmanns US-Team überzeugt bei der WM mit engagiertem Spiel - und plötzlich stürmen die Amerikaner die Public Viewings. Die wahre Prüfung steht dem US-Fußball allerdings nach der WM bevor.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Der Jubel nach Jermaine Jones' Ausgleichstor gegen Portugal ist gerade abgeebbt, die U-S-A-U-S-A-Rufe in der Bar verhallen, da beginnt ein amerikanisches Pärchen zu flüstern: "Sag mal, wie lange dauert ein Fußballspiel?", fragt sie. "90 Minuten", antwortet er, und ergänzt nach kurzem Zögern, "ich bin mir aber nicht sicher".

Dialoge wie dieser wären in Europa unerhört, in den USA zeugen sie von einem ehrlichen Bemühen. Amerika will das Spiel verstehen, das es gerade ein bisschen mehr zu lieben lernt: 18,2 Millionen Zuschauer verfolgten die Partie gegen Portugal auf dem Sportsender ESPN; das ist nicht nur ein neuer Rekord für ein Fußballspiel, sondern auch mehr, als die NBA-Finalserie im Durchschnitt anzog.

Wer am Sonntag noch kurz vor Anpfiff einen Platz in einer Sportsbar ergattern wollte, scheiterte grandios: Viele Fans hatten sich schon Stunden zuvor Plätze gesichert. In Chicago kamen 20 000 Zuschauer zum Public Viewing, viele Fans mussten wegen Überfüllung draußen bleiben. Und für das WM-Turnier selbst gingen 154.000 Tickets an Besteller aus den USA - das ist Platz zwei hinter Brasilien.

Das kleine amerikanische Sommermärchen hat viele Gründe. Da wären: der Hobby-Fußball, der in den Jugend-Ligen und Uni-Sportplätzen schon lange eine geschlechtsübergreifende Erfolgsgeschichte ist. Die große Gemeinde der Einwanderer aus Mittel- und Lateinamerika, die dem Spiel verfallen ist und diese Liebe in die Straßen trägt. Die PR-Kampagne rund um das US-Team, die darin gipfelte, dass ESPN einen Dokumentarfilm über das WM-Abenteuer ausstrahlte, bevor das Turnier überhaupt begonnen hatte.

Wie im Regionalzug auf dem Weg zum Bundesligaspiel

Vor allem aber passt die Mannschaft von Trainer Jürgen Klinsmann - "Klens-Man" klingt nicht umsonst nach Superheld - perfekt in jene Geschichte, von der die Amerikaner nicht genug bekommen können: der des Außenseiters, der entgegen aller Widerstände seinen Weg geht. Klinsmann mag der Nation mit der Streichung von Stürmerlegende Landon Donovan einen Helden genommen haben, doch was ist ein einzelner Held im Vergleich zu einer jungen Mannschaft, die ständig David gegen Goliath spielt? Oder zumindest David gegen Ghana.

Weil außerdem die Eishockey- und Basketball-Saison vorbei sind, die Spiele des US-Teams bislang an Wochenenden waren und Uncle-Sam-Hüte und rot-weiß-blaue Gesichtsmalfarben auch jenseits von Olympia und Unabhängigkeitstag getragen werden wollen, passt die WM perfekt in das Sommerprogramm vieler Amerikaner. Gerade Cliquen männlicher Fußball-Anhänger zeigen sich in den Bars äußerst lernbereit und trinken Bier und Schnaps, als wären sie im Regionalzug auf dem Weg zu einem Bundesligaspiel.

Die wahre Prüfung steht dem US-Fußball allerdings nicht im Spiel gegen Deutschland oder im möglichen Achtelfinale bevor, sondern nach dem WM-Turnier: Amerikaner feiern während der Olympischen Spiele auch Sportarten wie Speerwurf oder Bobfahren, um diese dann wieder zu vergessen. Mit "Soccer" soll es anders sein: Die US-Liga MLS hofft darauf, vom Hype um die Nationalmannschaft zu profitieren, legt aber - nicht nur zur Verwunderung der US-Fans - während der WM keine Pause im Spielplan ein.

Ähnliche Träume hatte von der "Soccer Nation USA" gab es allerdings schon nach der WM 1994 im eigenen Land, dem Einzug der Nationalmannschaft ins Viertelfinale 2002 oder der Verpflichtung David Beckhams durch die Los Angeles Galaxy 2007. Erfüllt wurden sie nicht. Am Ende überzeugt die Sportnation deshalb womöglich nur eines: Eine Mannschaft, die um den Weltmeistertitel mitspielen kann. Im Jahr 2014 wäre dies allerdings keine Aufgabe für Klinsmann, sondern für Superman.

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