Fußball:"Ich würde Guardiola gerne in der Oberliga sehen"

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Pep Guardiola, im Trainingslager in Katar. (Foto: dpa)

Frank Wormuth bildet beim DFB die Fußballlehrer aus. Er spricht über den Umgang mit Millionären auf dem Fußballplatz und darüber, was einen guten Trainer ausmacht.

Interview von Thomas Hummel

Frank Wormuth, 55, leitet seit acht Jahren die Fußballlehrer-Ausbildung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Jeder deutsche Trainer, der einen Bundesliga-Klub trainieren will, muss bei ihm auf die Schulbank.

Über Pep Guardiola heißt es, er sei der beste Trainer der Welt. Genießen Sie es, ihn noch ein halbes Jahr in der Bundesliga zu sehen?

Wormuth: Schade ist, dass wir den Trainern nicht im Verein bei ihrer Arbeit zusehen können. Dann würden wir sehen, dass es auch viele überragende deutsche Trainer gibt. Ich würde nicht nur bei Pep Guardiola gerne Mäuschen spielen, sondern auch bei Trainern, die weniger im Rampenlicht stehen. Bei Stefan Ruthenbeck in Fürth zum Beispiel, den ich aus unserer Ausbildung kenne. Es gibt auch Taktikfüchse in der dritten Liga. Sollen wir jemanden, der medial hervorgehoben wird, als besten Trainer der Welt bezeichnen? Es gibt sehr viele gute Trainer, die mit weniger guten Spielern herausragende Leistungen bringen.

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Guardiola ist zumindest sehr begehrt auf dieser Fußball-Welt.

Pep Guardiola ist ein hervorragender Trainer, aber - mit Verlaub - er hat bisher immer nur hervorragende Mannschaften trainiert. Ich würde ihn gerne einmal bei einer durchschnittlichen Mannschaft in der Oberliga sehen.

Um ein Detail herauszuheben: Guardiola hat eine taktische Flexibilität in die Bundesliga gebracht, die in dieser Dimension neu ist.

Können Sie mir das genauer erklären?

Er wechselt im Spiel bisweilen komplett das taktische Konzept, von 4-2-2-2 auf 3-5-2 auf x-x-x und zurück. Manchmal per Zettel.

Diese Zahlenspielereien werden absolut überbewertet. Ich zeige meinen Schülern in der Fußballlehrer-Ausbildung, dass eine Mannschaft innerhalb eines Spiels drei oder vier Systeme spielt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Aber natürlich: Bei Bayern München kann David Alaba drei Positionen gleich gut spielen, da kann man alles machen. Bei anderen Klubs klopft der Verteidiger nur die Bälle raus, und wenn er dann Rechtsaußen spielen soll, funktioniert das nicht.

Gibt es irgendwelche Impulse, die Guardiola der deutschen Trainerbranche gegeben hat?

Sicher, wobei wir nicht wissen, wie er direkt mit den Spielern arbeitet. Generell: Ob ein Trainer Erfolg hat, das entscheidet sich in kleinen Situationen. Was er sagt, wenn es nicht läuft. Und da meine ich nicht die großen Krisen, sondern kleine Aktionen im Spiel. Spüren, wenn ein Spieler negative Stimmung hat und ihn da rausholen. Erkennen, dass der Gegner auf der linken Seite ein Problem hat und das mit der eigenen Mannschaft ausnutzen. Das sind Details des Tagesgeschäfts, die hochinteressant sind und einen guten Trainer ausmachen. Und es gibt den Spruch meines Kollegen Bernd Stöber (arbeitet in der DFB-Trainerausbildung; Anm. d. Red.): 'Manch eine Mannschaft kann den Erfolg des Trainers nicht verhindern.' Ich muss ihm recht geben: In der Kaderzusammenstellung entscheidet sich, ob du von außen betrachtet ein guter Trainer sein wirst oder nicht.

Trainer wie Guardiola, Mourinho, Klopp sind Popstars der Branche. Ist Ihnen die Heldenverehrung suspekt?

Nein, aber das hat mit Fußball an sich nichts zu tun. Das ist ein Zeitgeist. Die Medien heben die Trainer hervor, und wenn diese auch noch eloquent reden können, entsteht eine Art Fankultur.

Spielt der Aspekt Medien eine Rolle in der Trainer-Ausbildung?

Klar, aber die Leute, die sich bei uns ausbilden lassen, kennen das Fußballgeschäft ja schon. Sie wissen, dass das ein wichtiger Faktor für ihre Karriere ist. Zum Umgang mit den Medien, auch mit Facebook und Twitter, machen wir ein Kommunikationsseminar. Aber zu sehr in die Tiefe können wir nicht gehen.

Laut DFB bieten Sie für Trainer eine "vielschichtige Bildung" und "umfassende Ausbildung" an. Wo liegen da aktuell die Schwerpunkte?

