FC Chelsea:Ein Hordentreiber regiert die Premier League

Chelsea manager Antonio Conte

Er verausgabt sich bei jedem Spiel: Trainer Antonio Conte ist berühmt und berüchtigt für seine furiosen Shows an der Seitenlinie.

(Foto: Peter Nicholls/Reuters)
  • Mit beinharter Disziplin und eiskalter Leidenschaft treibt der Trainer Antonio Conte den FC Chelsea von Sieg zu Sieg.
  • An diesem Mittwochabend trifft sein Team auf die Tottenham Hotspurs.
  • Hier geht es zur Tabelle der Premier League.

Von Birgit Schönau

Es folgte ein Triumphmarsch in Blau, nachdem Antonio Conto die verflixte "13" mit seinem FC Chelsea soeben hinter sich gebracht hatte: 4:2 wurde an Silvester Stoke City verputzt. An diesem Mittwoch (21 Uhr) ist nun Tottenham Hotspur dran, eine ungleich härtere Nuss, wenn auch zehn Punkte hinter Chelsea platziert. Ein Sieg gegen Tottenham wäre der 14. in Serie, unglaublich, unfassbar, oder, um es mit Contes Lieblings-Superlativ zu beschreiben: agghiacciante.

Wörtlich bedeutet das "schockgefrierend", und tatsächlich hat der Nussknacker aus Süditalien die Premier League eiskalt erwischt. Kollegen wie José Mourinho und Pep Guardiola hecheln ihm hinterher, der eine mit zehn (Pep), der andere gar mit 13 Punkten Abstand, als ernsthafter Rivale gilt nur noch Jürgen Klopp mit seinem FC Liverpool.

Sicher, die Saison ist noch lang, und doch erinnert Contes fulminante Siegesserie schon jetzt an jene seine Landsmannes Claudio Ranieri, der im Vorjahr gegen alle Vernunft mit dem FC Leicester Meister wurde. Eine Sensation. Wenn Conte in diesem Jahr Ranieri beerbte, würde das kaum jemanden erstaunen, schließlich trainiert er nicht Leicester, sondern Chelsea. Nicht irgendeinen Provinzklub, sondern den blasiertesten Verein der Hauptstadt.

Conte ist ein Mann der Mimik, der Gesten

"Italy rules", behauptet in patriotischer Hochstimmung die Gazzetta dello Sport, deren Reporter schon mal sehr glücklich darüber sind, dass der nächste italienische König von England in London residiert, wie sich das gehört. Italien regiert, das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, schließlich mühen sich Walter Mazzarri mit dem FC Watford und Ranieri im zweiten Jahr bei Leicester gerade eher um den Klassenerhalt. Aber das sind Details, die nicht den Blick auf das Wesentliche versperren sollten.

Und das Wesentliche ist, dass nicht die finsteren Zyniker vom Schlage Mourinhos oder die perfektionistischen Ideologen wie Guardiola den Takt vorgeben, sondern taktische Pragmatiker wie Conte oder auch Klopp. Zwei Alphatiere mit - lustig, aber wahr - kunstvoll eingepflanzter Haarpracht, offenbar unerlässlich für die Samson'sche Kraft und Autorität eines dynamisch-besessenen Hordenführers.

Dabei war Conte, über dessen Haarproblem zu Hause Kübel von Hohn gegossen wurden, auch mit großer Stirnglatze schon ganz erfolgreich. Seine Trainerkarriere begann der langjährige Kapitän von Juventus Turin und Nationalspieler beim AC Siena, bevor er zu Juve zurückkehrte und dort zwischen 2012 und 2014 drei Meistertitel in Serie gewann. Anschließend wurde Conte Nationaltrainer und überraschte nach einer glänzend absolvierten Qualifikation bei der EM in Frankreich mit der ältesten, aber taktisch raffiniertesten Mannschaft des Turniers. Im Viertelfinale unterlagen die Azzurri Deutschland beim Elfmeterschießen, danach, so Conte, habe es in der Kabine Tränen gegeben, nicht wegen der Niederlage, "sondern weil wir wussten, wir sehen uns so bald nicht wieder".

