Fußball in Brasilien:Aus der Zelle direkt ins Tor

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Der brasilianische Torhüter Bruno Fernandes da Souza bei seiner Verhaftung im Jahr 2010. (Foto: Imago/Fotoarena)
  • Der Torwart Bruno wurde einst als Frauenmörder verurteilt, nun kommt er aus dem Gefängnis frei.
  • Der Zweitligist, der ihm prompt einen Zweijahresvertrag gibt, muss sich kräftiger Proteste erwehren.
  • Menschenrechtler protestieren sogar vor der Klubzentrale.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

In der brasilianischen Presse gibt der Torhüter Bruno gerade Interviews, die wie branchenübliche Comeback-Ankündigungen klingen: Er sei froh, wieder auf dem Platz zu stehen, wolle den Blick nach vorne richten, träume weiterhin von einer Berufung in die Seleção, müsse aber erst einmal von Spiel zu Spiel denken. Tatsächlich ist gar nichts üblich an dieser Rückkehrergeschichte.

Bruno Fernandes de Souza, 32, hat sieben Jahre lang nicht gespielt. Nicht, weil er so lange verletzt gewesen wäre, sondern wegen "dieses Vorfalls in der Vergangenheit", wie er das nennt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er seine Geliebte hatte hinrichten lassen

Sein neuer Klub, der Zweitligist Boa Esporte aus der Stadt Varginha im Bundesstaat Minas Gerais, erlaubt keine weiteren Fragen zu dieser Vergangenheit. Das ist auch gar nicht nötig, jeder brasilianische Fußballfan kennt Bruno, der einmal einer der besten Keeper des Landes war. Alle wissen, was mit "diesem Vorfall" gemeint ist.

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Drogenhandel und Geldwäsche werden dem 46-Jährigen zum Verhängnis. Eine Deutsche wird jüngste Weltmeisterin in der Skeleton-Geschichte. Viktoria Rebensburg ärgert sich erneut.

Bruno wurde in erster Instanz zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er im Jahr 2010 seine ehemalige Geliebte Elizia Samudio von einem Auftragsmörder hatte hinrichten lassen. Die Leiche der Frau ist bis heute nicht aufgetaucht. Laut der Anklage der Staatsanwaltschaft soll sie der Auftragsmörder an seine Rottweiler verfüttert haben. Bruno sagte vor Gericht, er kenne die Hundegeschichte; er bestritt allerdings, dafür einen Auftrag erteilt zu haben. Der Prozess wurde damals im Fernsehen wie eine Telenovela ausgewalzt. Es war die brasilianische Version des Falles O. J. Simpson, des amerikanischen Footballhelden, der 1994 seine Frau umgebracht haben soll.

Bis zu seiner Verhaftung gehörte Bruno zu den populärsten Fußballern Brasiliens. Den Traditionsklub Flamengo aus Rio de Janeiro hatte er kurz zuvor noch als Kapitän zur Meisterschaft geführt. Er galt als Kandidat fürs Nationalteam, angeblich lag ihm ein Angebot vom AC Milan vor. Sein Fall sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil er vom zügellosen Leben der Fußballstars erzählte, die es in kurzer Zeit aus ärmsten Verhältnissen zu großem Reichtum gebracht hatten. Aus einer angeblich "15-minütigen" Affäre mit Eliza Samudio, einem Model, das in einigen Pornofilmen mitgewirkt hatte, ging ein gemeinsamer Sohn hervor: Bruninho, der kleine Bruno. Samudio wollte den verheirateten Profi offenbar zur Anerkennung der Vaterschaft und zu Unterhaltszahlungen zwingen. Sie soll ihm auch damit gedroht haben, die Story an die Boulevardpresse weiterzuleiten. Dann verschwand sie für immer.

Der Fall war schon fast in Vergessenheit geraten, als er vor drei Wochen eine erste überraschende Volte erlebte: Bruno wurde auf Bewährung freigelassen. Nach sieben statt 22 Jahren. Ein Richter des Obersten Gerichtshofs hatte dem Torwart die Freiheit geschenkt - mit dem Argument, dass sich sein Einspruchsverfahren über die gesetzliche Frist hinaus verzögert hatte. Das höchste brasilianische Gericht ist derzeit heillos überlastet, unter anderem weil sich dort die Anklagen gegen 83 Spitzenpolitiker rund um den gigantischen Schmiergeldskandal des Baukonzerns Odebrecht stapeln. Brunos vorzeitige Entlassung wurde von vielen Brasilianern als Justizskandal empfunden. Umso größer ist die Aufregung angesichts der zweiten Volte: Kaum ist der Torwart raus aus der Zelle, hat er schon wieder den nächsten Profivertrag in der Tasche.

Am Dienstag wurde Bruno vom Zweitligaaufsteiger Boa Esporte also als neuer Top-Transfer präsentiert. Er hat dort bereits einen Medizincheck sowie die ersten Trainingseinheiten hinter sich. Er habe sich in der Gefängniszelle fit gehalten, erklärte Bruno lächelnd. Spätestens im April will er sein erstes Pflichtspiel machen.

In Varginha, einer eben noch verschlafenen Stadt mit 130 000 Einwohnern, ist jetzt nichts mehr, wie es einmal war. Während Bruno am Rande des Trainingsplatzes Autogramme für kleine Kinder unterzeichnete und sich von Boa-Esporte-Fans feiern ließ, protestierten Menschenrechtler und feministische Aktivistinnen vor der Klubzentrale. Einige trugen Hundemasken. Gleichzeitig wurde die Internetseite des Vereins gehackt. "Und, hat Bruno schon gesagt, wo der Körper von Eliza ist?", stand dort in großen Buchstaben. Falls Boa Esporte mit der Verpflichtung auf einen Marketing-Coup setzte, dann ging das jedenfalls schief. Der Hauptsponsor und der Trikotausrüster kündigten aus Protest ihr Engagement.

Eine zweite Chance für Bruno?

Die Klubführung will sich davon aber nicht beirren lassen. Sie argumentiert, dass jeder, auch der Torwart Bruno, eine zweite Chance verdient habe. Viele Brasilianer fragen sich jedoch, ob diese Chance ausgerechnet in einem Zweijahresvertrag bestehen muss. Und was der Profifußball für ein Signal aussendet, wenn sich ein verurteilter Frauenmörder einfach so ins Tor stellen kann, als ob nichts gewesen wäre.

Vergangene Woche gingen überall in Lateinamerika, auch in Brasilien, Hunderttausende auf die Straße, um gegen die unfassbare Zahl an Frauenmorden und Vergewaltigungen zu protestieren. Große Teile dieser Gesellschaften scheinen sich endlich gegen den chronischen und tödlichen Machismo aufzulehnen. Bloß der Fußballbetrieb hat davon offenbar noch nicht viel mitbekommen. Brunos Anwalt teilte mit, seinem Spieler hätten Angebote von sieben Vereinen vorgelegen.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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