Fußball in England:Peps Wunschspieler patzt

Torwart Claudio Bravo steht für die Abwehrschwäche von ManCity. Auch gegen Tottenham verspielt die Mannschaft des ehemaligen Bayern-Trainers eine Führung.

Von Sven Haist, London

Kein Thema hat die englischen Medien zuletzt mehr beschäftigt als die Diskussion um die Torhüter der Premier League. Schmerzlich bekam das in der Weihnachtszeit der FC Liverpool zu spüren. Die Kritik am deutschen Torwart Loris Karius schwoll so lange an, bis Jürgen Klopp ihn auf die Bank setzte. Gestoppt war die Debatte damit nicht - sie zog einfach weiter, etwa 50 Kilometer, zum Rivalen Manchester City.

Dort bewacht seit Sommer der Chilene Claudio Bravo das Tor der Citizens. Mit der Aussicht auf dessen Fußarbeit hatte Pep Guardiola ihn für 20 Millionen Euro aus seinem Vertrag beim FC Barcelona herauskaufen lassen. Citys neuem Trainer missfiel die Spieleröffnung von Bravos Vorgänger Joe Hart, der Katalane hielt Hart vor, dass die Qualität seiner Füße nicht der seiner Paraden mit den Händen entspräche. Hart hält nun für den italienischen Klub FC Turin, und Bravo eben für Manchester City - sofern er denn mal etwas hält.

Am vorvergangenen Spieltag war nämlich jeder Versuch des Gegners beim 0:4 gegen den FC Everton ein Treffer. Generell fanden von 59 Schüssen auf Bravos Tor in dieser Saison 25 den Weg ins Netz, mehr als jeder dritte also. "Es sieht danach aus, dass Citys Gegner denken: Sobald wir das Tor treffen, ist der Ball auch drin", spottete Fernsehexperte Gary Neville. Nach dem 2:2 von ManCity am Samstagabend gegen die Tottenham Hotspur wird die Kritik nicht abreißen.

Bravo leistete sich zwar keinen Aussetzer, eine Hilfe war er seinem Team aber auch nicht, als es darum ging, ein 2:0 zu halten. Dem Anschlusstreffer von Dele Alli (58.) ging eine Flanke durch den Fünfmeterraum voraus, die Bravo aus nächster Nähe lieber begutachtete statt abzufangen. An den Kullerball des ehemaligen Bundesliga-Profis Heung-Min Son (77.) kam er ebenfalls nicht heran. Erneut passierte es City, dass die ersten beiden Torannäherungen des Gegners zu Treffern führten.

Immerhin konnte sich Guardiola am Auftritt des Teams erfreuen, wenngleich der verpasste Sieg ein weiteres Indiz dafür ist, dass ihm nächste Saison erstmals eine Teilnahme an der Europa League droht. ManCity ist Fünfter in der Tabelle. "Es war eine sehr gute Leistung von uns. Schade ums Ergebnis. Wir haben mehr Chancen gehabt als der Gegner", sagte Guardiola.

Dabei leistete sich diesmal Bravos Pendant Hugo Lloris zwei folgenschwere Fehlgriffe, die Leroy Sané (49.) und Kevin De Bruyne (54.) nutzten. Lloris hüpfte mit dem Kopf an der Strafraumgrenze an einem Flugball vorbei. Danach legte er eine flache Hereingabe direkt vor die Füße von De Bruyne ab. Nach Liverpool und ManCity erreichen die Torwartpatzer jetzt das Team aus London. Das Unentschieden bremst den Lauf der Spurs von sechs Siegen nacheinander in der Liga. Ein siebter Erfolg hätte für Tottenham die Einstellung eines 49 Jahre alten Vereinsrekords bedeutet. Auch das Label "beste Abwehr" musste die Mannschaft von Mauricio Pochettino wieder an Tabellenführer Chelsea abgeben. Aber was sind schon 16 Gegentreffer im Vergleich zu den 28 von ManCity?

Viele Torhüter tun sich schwer in ihrer Debütsaison in England

In den Zeitungen wurde Guardiola vorgerechnet, dass selbst der Tabellen-16. FC Middlesbrough das eigene Tor besser verteidigt als sein Team. Das führt dann schnell wieder zurück zu Bravo, der im April 34 Jahre alt wird. Der chilenische Nationaltorhüter ist mit 110 Einsätzen Rekordspieler seines Landes. Als Kapitän stand er bei den beiden Triumphen in der Copa America in jeder Spielminute auf dem Platz. An seinem Beispiel zeigt sich jedoch, dass sich viele Torhüter in ihrer Debütsaison in England schwer tun. Mehr als in jeder anderen Liga wird in der Premier League ein robuster Körperbau benötigt - und eine souveräne Strafraumbeherrschung. Viele Mannschaften beschränken sich bei Angriffen auf Standardsituationen und hohe Zuspiele in den Torraum. Mit 1,85 Metern Körpergröße gehört Bravo zu den kleinsten Keepern auf der Insel, oft fehlt es ihm schlicht an Reichweite.

Andererseits könnte er auch mehr Unterstützung der Verteidiger erfahren. Gegen die Spurs belief sich der Altersschnitt der Abwehr auf 31 Jahre. Wieder mal musste Linksverteidiger Aleksandar Kolarov im Zentrum aushelfen. Auf einer Position, für die eigentlich der zuletzt konfus agierende John Stones geholt wurde, der für 55 Millionen Euro aus Everton gewechselt war. Und so scheint Guardiola zunehmend zu verzweifeln an der Unwucht des Kaders, den Sportdirektor Txiki Begiristain zusammengestellt hat. Anstatt eines neuen Verteidigers traf in dieser Woche Zugang Gabriel Jesus aus Brasilien ein. Wenn es der Plan der Citizens sein sollte, mehr Tore zu erzielen als der Gegner - dann wäre er am Samstag beim 2:2 fast aufgegangen. Doch Jesus stand bei seinem Tor kurz vor Schluss im Abseits.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: