Fußball in der Schweiz:Notizen im Kalender

Bei vielen Schweizer Nationalspielern läuft es gerade so gut, dass die Mannschaft sich reif wähnt für den ersten Sieg gegen Deutschland seit 1956.

David Wiederkehr

Manche Daten bleiben im Gedächtnis, sie sind wichtig. Für den Schweizer Fußball ist der 10. Juni 2001 so ein Datum, es war ein Sonntag, an dem Jakob Kuhn Trainer der Nationalmannschaft wurde. In der Folge erlebte die Schweiz die schönsten Fußballjahre seit es Farbfernseher gibt. In zweieinhalb Monaten kulminieren diese in der Ausrichtung einer Europameisterschaft.

Fußball in der Schweiz: Köbi Kuhn ist seit 2001 Nationaltrainer der Eidgenossen. 2007 wurde er zum Schweizer des Jahres gekürt.

Köbi Kuhn ist seit 2001 Nationaltrainer der Eidgenossen. 2007 wurde er zum Schweizer des Jahres gekürt.

(Foto: Foto: AFP)

Diesem - für ein kleines Land wie die Schweiz - außergewöhnlichen Anlass kam am 19. Februar 2008 eine weitere Notiz im Kalender der wichtigen Daten zuvor. An einem Dienstag unterschrieb Ottmar Hitzfeld seinen Vertrag mit dem Schweizerischen Fußballverband, er wird Kuhns Posten nach der EM übernehmen. Die Unterschrift war von den Fußballanhängern im Land mit Ungeduld erwartet worden.

Hitzfeld arbeitete in der Schweiz während vieler Jahre genauso erfolgreich wie später in der Bundesliga. Er besitzt im Bergdorf Engelberg ein Haus und baut in Lörrach unweit der Schweizer Grenze ein weiteres. Mehrmals war er Kandidat für das Amt des Nationaltrainers - dass er 2004 nicht deutscher Teamchef wurde, rief in der Schweiz bei den Fans fast ausschließlich Applaus hervor.

Ein halber Eidgenosse

Nicht wenige von ihnen bezeichnen den Trainer des FC Bayern München als halben Eidgenossen. Und weil das der Kopfmensch Hitzfeld ganz genau weiß, könnte es auch Kalkül gewesen sein, als er bei seiner Antrittsrede Anfang März in einem Hotel beim Flughafen Zürich sagte: "Ich war als Kind mit meinem Vater bei Länderspielen der Schweiz in Basel, bei der Nationalhymne musste ich auch schon Tränen unterdrücken." Eine solche Aussage kommt gut an.

Jakob Kuhn hatte früh bekanntgegeben, dass er nach der EM zurücktreten werde. Und der Verband hatte danach stets betont, dass er den Nachfolger aus Planungsgründen vor der EM benennen werde.

Bei anderen Charakteren könnte diese Konstellation einen Konflikt zwischen scheidendem und neuem Trainer provozieren. Hitzfeld aber sagte: "Bis zum 1. Juli spreche ich nicht mehr über die Schweizer Nationalmannschaft." In dieser Aussage steckte auch große Wertschätzung der Arbeit von Kuhn.

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Notizen im Kalender

Kuhn hat mit dem Nationalteam ohnehin genug zu tun, als dass er sich auch noch mit seinem Nachfolger beschäftigen könnte. Seit der 1:3-Niederlage gegen Deutschland im Februar 2007 in Düsseldorf hat die Schweiz fünf weitere der zehn Freundschaftsspiele verloren, Verletzungssorgen hinderten den Nationaltrainer daran, auch nur einmal seine Wunschformation aufstellen zu können.

Alexander Frei zum Beispiel, der Stürmer von Borussia Dortmund, fiel ein Jahr lang verletzt aus, ehe er nun für das Spiel gegen Deutschland am Mittwoch in Basel in die Mannschaft zurückkehrt. Genau wie seine Teamkollegen brennt er nun darauf, als Teil der Mannschaft in die Statistik einzugehen, die den Nachbarn zum ersten Mal seit 1956 besiegt.

Schweizer in Topform

Einige Schweizer zeigten sich zuletzt in guter bis blendender Verfassung. Torhüter Diego Benaglio erlebte in Wolfsburg einen traumhaften Einstieg nach seinem Transfer von Madeira, Verteidiger Mario Eggimann wähnt sich mit dem Karlsruher SC auf Uefa-Pokal-Kurs, Leverkusens Tranquillo Barnetta spielt seit Saisonbeginn konstant auf hohem Niveau, und für Alexander Frei spricht trotz langer Absenz die höchst ansehnliche Trefferquote im Nationaldress. Er ist zwei Tore davon entfernt, den Torrekord in der Mannschaft zu brechen.

Daneben ist der türkischstämmige Gökhan Inler nach seinem märchenhaften Aufstieg Stammspieler bei Udinese Calcio und nicht erst seit seiner Wahl zum besten ausländischen Transfer der Serie A durch die Gazzetta dello Sport wichtig für Kuhn.

Kapitän Frei ist gesetzt

An Inlers Seite im zentralen Mittelfeld dürfte Gelson Fernandes gesetzt sein, der auf den Kapverden geboren wurde und im vergangenen Sommer für sechs Millionen Euro zu Manchester City wechselte.

Flügelspieler Stephan Lichtsteiner (OSC Lille) wurde von Frankreichs Sportzeitung L'Équipe jüngst zum drittbesten Feldspieler der Ligue 1 erkoren, Blaise Nkufo von Twente Enschede belegt im Torschützenklassement der niederländischen Ehrendivison den zweiten Rang - ihm will allerdings der Durchbruch in der Nationalelf nicht gelingen. Auch deswegen ist es die Offensive, die Kuhn die größten Sorgen bereitet, als einziger ist Kapitän Frei gesetzt.

Derdiyok debütiert im Schweizer Dress

So könnte sich der 6. Februar 2008 als nächstes erinnerungswürdiges Datum herausstellen. An jenem Mittwochabend debütierte der erst 19-jährige Eren Derdiyok vom FC Basel im Dress des Schweizer Nationalteams; Gegner war England und Ort der Begegnung das Wembley-Stadion in London. Derdiyok schoss das Tor zum 1:1 auf dem Weg zur 1:2-Niederlage und war einer von nur wenigen Gewinnern im Schweizer Team.

Womit der Stürmer, der vor gut zwei Jahren ein Torjäger in der vierten Liga war, nicht bloß eine Perspektive für Ottmar Hitzfeld ist, sondern eine ganz reale Möglichkeit für Jakob Kuhn.

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