Frank Wormuth als Trainer der U20-Nationalmannschaft. (Foto: imago/Eibner)

Ich würde sagen: in der Individualisierung.

Was heißt das?

Wir wollen den Einzelnen in die Mitte stellen. Das ist nicht unsere Erfindung, sondern Trend in der Erwachsenenbildung. Das beginnt bei der Zusammenstellung der Kurse: Wir nehmen nicht immer die besten 24, sondern suchen auch die, die der Gruppe am meisten bringen können. Wir holen Trainer aus der Jugend, den Amateuren, den Profis etc. rein, arbeiten viel in Kleingruppen, wo das Wissen ausgetauscht wird. Unsere Kursteilnehmer bringen sich gegenseitig das meiste bei, nach der Maxime: Wer lehrt, der lernt. Wir Dozenten sind Wegbegleiter.

Sind Sie manchmal überrascht, dass theoretisch gute Trainer in der Praxis scheitern? Oder umgekehrt: Schwache Schüler haben Riesenerfolg?

Sie können einem guten Schüler nicht garantieren, dass er später erfolgreich sein wird. Denn was heißt Erfolg? Ist ein Markus Weinzierl (Trainer beim FC Augsburg) nun plötzlich kein guter Trainer mehr, weil der Tabellenplatz nicht mehr stimmt? Ist Christian Streich (SC Freiburg) ein schlechter Trainer, weil er abgestiegen ist? Wir müssen da aufpassen mit den Beurteilungen.

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Was macht für Sie einen guten Trainer aus?

Da gibt es einiges, aber nehmen wir mal Darmstadt und Bayern. Der Aufsteiger eröffnet das Spiel immer mit einem weitem Ball, weil er bloß kein Risiko eingehen will. Die Münchner spielen Ballbesitz-Fußball, weil sie die Spieler dazu haben. Die Frage lautet: Kann ein Trainer von Darmstadt 98 bei Bayern München arbeiten? Oder umgekehrt? Wenn er das kann, dann ist er ein guter Trainer, weil er sich an die Spieler anpassen kann. Ein früherer Trainer bei Real Madrid sagte einmal: 'Ich muss aufpassen, dass ich die Mannschaft nicht falsch trainiere, denn die spielt alleine auch gut.' Es gibt Mannschaften, die müssen nur gut geführt werden. Das muss ein Trainer erkennen. Wenn zu Real ein Ausbildungscoach kommt, macht der vielleicht alles kaputt.

Die Beschäftigung mit dem einzelnen Spieler ist heute vermutlich Standard.

Das machen eigentlich alle. Das erfordert allein der Respekt vor dem Individuum. Früher gab es diese knurrigen Trainer, die sich um keinen Spieler gekümmert haben, sondern nur das Ganzheitliche sahen. Die über Angst mit der Mannschaft arbeiteten und einfach Spieler austauschten, wenn sie nicht funktionierten. Aber diese Zeit ist vorbei. Spieler sind heute Ich-AGs auf dem Fußballplatz, Millionäre mit Berater-Firmen hinten dran, da kann der Trainer nicht hingehen und sagen: Mir völlig wurscht, was der daheim für Probleme hat. Denn sein Job hängt auch davon ab, dass der Spieler X funktioniert.

Das erfordert Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis.

Es gibt einige Methoden, den Menschen zu analysieren. Aufgrund der Psychologie müssten wir unseren Kurs eigentlich verlängern, weil da viel Potenzial drinsteckt.

Macht die Psychologie den Trainerberuf heute komplizierter als früher?

Der Beruf ist interessanter geworden, nicht komplizierter. Weil wir uns jetzt mit dem Kopf des Gegenübers beschäftigen. Was wir früher nicht gemacht haben. Zu meiner Zeit hieß es noch: Du spielst rechts, läufst rauf und runter, fertig. Erst mit dem 26. Lebensjahr habe ich den Kopf gehoben und gesehen: Auf der linken Seite gibt es auch Spieler. Heute beschäftigt man sich mehr mit den Dingen. Die Spieler haben eine andere Einstellung. Sie wollen mit Argumenten überzeugt werden und nicht mit der Peitsche.

Ist der Fußball auch komplexer geworden?

Den Fußball schreibe ich ihnen auf eine DIN-A4-Seite. So starte ich den Unterricht immer, dann wissen die Trainer Bescheid. Ich sag: Fußball, A4-Seite - mehr ist da nicht. Natürlich hängen an jedem Begriff noch mehrere kleine andere Begriffe. Aber Sie können den Fußball auf eine A4-Seite schreiben, Punkt.

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Fußball auf einer DIN-A4-Seite? Was schreiben Sie denn da drauf?

Alle Begriffe des Spieles, die man trainieren kann, in eine Struktur eingebaut. Wir nennen es "Dispo-Wand". Hört sich toll an, ist aber banal - wie der Fußball eben. Aber in der Banalität steckt die Genialität. So gibt es auch nur vier Situationen im Spiel, zwischen denen der Spieler entscheiden muss. Hört sich spannend an, nicht wahr? (lacht).

