Fußball in Brasilien:Diego wird gefeiert wie der König von Rio

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Auf ihm ruhen Rios Hoffnungen: Mittelfeldspieler Diego, 31, ist zwar nicht mehr so schnell, aber immer noch so trickreich wie früher.

(Foto: imago/Agencia EFE)

Nach Olympia und Paralympia kicken Flamengos Fußballer endlich wieder im Maracanã. Die Rückkehr bewegt ganz Brasilien - und auf einem Spieler ruhen große Hoffnungen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Soll noch einer behaupten, das sogenannte olympische Vermächtnis sei eine Erfindung von Marketingstrategen der internationalen Sportorganisationen. Von jenem Vermächtnis, das die Spiele von 2016 ihrer Ausrichterstadt Rio de Janeiro hinterließen, gibt es jedenfalls eindrucksvolle Bilder, die ein Fotograf der Zeitung O Globo bei einem Helikopterflug aufgenommen hat. Es handelt sich um ein Loch, sechs Meter lang, vier Meter breit und 1,80 Meter tief. Und zwar exakt an der Stelle, wo eigentlich der Mittelkreis des Rasens vom Maracanã sein müsste.

Die Grube wurde für die Bühnenkonstruktion der paralympischen Eröffnungsfeier am 7. September gebuddelt, gut anderthalb Monate hat es gedauert, bis sie wieder zugeschüttet und Gras drüber gewachsen war. "Wir Brasilianer sind halt nicht immer die Schnellsten", scherzte Diego Ribas da Cunha, nachdem er den neuen (und natürlich schon wieder heiligen) Rasen am Sonntag erstmals betreten hatte. Das Maracanã darf jetzt endlich wieder ein Fußballstadion sein, die Heimstätte des "Clube de Regatas do Flamengo". Der wurde einst als Ruderklub gegründet, hat heute angeblich 40 Millionen Fans und bezeichnet sich als "beliebtesten Verein der Welt". Zu den lautesten gehört er allemal - wenn der Rasen kein Loch hat und die Tribünen überfüllt sind, so wie an diesem Abend.

Der Mittelfeldspieler Diego, 31, ist auch nicht mehr der Schnellste. Aber seine Ecken und Freistöße sind noch immer so präzise wie eh und je, seine Pirouetten so anmutig wie früher. Bei seiner Maracanã-Premiere als Spielmacher von Flamengo wurde er wie der König von Rio gefeiert. Er sprach nachher von "einem der schönsten Momente meiner Karriere". Und es klang authentisch.

Diego hat schon einige gute Momente hinter sich, er war zweimal brasilianischer Meister mit seinem Heimatklub FC Santos, Weltpokalsieger mit dem FC Porto, DFB-Pokalsieger mit Werder Bremen, Last-Minute-Nichtabsteiger mit dem VfL Wolfsburg, spanischer Meister mit Atlético Madrid und zuletzt türkischer Supercup-Sieger mit Fenerbahçe Istanbul. Im August, in Rio war gerade Olympia, wurde er bei laufendem Ligabetrieb von Flamengo verpflichtet.

Der Verein aus Rios Stadtteil Gávea ist auch deshalb ein Phänomen, weil seine Beliebtheit in keinem Verhältnis zu seinen meist kümmerlichen Darbietungen steht. Seine besten Jahre liegen lange zurück, Anfang der Achtziger war das, als noch der große Zico im Mittelfeld regierte. Seitdem sehnt sich die rot-schwarze Nation, wie die Flamengo-Fans genannt werden, vergeblich nach einem neuen Zico. Derzeit projizieren sich die Sehnsüchte vor allem auf Diego Ribas da Cunha.

Auch Zé Roberto zaubert noch

Seit er da ist, hat Flamengo nur eins von zwölf Spielen verloren, erstmals seit Jahren mischen die Rot-Schwarzen wieder im Rennen um die Meisterschaft mit, die Anfang Dezember zu Ende geht. Ausgerechnet in dieser chaotischen Saison, in der der Hauptmieter des Maracanã sein erstes Heimspiel erst am 32. von 38 Spieltagen austragen konnte.

Wegen der Vorbereitungen, der Durchführung sowie dem löchrigen Erbe von Olympia und Paralympics tourte Flamengo in den vergangenen Monaten als Flüchtlingsteam durch Brasilien. Seine, nun ja, Heimspiele fanden mal in Brasília statt, knapp 1500 Kilometer entfernt, und mal in Manaus, knapp 3000 Kilometer weit weg. Der brasilianische Verband brachte es sogar fertig, Rios legendäres Derby zwischen Flamengo und Fluminense in eine entlegene Bergstadt namens Volta Redonda auszuquartieren. Diego glänzte dort vor rund 11 000 Zuschauern.

In den vergangenen Tagen gab es in Brasilien kein emotionaleres Thema als die Rückkehr von Flamengo ins Maracanã. Der Verein ließ zu diesem festlichen Anlass sogar ein Lied komponieren, es hieß "Dia de Maldade", Tag der Boshaftigkeit. Das war als Kampfansage an den Gegner Corinthians aus São Paulo gedacht. Tatsächlich schien es vor allem die eigene Mannschaft einzuschüchtern. Diego und seine Kollegen wirkten angesichts der ungewohnten Heimspielatmosphäre so nervös wie schon lange nicht mehr, am Ende reichte es immerhin zu einem 2:2 - dank einer Eckball- sowie einer Freistoßvorlage von Diego und zwei Kopfballtoren des Peruaners Paolo Guerrero, der einst für den FC Bayern und den Hamburger SV stürmte. "Ein unvergessliches Fest mit einem traurigen Ergebnis", bilanzierte Diego.

Flamengo hat damit im Titelrennen mit Palmeiras zwei dringend benötigte Punkte verschenkt. Auch beim Tabellenführer aus São Paulo ist die aktuelle Erfolgsgeschichte eng verbunden mit einem alten Bekannten aus der Bundesliga, mit dem ewig jungen Zé Roberto, 42. Der vermutlich einzige Fußballer, der mit jedem Jahr schneller und wendiger wird, gewann mit seinem Team vor einiger Zeit auch das Auswärtsspiel gegen den großen Rivalen aus Rio. Auswärts in Brasília.

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