Fußball in Italien:Satte Dame, hungrige Dame

Coppa Italia Final - Juventus vs AC Milan

Alex Sandro, Douglas Costa und Mattia De Sciglio nach dem Pokalsieg - Juventus ist in Italien DER Seriensieger.

(Foto: REUTERS)
  • Im italienischen Fußball gab es in dieser Saison zumindest am Saisonende etwas Spannung, als Neapel Chancen auf den Titel hatte.
  • Doch letztlich setzt sich erneut Juventus Turin durch und untermauert die Eintönigkeit der Serie A.
  • Beim Pokalsieg gegen Milan zeigt sich, dass der frühere Münchner Douglas Costa zum prägenden Spieler geworden ist.

Von Birgit Schönau, Rom

Juve, schon wieder: Siebte Meisterschaft in Serie, zwei Spieltage vor Schluss so gut wie sicher, mit sechs Punkten Vorsprung vor den Verfolgern aus Neapel - es ist der Rekord der Rekorde. Noch nie hat das eine Mannschaft in Italien geschafft.

Sicher, die Neapolitaner könnten an den letzten beiden Spieltagen noch siegend elf Tore schießen und die Turiner bei zwei Niederlagen mindestens sechs Treffer kassieren. Dann würde SSC Neapel bei gleicher Punktzahl mit dem besseren Torverhältnis am Pfingstsonntag Meister. Aber daran glauben noch nicht einmal mehr die dauerenthusiastischen Fans aus Napoli, die entgegen sonstigen Gewohnheiten auch keine Verschwörungstheorien entwerfen. Feiern war in Turin trotzdem verboten. Die Mannschaft rannte nur kurz in die Kurve, in den Gesichtern stand mehr Erleichterung als Triumph.

In Turin gab es für den nationalen Titel Nummer 34 noch nicht mal einen Autokorso. Aber auch in Neapel blieb es still. Allzu klar ist auch für den glühendsten Tifoso die schmerzliche Einsicht, dass die Mannschaft es selbst versemmelt hat. Dabei war noch vor zwei Wochen der Jubel grenzenlos gewesen, als ein Kopfball von Kalidou Koulibaly Neapels 1:0-Sieg im Spitzenspiel bei Juventus besiegelte. Den alten bösen Feind, wenn auch knapp, im eigenen Stadion zu schlagen, das schien das Tor zum Paradies weit zu öffnen: Juve hatte nur noch einen Punkt Vorsprung - und die Neapolitaner erwarteten nun leichte Gegner, wenigstens auf dem Papier.

Bleibt Trainer Allegri? Er lernt jedenfalls Englisch

Doch das Glück währte nur kurz. Beim Derby d'Italia gegen Inter schien Juve angesichts eines 1:2-Rückstands in der 65. Minute die nächste Pleite kassieren zu müssen, drehte dann aber das Spiel und siegte 3:2: reine Nervensache. Neapel war davon derart beeindruckt, dass die Mannschaft von Trainer Maurizio Sarri in Florenz 0:3 unterging, mit drei Gegentoren eines gewissen Giovanni Simeone. So hoch war der 22-jährige Sohn des Trainers von Atlético Madrid, Diego Simeone, noch nie geflogen, so leicht hatte er noch nie getroffen. Napoli warf sich und die Meisterträume einfach weg: reine Nervensache.

Am vergangenen Wochenende folgte das siebte Siegel. Juve gewann im eigenen Stadion souverän 3:1 gegen Bologna, Neapel erstotterte sich zu Hause ein 2:2 gegen den FC Turin. Ende des Duells, Schluss mit dem Zweikampf, der Italien über eine ganze Saison in Atem gehalten und die Serie A endlich wieder spannend gemacht hatte, wenn auch ohne den Glanz vergangener Zeiten. Auf der einen Seite die Fußballromantiker aus dem Süden, deren Angriffsfußball der winzige Lorenzo Insigne anführt (1,63 Meter), ein Sohn des Volkes aus der geschundenen neapolitanischen Peripherie. Dagegen Juve, die Inkarnation zynischen Effizienzfußballs mit dem Giganten Gianluigi Buffon (1,91 Meter) im Tor, einem der populärsten Sportler der Welt.

Es hätte auch anders ausgehen können. Diesen Titel musste sich die Juventus erkämpfen, musste Rückschläge einstecken, vor allem immer wieder den ärgsten Gegner besiegen: die eigene Sattheit. Schon wieder Meister werden, na ja.

Dabei hätte es doch endlich einmal die Champions League werden sollen, jene seit 22 Jahren entbehrte Trophäe, die in zwei Endspielen seit 2015 greifbar nah schien, um dann doch bei Barcelona und Real Madrid zu landen. Dass die Turiner in dieser Saison wieder an Real scheiterten, diesmal im Viertelfinale, denkbar knapp und nach beeindruckender Aufholjagd, lag vor allem am Schiedsrichter. Wie schnell sie sich von dieser Schlappe erholten, um dann eben den nächstbesten Titel einzuheimsen, zeugt von einer famosen, ja erdrückenden mentalen Stärke.