Ihr DFB-Sportdirektor Hansi Flick sagt: Die Spezialisierung wird größer, es wird Defensiv-Trainer geben, Offensiv-Trainer, Technik-Trainer, etc.

Das kommt aus Amerika. Beim American Football haben sie für jede Kleinigkeit einen Trainer. Wir beim DFB haben unser Funktionsteam rund um die Nationalmannschaft auch extrem erweitert. Wenn das A-Team unterwegs ist, dann sieht es so aus: Die kleine Gruppe sind die Spieler, die große Gruppe ist das Funktionsteam.

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Es scheint sich auszuzahlen. Der WM-Titel gibt ihnen recht.

Auf Topniveau wird es immer schwieriger, die Spieler zu verbessern, weil sie ohnehin auf hohem Niveau in der Bundesliga agieren. Und so möchte man mehr Spezialisten um den Cheftrainer haben. Die Frage lautet, wie weit man das treibt. Im Ausbildungszentrum in Spanien sah ich, dass bei einem Testspiel fünf bis sieben Trainer auf dem Platz standen. Während das Spiel lief, haben die permanent Simultancoaching betrieben. Die Spieler konnten sich gar nicht mehr konzentrieren, weil sie ständig irgendeinen Typen hinter sich hatten, der sie vollgelabert hat. Da stellt sich mir die große Frage: Wir wollen Persönlichkeiten auf dem Platz, geben aber ständig Hinweise. Ich muss den Spieler auch mal selbst Erfahrungen sammeln lassen.

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Das müssen wir auch machen. Ich sage immer öfter zu den Trainern: Gebt doch mal die Verantwortung ab! Wir können nicht immer alles vorschreiben! Im Endeffekt muss der Spieler auf dem Platz entscheiden, der kann ja nicht ständig rausschauen und fragen: Trainer, was soll ich jetzt machen? Wenn der Matchplan nicht funktioniert, gucken die Spieler raus und sagen: Trainer, du hast was Falsches erklärt. Aber im Fußball kannst du nicht immer im Vorfeld sagen: Genau so muss oder wird es sein! Ergo: Die Spieler sind die Schrauben eines Gerüstes. Und für das Gerüst ist der Trainer verantwortlich.

Bei so vielen Spezialisten - wie verändert sich der Job des Cheftrainers? Ist er eine Art Supervisor?

Das gibt es schon. Viele Trainer haben hervorragende Co-Trainer, die sie arbeiten lassen. Schon als ich 1997 bei Volker Finke in Freiburg ein Praktikum absolviert habe, hat er seinem Co-Trainer die Übungen überlassen.

Was ist dann die Aufgabe des Cheftrainers?

Er gibt die großen Linien vor. Und er wird im psychologischen Bereich arbeiten mit den Ich-AGs, wie ich die Spieler symbolhaft nenne. Am Ende leitet er womöglich das Abschlusstraining und greift hier und da ein. Die Vereine brauchen deshalb vor allem ein gut harmonierendes Trainerteam, damit nicht der Co-Trainer dies sagt und der Cheftrainer jenes. Deshalb werden fast nur noch Trainer-Pakete engagiert.

Oder die Vereine engagieren gleich den Co-Trainer, oder gleich den Jugendtrainer wie demnächst die TSG Hoffenheim mit Julian Nagelsmann.

Die Verantwortlichen haben da mehr Mut als früher. Das ist ja auch ein Risiko für einen Präsidenten oder Manager, wenn er einem Unbekannten den Cheftrainer-Posten gibt.

Woher kommt der Mut?

Durch die Lizenzierungsvorgaben des DFB und der DFL gibt es viel mehr professionelle Trainerstellen. Jeder Bundesligist hat hauptamtliche Jugend-Trainer. Leisten sie gute Arbeit, sind sie im Verein bekannt und werden befördert. Jürgen Kramny beim VfB, Joe Zinnbauer beim HSV. Julian Nagelsmann ist mit der A-Jugend in Hoffenheim Meister geworden.

Die Trainerausbildung beim DFB genießt einen hervorragenden Ruf. Schauen Sie sich trotzdem noch im Ausland um?

Die Niederländer und die Schweizer machen zum Beispiel eine gute Ausbildung. Generell ist es aber schwierig, Länder zu finden, die in Struktur und Inhalt mithalten können. Dennoch müssen die keine schlechten Trainer haben. Die können sich nämlich übers Internet, über Kollegen, über Praxis-Erfahrung ihr Wissen selbst aneignen und herausragende Erfolge feiern. Obwohl ihre Ausbildung nach unseren Maßstäben weniger gut war. Das zeigt, dass die Ausbildung eben auch nur ein Mosaikstein eines Trainerlebens ist - wenn auch ein wichtiger.

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