Fußball in Italien:Stell dir vor, es ist Spitzenspiel und keiner geht hin

Fußball in Italien: Ausgesperrt wurden zuletzt auch Fans bei Lazio Rom - so dass das Maskottchen einsam seine Runden kreiste.

Ausgesperrt wurden zuletzt auch Fans bei Lazio Rom - so dass das Maskottchen einsam seine Runden kreiste.

(Foto: AP)
  • Stell dir vor, es ist Spitzenspiel und keiner geht hin: Bei Italiens Topduell zwischen Juventus und Napoli müssen Gästefans draußen bleiben.
  • Dahinter steckt eine fragwürdige Strategie.

Von Birgit Schönau, Rom

Es ist das Spiel des Jahres. Der SSC Neapel ist Tabellenführer mit 56 Punkten, Juventus Turin folgt mit zwei Punkten Abstand - zuletzt gab es ein solches Nord-Süd-Duell an der Spitze vor einem Vierteljahrhundert. Die Aufregung ist entsprechend groß, jedes Detail wurde von den Medien ausgeleuchtet, vom Partisanen-Opa des Neapel-Trainers Maurizio Sarri bis zur Lieblingshafenbar seines Kollegen Massimiliano Allegri, vom argentinischen Stürmer-Duell Gonzalo Higuain versus Paulo Dybala bis zum Wettstreit der Spielerfrauen.

Wenn das Spiel am Samstagabend im Juventus Stadium zu Turin angepfiffen wird, dürfte Italien still stehen, oder besser: sitzen. Vor dem Fernseher nämlich, schließlich sind 40 Prozent aller Fans für Juve oder Napoli - und die übrigen 60 Prozent schauen zu, um beide verlieren zu sehen. Die Manager der Konkurrenzveranstaltung, des traditionellen Schlager-Festivals in Sanremo, schreien schon im Voraus Zeter und Mordio, weil sie einen Einbruch der Zuschauerquote befürchten. Vor allem in Neapel.

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Den Neapolitanern bleibt nur der Fernseher, weil sie zum Stadion in Turin keinen Zutritt haben. Die Behörden haben das so verfügt. Keine Tickets für die Gästetribüne "aus Gründen der öffentlichen Ordnung". Umgekehrt war in der Hinrunde gegen die Juve-Fans in Neapel genauso verfahren worden.

Überhaupt vergeht kaum ein Spieltag, an dem in Italien nicht irgendeine Stadion-Kurve geschlossen würde, sei es aus Furcht der Behörden vor Krawallen oder zur Strafe dafür, dass diese Krawalle schon stattgefunden haben. Die Verbote treffen Traditionsklubs genauso wie die Kleinvereine aus der Provinz - beim Aufsteiger Frosinone Calcio zum Beispiel verfügte der Präfekt der Stadt, dass Balkone und Dachterrassen der Häuser um das Stadion während der Heimspiele gefälligst leer zu bleiben hätten, "wegen der Risiken für die körperliche Unversehrtheit".

Diese Aufforderung wird großzügig ignoriert. Als Juventus vor kurzem in Frosinone auflief, waren alle Balkonplätze besetzt. Nach der anstrengenden Bewältigung des Sonntagsbratens wird man ja wohl noch ein wenig Luft auf der eigenen Terrasse schnappen dürfen - auch mit lieben Gästen.

Schlimm genug, dass Präfekten und Sportrichter schon fast routinemäßig darüber befinden, wer überhaupt noch ins Stadion kann. Vorerst letztes Beispiel ist die Schließung der Nordkurve und angrenzender Bereiche für die Spiele von Lazio Rom als Strafe für das rassistische Gegröle von Lazio-Fans gegen Neapels senegalesischen Verteidiger Kalidou Koulibaly. Der Schiedsrichter hatte jüngst das Match unterbrochen, der Sportrichter verhängte später die zweitägige Publikumssperre. Am Donnerstag, beim Heimspiel gegen Hellas Verona, hatte Lazio nur 2300 Zuschauer im römischen Olympiastadion, Negativrekord für die Liga.

Rassismus, Boykotte und Ärger

Im Pokal ging's allerdings noch schlechter, da waren kürzlich zum Spiel gegen Udine gerade mal 1900 der 70 000 Plätze besetzt. Der Grund: Sowohl bei Lazio als auch beim Lokalrivalen AS Rom "streiken" die Kurven-Dauerkartenbesitzer. Ihr Protest richtet sich gegen die behördliche Verfügung, einen "Sicherheitskorridor" durch die Kurven zu ziehen, um Kontrollen zu erleichtern. Der Boykott der organisierten Fans führte dazu, dass das römische Derby in einem nur halb gefüllten Stadion stattfand, vor exakt 35 253 Zuschauern. Noch nie hatte die Stadtmeisterschaft in einer der fußballverrücktesten Städte der Welt derart wenig Publikum gefunden.

Es war ein Fanal für das Scheitern einer Strategie, die auf die unzivilisierten Zustände in vielen Stadien mit strengen Strafen, vor allem aber einer absurden Bürokratie reagiert. Ganz so, als seien die organisierten Fans aufsässige Untertanen statt zahlender Kunden. Vor fünf Jahren hatte die damals amtierende Berlusconi-Regierung für Auswärtsspiele die so genannte "tessera del tifoso" verfügt, eine Art Fan-Ausweis, mit dem jeder Kurvengast behördlich erfasst werden soll.

In Rom mussten Antragsteller bis zu zwei Monate auf ihren "Fanausweis" warten, doch friedlicher oder gar freundlicher geworden sind die Stadion durch all die Bürokratie nicht. Nur leerer, weil man nicht mehr spontan zu einem Auswärtsspiel fahren kann. Jedenfalls als normaler Tifoso. Auf dem Schwarzmarkt geht natürlich immer etwas, auch jetzt wieder, beim Spitzenspiel. Anders formuliert: Wer das nötige Kleingeld hat, kommt überall herein.

"Man fragt sich, ob es zu den dauernden Stadionsperren eigentlich keine Alternative gibt", sagt Giovanni Malagò, der Vorsitzende des Olympischen Komitees. Kollektive Strafen, so hat auch die UN-Kulturorganisation Unesco befunden, seien auf Dauer kontraproduktiv.

Besser wäre es, die Täter ausfindig zu machen und einzeln zu sanktionieren, idealerweise mit dem Ableisten von Sozialstunden, heißt es in dem Papier "What Colour" über Rassismus in den Stadien, das die Unesco am Dienstag beim Treffen der European Club Association (ECA) in Paris vorstellte. Unterstützt und auf die Tagesordnung gebracht hatte diese Studie Andrea Agnelli, der Präsident von Juventus Turin.

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