Fußball in Russland:Berlusconisierung des Kaukasus

Roberto Carlos, Gullit und jetzt vielleicht Gattuso oder Ronaldo: In den russischen Republiken werden politische Ziele mit Hilfe prominenter Fußballer verfolgt. Der sportliche Erfolg scheint die Investoren nur vordergründig zu interessieren.

F. Nienhuysen

Er hat immer noch einen so kräftigen Schuss, dass andere umfallen, wenn sie getroffen werden. Es war die fünfte Minute, als Roberto Carlos erstmals den Ball hatte und sein Gegenspieler es für eine gute Idee hielt, sich in den Weg zu stellen. Das Tor verfehlte Carlos, den Abwehrspieler riss es von den Beinen. 37 Jahre ist der kahlköpfige Brasilianer nun alt. Längst ist er zu einem vertrauten Veteran gewachsen, erst recht in dem schneeweißen Trikot, der weißen Hose und den weißen Socken, die er jetzt trägt, so als spiele er noch immer für Real Madrid. Aber Roberto Carlos spielt nicht mehr in Spanien und auch nicht in seiner Heimat Brasilien. Er spielt jetzt für Anschi Machatschkala. Und seinen ersten Auftritt hatte er in Grosny, der Hauptstadt von Tschetschenien.

Roberto Carlos

Spielt jetzt in der russischen Provinz: Der ehemalige Weltmeister Roberto Carlos.

(Foto: AP)

Im Achtelfinale des russischen Pokals ist er am Dienstagabend ausgeschieden. 2:3 verlor Machatschkala, der Klub aus Dagestan, gegen den Meister Zenit St. Petersburg. Dass das Spiel nicht in Machatschkala stattfand, sondern im tschetschenischen Grosny, hat mit dem ramponierten Rasen im heimischen Stadion zu tun. Aber es hat auch keinen wirklichen Unterschied gemacht. Dagestan und Tschetschenien sind Nachbarrepubliken, und die Nachfrage nach Karten für dieses Spiel war gewaltig. Denn im Kaukasus wird Roberto Carlos bestaunt wie ein zweiköpfiges Zirkuspferd. Ein Weltmeister aus Brasilien, das ist etwas, was es nie gab in der konfliktreichen Region. Man wird sich dran gewöhnen müssen.

Vor einigen Wochen hatte es zunächst kaum einer glauben können, als Terek Grosny vermeldete, Ruud Gullit würde dort nun Trainer sein. Aber dann gab es diese Bilder des fröhlichen Holländers Seite an Seite mit dem gefürchteten Präsidenten Ramsan Kadyrow. Es stimmte also. Und nun holte Machatschkala Roberto Carlos in den Kaukasus. Ende nächster Woche beginnt in Russland die neue Saison, angeblich verdient der Brasilianer sechs Millionen Euro im Jahr. Doch damit nicht genug. Aus Belgien holte der Klub den Brasilianer Joao Carlos.

Und als käme es auf eine Million mehr oder weniger gar nicht mehr an, wirbt Anschi Machatschkala jetzt auch um Gennaro Gattuso von AC Mailand. "Gattuso hat für uns Priorität, und wir sind bereit, dass Doppelte seines Wertes zu bezahlen, um ihn sofort unter Vertrag zu nehmen", sagte ein Sprecher des russischen Klubs. Terek Grosny will nun sogar den amtsmüden Torjäger Ronaldo zur Fortsetzung seiner Karriere locken. Am nächsten Dienstag, wenn in Grosny die brasilianische Weltmeistermannschaft von 2002 zu einem Freundschaftskick aufläuft und Kadyrow den Anstoß macht, sollen die Gespräche intensiviert werden.

"Grandioses Projekt"

Nach all den Unruhen ist es jetzt ein fußballerischer Aufruhr im Kaukasus, der halb Russland bewegt. Nur langweiligen Nachrichtenwert hat da vergleichsweise das Gerücht, der ehemalige Wolfsburger Zvezdan Misimovic wechsele zu Dynamo Moskau, wo auch der einstige Schalker Kevin Kuranyi spielt.

In Russland lässt sich bei reichen Klubs und einem Mehrwertsteuersatz von nur 13 Prozent viel Geld verdienen, das hat sich herumgesprochen. Jetzt aber rüsten auch die kaukasischen Provinzklubs auf und wollen den Vereinen aus Moskau, St. Petersburg und Kasan Konkurrenz machen. Roberto Carlos sprach von einem "grandiosen Projekt", das sich der Klubbesitzer Suleiman Kerimow ausgedacht habe. Für die Meisterschaft werde es gleich am Anfang zwar nicht reichen, aber in Zukunft könnten sich auch aus Russland ein paar neue Exotenvereine mit den Bundesligaklubs in der Europa League messen. Es ist alles eine Frage der Politik.

"Gullit in Grosny - das ist eine PR-Aktion, die zeigen soll: In Tschetschenien ist es ruhig", schreibt die Nowaja Gaseta. Dass Gullits Frau durch die Grosny-Wahl ihres Mannes in einen leichten Schock gefallen sein soll und das Team außerhalb Tschetscheniens trainiert und nur zu den Heimspielen in die runderneuerte Hauptstadt fliegt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Mit den Zuschlägen für die Olymischen Winterspiele in Sotschi 2014 und die Fußball-WM 2018 ist die internationale Funktionärsriege in Vorleistung getreten. Jetzt will Moskau beweisen, dass das Land sicher und der Enthusiasmus groß ist.

Dass Terek Grosny sich so viel Geld leisten kann, um Gullit zu holen und selbstbewusst um Ronaldo zu buhlen, ist ohne die Unterstützung der russischen Führung in Moskau schwer vorstellbar. Russische Medien berichteten bereits vor einem Jahr, dass die reichsten Kapitalisten des Landes sanft gebeten wurden, mehr in den nationalen Fußball zu investieren. Suleiman Kerimow fällt dies nicht schwer. Der Investment-Unternehmer ist mehrfacher Milliardär und einer der reichsten Menschen in Russland. Und er ist stolzer Dagestaner.

Die Personalie Robert Carlos wird sein Ansehen in der Bevölkerung hochtreiben, es ist eine Art Berlusconisierung des Kaukasus. So wie dem Italiener einst dessen Milan-Erfolge auf dem Weg ins Premiersamt halfen, könnte Kerimow sich mit seinen populären Einkäufen für Machatschkala auch als möglicher Präsident von Dagestan in Stellung bringen, wie die Nowaja Gaseta vermutet: "Dies interessiert ihn wahrscheinlich noch etwas mehr, als einen starken europäischen Verein zu schaffen."

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