Fußball in Italien:Adler und Suppenhühner

Juventus Turin besiegt Lazio Rom 2:0 und bleibt Tabellenführer - aber alle reden nur vom merkwürdigen Torjubel des Carlos Tevez.

Von Birgit Schönau, Rom

Weil Juventus im Grunde genommen seit Monaten den vierten Meistertitel in Serie sicher hat, hat sich das Interesse in Italien auf Platz zwei verlagert. Dort überholte unlängst Lazio Rom die Lokalrivalin Roma um einen Punkt, was die Partie am Samstag im "Juventus Stadium" zum angeblichen Spitzenspiel machte: der Erste gegen den aktuellen Zweiten. Und die Tatsache, dass Lazio zuletzt acht Siege aufeinander stapeln konnte, während Juve ausgerechnet gegen den bereits abgestiegenen Tabellenletzten Parma gestolpert war, verlieh der Begegnung zusätzlich ein wenig Reiz: Würden die Römer jetzt mit einer atemberaubenden Aufholjagd beginnen?

Am Anfang sah es ganz so aus. Mit rasanter Ruppigkeit warf sich Lazio in die erste Viertelstunde, grimmig entschlossen, es den Turinern jetzt mal so richtig zu zeigen. Und die Siegesserie mit einem sensationellen Erfolg in der feinen Bonbonschüssel der feinen alten Signora zu krönen. Aber der 22 Jahre alte Brasilianer Felipe Anderson, mit zehn Saisontoren der Schrecken der gegnerischen Hintermannschaften, wurde von der Juve-Abwehr schnell entzaubert. Genau 27-mal ließ das Jungtalent sich den Ball abnehmen - wenn er denn überhaupt mal drankam.

Zu aufgeregt, zu nervös war Anderson an diesem Abend, doch sein erfahrener Sturmpartner Miroslav Klose machte es auch nicht besser. Klose zeigte zwar Kampfgeist, aber auch eine bestürzende Einfallslosigkeit. Nie sah der Veteran in dieser Saison so alt aus wie gegen Juventus. Wo Arturo Vidal die Gäste bereits zähnefletschend im Mittelfeld empfing und ihnen mit der üblichen Zackigkeit den Durchmarsch verweigerte. Weiter hinten mussten Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci wenig mehr zeigen als hoch gezogene Augenbrauen.

Er wisse noch nicht genau, was die Zukunft bringe, erklärt Tevez. Vermutlich einstweilen mehr Geld

Nach 17 Minuten war die Illusion von einem Donnerschlag gegen den ewigen Tabellenführer schon zerstoben. Es reichte ein langer Blindschuss von Barzagli in Richtung Lazio-Tor, den Vidal mit dem Kopf annahm. Er gab den Ball an Carlos Tevez weiter, der ihn nur noch einschieben musste: 1:0 für Juventus. Davon hatten sich die Römer noch nicht erholt, als Verteidiger Bonucci elf Minuten später das Lazio-Mittelfeld durchlief. 40, 50 Meter, ungestört, in aller Seelenruhe, bis zum kraftvollen Abschluss: 2:0. Eine halbe Stunde war um, und Lazio soweit bedient. Juventus konnte jetzt einen Gang herunterschalten, dem Gegner den Ball überlassen (Lazio hielt ihn zu 60 Prozent) und gewohnt umsichtig verteidigen. Schließlich kommt am Mittwoch, im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League in Monaco, ein saisonentscheidendes Spiel. Und das 1:0 im Hinspiel zu Hause bietet kein dickes Polster.

Dass auch das glatte 2:0 gegen Lazio für Klub und Fans nicht in jeder Hinsicht beruhigend ist, liegt ausgerechnet am besten Torjäger der letzten Jahre. Und am Jubel von Carlos "Carlitos" Tevez für seinen Saisontreffer Nummer 26. Kaum hatte nämlich der Argentinier den Ball neben dem armen Lazio-Schlussmann Federico Marchetti versenkt, da spreizte Tevez die Ellbogen vom Körper und spitzte den Mund: "Put, put, puuut..." Kein Zweifel, Carlitos ahmte eine Henne nach. Nun ist Lazios Wappentier ein Adler und kein Suppenhuhn, zu Heimspielen pflegt Adlerin "Olimpia" sogar über dem römischen Olympiastadion zu schweben. Was den AS Rom maßlos erbost, darf er doch keine echte Wölfin auf den Rasen schicken. Nur elf Pseudo-Wölfe, die zuletzt aussahen wie handzahme Hündchen.

Die Henne von Tevez, so fand man schnell heraus, war eine "Gallina", das Maskottchen von Atletico River Plate. Schon einmal hatte der Spieler aus einem Elendsviertel von Buenos Aires nach einem Treffer ein Huhn gemimt, nämlich 2004, beim Lokalderby zwischen Boca Juniors und River Plate. Damals flog Tevez wegen der öffentlichen Verhöhnung des Gegners vom Platz, diesmal versetzte er den eigenen Anhang in Angst und Schrecken: Ist das Gegacker ein Zeichen dafür, dass Carlitos schon zum Saisonende zurück nach Argentinien will? Dass er seine Karriere beim Herzensklub Boca Juniors beenden wolle, daran hatte Tevez bereits bei Vertragsabschluss in Turin im Sommer 2013 keinen Zweifel gelassen - und dann für drei Jahre unterschrieben.

Doch Stunden vor der Partie gegen Lazio blies Boca-Präsident Daniel Angelici zum Halali. Tevez habe sich entschlossen, nach Buenos Aires zurückzukehren, erklärte Angelici, "aus Heimweh zu uns". Postwendend antwortete Juve-Manager Giuseppe Marotta, der Argentinier habe sich allzu weit aus dem Fenster gelehnt, "ohne mit uns zu sprechen. Tevez hat uns nie gesagt, er wolle zum Saisonende zurück." Der Agent des Spielers mühte sich ebenfalls, die Wogen zu glätten: "Carlos wird später zurückkehren, noch gibt es einen gültigen Vertrag." Doch Tevez selbst denkt nicht daran, eindeutig zu werden. Nach dem Schlusspfiff erklärte er freudestrahlend, er wisse noch nicht so genau, was die Zukunft bringe. Vermutlich einstweilen mehr Geld, schließlich will man ihn in Turin unbedingt noch halten.

Was die Zukunft sonst noch bringen wird: Juves vierten Meistertitel im Mai, denn derzeit beträgt der Abstand zum Zweitplatzierten fette 15 Punkte. Und die Champions League für Rom. Ob mit Lazio, der Roma oder mit beiden, wird man dann noch sehen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: