Fußball in Tschetschenien: Ruud Gullit:Ende eines absurden Abenteuers

Ramsan Kadyrow, berüchtigtes politisches Oberhaupt Tschetscheniens und Klubchef von Terek Grosny, entlässt den einstigen Weltstar Ruud Gullit - nach den kritischen Aussagen des Fußball-Trainers. Das absurde Engagement von Gullit in Tschetschenien nimmt damit ein abruptes Ende.

Frank Nienhuysen

Die tschetschenische Hauptstadt Grosny muss irgendwo zwischen London und Los Angeles liegen. Es sei denn, Ruud Gullit wird seine persönliche Gefühls-Amplitude jetzt doch noch aktualisieren. An der King's Road in London setzte er sich einmal in ein bescheidenes Straßencafe und dachte: "Wow", endlich in Ruhe gelassen von anhimmelnden Fans wie einst den italienischen Tifosi, die ihn in Mailand noch umschwirrt hatten. Jedenfalls hat Gullit seine Zeit beim FC Chelsea in England kürzlich als die glücklichste seines Lebens bezeichnet.

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Staatspräsident und Klubchef Ramzan Kadyrow Arm in Arm mit Trainer Ruud Gullit: Nun hat Kadyrow Gullit entlassen.

(Foto: AFP)

Als Trainer der Los Angeles Galaxy war es für den Niederländer schon nicht mehr so schön. Die Amerikaner seien immer schon weggelaufen, wenn sie nur das Wort "Soccer" hörten. Stattdessen nahmen ihn ein paar Leute in die Clubs der Schönen und Reichen mit. In einer Ecke sah er Paris Hilton, wie sie einen Schweif von 100 Leuten mit sich zog, in einer anderen stand Puff Daddy. So war das also im mondänen Los Angeles, aber für den Fußballer Ruud Gullit war das nichts. "Die Zeit bei den LA Galaxy war die schlechteste meines Lebens."

Das alles erzählte Gullit kürzlich einem Reporter der Daily Mail, dazu noch einiges mehr, und so wie es aussieht, hat dieses Interview seinen Abtritt aus dem Kaukasus stark beschleunigt. Am Dienstag wurde er als Trainer des russischen Erstligisten Terek Grosny entlassen.

0:1 verlor sein Team gegen Amkar Perm, womit Terek jetzt erstmal auf dem drittletzten Tabellenplatz (Rang 14 von 16) feststeckt. Dass die Niederlage in der letzten Minute durch ein Eigentor zustande kam, ist nur die würzige Schlusspointe eines absurden Theaterstücks, das eigentlich schon vorher beendet war.

Aus dem Interview hatten nämlich die Verantwortlichen des tschetschenischen Klubs ein paar Passagen herausgegriffen und sie noch am Tag des wichtigen Punktspiels zu einer griffigen Generalerklärung zusammengeschweißt. "So hoffnungslos habe ich Terek noch nie spielen sehen", wurde Vereinspräsident Ramsan Kadyrow zitiert. "Seitdem Gullit die Mannschaft betreut, erkenne ich sie nicht mehr wieder. Außerdem muss Gullit wissen, dass er nicht geholt wurde, um sich in Nachtclubs und Diskotheken zu verstecken."

Spätestens da wusste der Niederländer, dass es um das Ergebnis gegen Perm schon nicht mehr gehen würde. Mehrmals lächelte er während des Spiels, ihm war klar, es ist sein letztes.

Nach fünf Monaten besiegelte das 0:1 ein großes Missverständnis. Auf beiden Seiten, muss man sagen. Hier der ehemalige Weltfußballer, der 1988 die Niederländer mit Esprit zum bislang einzigen Europameister-Titel führte und den ACMailand zum Champions-League-Sieger machte - dort der tschetschenische Klub aus Grosny. Gullit mag einmal in den Kreisen von Pelé und Platini, Beckenbauer, Cruyff und Berlusconi zu Hause gewesen sein. Aber Kadyrow ist noch einmal eine andere Liga.

Präsident Kadyrow: berühmt und berüchtigt

Das politische Oberhaupt Tschetscheniens, der Präsident von Terek Grosny, ist berühmt und berüchtigt zugleich. Menschenrechtler werfen ihm vor, in Entführung, Mord und Folter verstrickt zu sein. Sein Wort ist in der Kaukasus-Republik noch mehr Gesetz als es das von Berlusconi in Italien war. Und deshalb sollte man als Trainer ihn besser gütig stimmen.

In den Niederlanden wurde Gullit für das bizarre Engagement kritisiert, aber der rechtfertigte sich mit dem vielen Geld, das er bekam, für das Abenteuer, das er obendrein noch erhielt. Kolportiert werden vier Millionen Euro Gehalt für einen Vertrag über anderthalb Jahre.

Russland stellt in dieser Saison vom Kalenderjahr auf Westeuropas Fußballrhythmus um, weshalb die Spielzeit verlängert wurde. Kadyrow will seinen Klub nach Ende der üblichen Runde mindestens auf Platz acht sehen, damit Terek dann um die Europacupplätze konkurrieren kann. Doch danach sieht es nicht aus.

Gullit beklagte, dass avisierte Verstärkungen wie der Uruguayer Diego Forlan (Atletico Madrid) oder Madjid Bougherra (Glasgow Rangers) nicht kamen. Dass er seine Freunde aus Holland vermisse, die ihn überall besucht hätten, nur nicht in Tschetschenien. Warum auch?!, sagte Gullit - eben auch der Daily Mail. "Du kannst hier nicht mal einen Drink haben."

Das reichte der Klubführung: Zu viel war ihr der Mix aus Erfolglosigkeit und Klagen über die Trainingsplätze, die Umkleidekabinen in einer stolzen Region, die innerhalb eines Jahrzehnts zum Ort zweier Kriege wurde, jetzt aber mit Volldampf auferstehen will. Erstaunt war Gullit über das neue, 30000 Zuschauer fassende Stadion, das der selbstherrliche Kadyrow gern noch für 2018 in die Riege der russischen WM-Arenen bringen will.

Und wenn der Niederländer auch anfangs schockiert war, "an jeder Ecke eine Kalaschnikow zu sehen", so erlebte er doch auch die modernen Prachtbauten, die neuen Pflasterwege, die nun die einst geschundene Stadt säumen. Nur, pendeln musste er trotzdem, zwischen dem weit entfernten Kislowodsk, wo Terek trainiert, und Grosny, wo es nur spielt.

Warum Kadyrow glaubte, ausgerechnet Gullit, der weder mit Newcastle noch mit LA erfolgreich war, der zwei Jahre überhaupt nicht trainiert hatte, warum also dieser Gullit mit diesen Widrigkeiten fertig würde, bleibt sein Rätsel. Vermutlich ging es auch gar nicht nur darum.

Vielleicht war die teure Verpflichtung für Grosny nicht sehr viel mehr als eine wertvolle politische Botschaft. Dass es mit Tschetschenien nun wirklich aufwärts gehe, wenn der fidele Holländer hier arbeitet. Gullit selbst sagte, er habe schon immer die Herausforderung gesucht. In Tschetschenien wurde sie ihm offenbar zu groß.

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