Fußball in Italien:Die letzte Schraube des Luca Toni

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Eine Verbeugung zum Abschied: Luca Toni beendet seine Karriere.

(Foto: AFP)

Als Strafraumstürmer und Abstauber wurde er abgetan. Aber das Publikum liebte ihn. Warum, das hat Luca Toni jetzt im letzten Spiel seiner Karriere noch einmal gezeigt.

Von Birgit Schönau, Rom

Wer weiß, ob Luca Toni an seinem alten Teamkollegen Gianluigi Buffon gescheitert wäre, mit dem er einst bei Juventus gespielt hatte und 2006 in Deutschland Weltmeister geworden war. Aber im Juve-Tor stand am Sonntagabend der Brasilianer Norberto Neto. Der ließ Tonis Strafstoß passieren, einen leichtfüßigen, fast übermütigen Lupfer, hineingelöffelt zum krönenden Abschluss einer bemerkenswerten Karriere. Hellas Verona, bereits abgestiegen in die Serie B, ging 1:0 in Führung gegen Juventus Turin, bereits Meister zum fünften Mal in Serie. Am Ende gewann das Tabellenschlusslicht sogar 2:1.

Und Toni schraubte am rechten Ohr. Zum letzten Mal. "Es wäre das Größte, mit einem Tor aufzuhören", hatte er vor dem Match gesagt. Seine Abschiedsvorstellung sollte vor eigenem Publikum stattfinden - am kommenden Sonntag, beim Saisonausklang in Palermo, wird er nicht mehr dabei sein. Als er sechs Minuten vor dem Schlusspfiff das Spielfeld verließ, ausgewechselt gegen einen gewissen Juanito Gomez, da hatte Toni Tränen in den Augen. Es gab die üblichen Ovationen sowie ein Spruchband mit der rätselhaften Aufschrift: "Toni Vizebürgermeister." Und das war's.

Toni hat zum Abschied alles bekommen

Fußballer-Abschiede sind häufig melancholisch. Kaum einer geht auf dem Höhepunkt der Karriere, fast alle treten ab, weil sie nicht mehr mithalten können mit den jungen Kollegen. Die letzte Saison wird größtenteils auf der Bank absolviert, und dann kommt irgendwann der letzte Tag. Noch einmal großes Publikum, und wenn man Glück hat, sogar ein großer Gegner. Und wenn einen die Fußballgötter besonders lieben, dann gelingt zum Schluss tatsächlich noch einmal ein Tor.

"Es sind schon starke Gefühle, die man empfindet, bevor sich der Vorhang senkt", hat Toni gestanden. Er hat dann alles bekommen: ein Publikum voller Verehrung, den stärksten Gegner überhaupt (auch wenn Juve mit Reserve-Besetzung antrat), das Tor. "Ein ganz großer Angreifer verlässt die Bühne", hatten ihn die Kollegen von Juventus verabschiedet: "Toni hat überall getroffen, auch zum ersten Tor für Juventus im eigenen Stadion." Das war 2011. Luca Toni blieb nur eine Saison in Turin und schaffte dort auch nur einen weiteren Treffer. Aber immerhin war der erste ja schon sporthistorisch.

14 Profiklubs hat Luca Toni in Italien gedient, großen Vereinen wie dem AC Florenz, dem AS Rom, CFC Genua und Juve, vor allem aber allen möglichen Provinzklubs. Zweimal wurde er in Italien Torschützenkönig - 2006 mit 31 Treffern für die Fiorentina und 2015 mit 22 Toren für Hellas Verona. Da war er schon 38 und teilte sich den Titel mit dem 16 Jahre jüngeren Argentinier Mauro Icardi von Inter Mailand. Es war ein großes Comeback, nach Jahren des Niedergangs.

Das Publikum liebte ihn

2012 erlebte Toni einen beruflichen und privaten Tiefpunkt. Er spielte damals in Dubai, eine frustrierende Erfahrung. Viel schlimmer aber war die Trauer um sein tot geborenes erstes Kind. Monatelang verstummte Toni in seinem Schmerz, inzwischen sind er und seine Frau Marta Eltern von zwei gesunden Kindern. Und ein weiterer, großer Wunsch ging in Erfüllung: die Karriere daheim, in Italien, zu beenden.

Nur einmal hatte der Lulatsch aus der Provinz Modena einen längeren Auslandsaufenthalt absolviert, das war von 2007 bis 2010 beim FC Bayern. Das erste Münchner Jahr des Monaco Toni war rauschhaft. Die Leute liebten den lebenslustigen, gut aussehenden Italiener, der Verein hätschelte ihn, nach jedem seiner Tore wurde in der heimischen Arena der gute, alte Gianna-Nannini-Gassenhauer "Bello e impossibile" gespielt - obwohl der schöne Luca ja überhaupt nicht "impossibile" war, sondern überaus gegenwärtig und erdverwurzelt. Mit 24 Toren wurde er in seinem Einstandsjahr Torschützenkönig in der Bundesliga, insgesamt kam er auf sagenhafte 39 Tore in 46 Pflichtspielen. Und nebenbei erwarb er sich auch noch einen sehr stattlichen Ruf als umschwärmter Sultan des Münchner Nachtlebens.

In München ließ er sich irgendwann nur noch im Gerichtssaal blicken

München und Toni - sie schienen wie füreinander gemacht zu sein, doch dann wurden im nächsten Jahr die Tore verletzungsbedingt weniger, und die große Liebe kühlte schon ein wenig ab. Als der markige Niederländer Louis van Gaal bei den Bayern das Zepter übernahm, flog Toni sogar aus dem Kader. Van Gaal kommandierte den leichtlebigen Italiener in die zweite Mannschaft ab, der Weltmeister musste in der Regionalliga auftreten. Es war eine unverblümte Aufforderung an den Spieler, seinen hochdotierten Vertrag zu kündigen, doch diesen Gefallen tat Toni dem FC Bayern nicht. Er ließ sich ausleihen, an den AS Rom. Und kam nie wieder.

In München ließ er sich nur noch im Gerichtssaal blicken, wo vor dem Oberlandesgericht eine Kirchensteuer-Nachzahlung von 1,7 Millionen Euro verhandelt wurde. Die deutsche Spezialität der Zwangssteuer für eine Religionsgemeinschaft kannte der Katholik Toni nicht, und sein Münchner Arbeitgeber sowie der deutsche Steuerberater hatten es offenbar auch versäumt, ihn darüber aufzuklären. Die Richter gaben dem Fußballer Ende 2015 weitgehend recht - Toni musste nach Informationen italienischer Medien trotzdem ein Scherflein von 450 000 Euro beisteuern.

22 Jahre hat Luca Toni im Profifußball absolviert. Als Strafraumstürmer wurde er abgetan, als Abstauber und altmodischer Budenmacher. Aber das Publikum liebte ihn, weil er stets ausstrahlte, dass Fußball kein kompliziertes Ding ist und Spaß machen sollte. 308 Mal Ohrenschrauben: was für eine Bilanz.

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