Wie noch jede Auswahl zuvor hatte der Coach auch die Squadra Azzurra vollkommen auf sich eingeschworen. In der Symbiose und der obsessiven Motivation liegt sein Erfolgsgeheimnis. Der Apulier Conte ist kein großer Redner, sein Italienisch ist einfach, sein Englisch erst recht rudimentär. Er ist ein Mann der Mimik, der Gesten. Auf Engländer wirkt so viel Italianità nahbar, in Wirklichkeit geht Conte aber immer auf sicheren Abstand.

Alle Spieler wollen von diesem mysteriösen Trainer respektiert werden

Wenn Chelsea nicht gerufen hätte, wäre er wohl noch Nationaltrainer geblieben, länger als nur zwei Jahre, aber nicht in alle Ewigkeit. Conte braucht den täglichen Einsatz auf dem Platz, die dauernde Auseinandersetzung mit dem Team. Das Schleifen und Formen. Darin, aus jedem Spiel das Beste, nein, das Äußerste herauszupressen, ist Conte derzeit unbestrittener Meister. Sein tägliches Brot sind Spannung und Obsession, wer das aushält, wächst garantiert über sich hinaus.

Doch selbst wenn Diego Costa mit seinen 14 Treffern derzeit die Torschützen der Premier League anführt und wenn auch Torwart Thibaut Courtois bislang elf Spiele ungeschlagen absolvierte: Conte treibt den Einzelnen an, sein Star bleibt aber das Kollektiv. Sein Charisma nährt sich daraus, dass alle von diesem Respekt einflößenden, mysteriösen Mann respektiert werden wollen.

Er verlangt Einsatz bis zur physischen Erschöpfung, er selbst verausgabt sich ebenfalls bei jedem Spiel, bei seinen furiosen Shows an der Seitenlinie. Sich darüber zu beschweren, wie es José Mourinho tat, der den Torjubel des Kollegen beim vierten Treffer gegen Mous Manchester United unangemessen, ja unsportlich fand, ist ebenso sinnlos wie unfair. Denn Conte, der einst im Mittelfeld ein großer Tober, Wühler und Kämpfer war, erlebt auch heute das Spiel seines Teams mit jeder Körperfaser mit. Er würde auch beim 7:0 gegen United ausflippen - nicht aus Arroganz, sondern, ganz im Gegenteil, aus Leidenschaft.

Conte mischt englische Körperlichkeit mit italienischem Taktikverstand

Auf dem Platz wird bei ihm viel gerannt, es werden viele Zweikämpfe bestritten, sein Fußball ist genauso athletisch wie Guardiolas Spiel abstrakt und Mous etwas müde gewordenes System abgezockt ist. Die Körperlichkeit der englischen Tradition kommt Conte entgegen, er versieht sie jedoch mit italienischem Taktikverstand. Die finanzielle Notlage der Serie A hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Trainer sich ihre Mannschaften erfinden müssen, anstatt sie sich wie in früheren Zeiten von ihren Präsidenten zusammenkaufen zu lassen.

Anders als Fabio Capello, der als englischer Nationaltrainer einen allzu altmodischen Nussknackerfußball spielen ließ oder der launische Schöngeist Roberto Mancini, der mit Manchester City immerhin mal Meister wurde, vereinigt Conte beinharte Abwehrdisziplin mit schnellem Offensivspiel und taktischer Flexibilität. Seine Dreierabwehr wird bei Bedarf auf fünf Mann aufgestockt, es darf Tore hageln, aber keine Gegentreffer.

"Was Antonio bei Chelsea zeigt, ist beeindruckend", sagt Carlo Ancelotti, der von 2009 bis 2011 selbst am Hofe Roman Abramowitschs agierte. Ancelotti lobt den Landsmann für dessen "Mut, Ideenreichtum, Persönlichkeit und Erfahrung". Conte lehnt solche Vorschusslorbeeren ab. Bitte erst nach dem Titel!

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