Überall einsame Spitze

Der Erfolg der Turiner hat viele Väter. Andrea Agnelli, der 42-jährige Klubpatron, hat sich endgültig eingereiht in die Reihe seiner Ahnen, als vierter Juve-Präsident einer Familie, der der Klub seit fast hundert Jahren gehört. Er hat seinen Großvater Edoardo übertrumpft, unter dessen Ägide die Juve in den 1930er-Jahren fünf Titel in Serie holte. Vor allem hat er das Familienunternehmen Juventus international wieder konkurrenzfähig gemacht. Es ist normal geworden, die Mannschaft der Agnelli unter den letzten acht, auch den letzten vier in der Champions League zu sehen. Napoli, auch daran sei erinnert, kam über die Gruppenphase nicht hinaus und scheiterte kurz darauf in der Europa League an RB Leipzig.

Dass Juve am Mittwoch dann doch mal richtig feiern konnte, als mit einem 4:0 gegen Milan der Pokalsieg gelang, hat Agnelli vor allem seinem Trainer Massimiliano Allegri zu verdanken. Für Allegri, 50, ist es der vierte Pokal in Serie, ebenso wie die vierte Meisterschaft. Das alles in vier Jahren bei Juve: einsame Spitze.

Der Sohn eines Hafenarbeiters aus Livorno ist kein Trainerguru, der dem Team seine Visionen aufdrücken will. Dazu ist Allegri zu pragmatisch - und zu selbstironisch. Sein Lieblingsspruch ist: "Ein Coach kann vor allem viel kaputtmachen." Als Motivator und Stratege sucht er seinesgleichen. Allegri musste Andrea Pirlo und zuletzt Leonardo Bonucci ersetzen, zwei Säulen der Mannschaft, er musste auf das Talent von Paul Pogba und von Dani Alves verzichten. Stattdessen kamen der Argentinier Gonzalo Higuain , der Bosnier Miralem Pjanic, zuletzt Douglas Costa und Benedikt Höwedes. Der Deutsche wurde leihweise von Schalke übernommen und fiel in seiner ersten Saison in Turin immer wieder verletzt aus, am längsten 78 Tage wegen eines Muskelfaserrisses. Bei nur drei Einsätzen, die er bestreiten konnte, gelang ihm ein Tor. Vor dem Spiel gegen Bologna kam dann eine Adduktorenverletzung im rechten Oberschenkel dazu: ein annus horribilis. Und doch beteuert Höwedes, er fühle sich in Turin sehr wohl.

Douglas Costa hingegen muss sich um seine Zukunft keine Sorgen machen. Seitdem er den FC Bayern für rund 46 Millionen Euro verlassen hat, eroberte der Brasilianer die Juve im Sturm, er traf (wie auch Doppeltorschütze Medhi Benatia) beim Pokaltriumph gegen die Mailänder erneut. Er ist die zentrale Figur der Offensive, der schnellste Mann im Team. Ihm obliegt die Abteilung Dribbling und Spektakel, seine Pässe für die nicht ganz so beweglichen Angreifer Higuain und Mario Mandzukic sind Gold wert. Angeblich hat Douglas Costa seinen Marktwert in einem Jahr bei Juve schon verdoppelt. Aber so etwas weiß man ja erst, wenn man wirklich geht.

Aller Voraussicht nach wird Costa bleiben, als Garant für Kontinuität in einem Team, das sich wieder einmal runderneuern muss. Keeper Gigi Buffon wird gehen, das war vorhersehbar, schmerzen muss es doch. Auch mit 40 Jahren war der Kapitän überragend, nun will er als Sieger abtreten. Wer weiß, was nächstes Jahr wird. Der Kollege Andrea Barzagli aus der Abwehr hört auch auf, in seinem Fall allerdings keineswegs zu früh. Aus dem Mittelfeld möchte sich Weltmeister Sami Khedira angeblich in Richtung Premier League entfernen. Doch die wichtigste Personale betrifft die Trainerbank: Allegri wird entscheiden müssen, ob er bei Juve eine Ära verbringen will oder doch noch etwas anderes ausprobieren möchte.

In den vergangenen Jahren hat er jedenfalls Englisch gelernt, frühmorgens, wenn er seinen Sohn zur Schule gebracht hatte und im Trainingscamp auf die Mannschaft wartete. Die Sieben ist eine symbolische Zahl, vor allem in Turin, dem esoterischen Bezugspunkt der magischen Dreiecke. Also Siegel drauf und weiter geht's.

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