Fußball-EM:Vardy belebt das englische Team

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"Jamie Vardy's having a party", das ist der Lieblingsgesang der Fans in Leicester. Jetzt singen ihn alle Engländer. (Foto: Getty Images)

Ein später Treffer sichert Englands 2:1-Erfolg gegen Wales. Dabei hatte mit Gareth Bales Freistoßtor alles so gut angefangen.

Von Sebastian Fischer, Lens/München

Roy Hodgson ist niemand, der für Überraschungen bekannt ist. Seine Kritiker werfen dem Trainer der englischen Nationalmannschaft trotz durchaus beachtlicher Erfolge Konservatismus vor. Er wage zu wenig, und er nehme zu wenig Einfluss auf die talentierten englischen Fußballer. Vor deren Spiel gegen Wales hatte sich diese Debatte an Jamie Vardy entzündet. Der Stürmer und Volksheld vom Überraschungsmeister Leicester City war nur Ergänzungsspieler. Hodgson, 68, hat am Donnerstag mit England 2:1 (0:1) gegen Wales gewonnen, und es war ein Erfolg seines Coachings. Erstmals hat ein Team bei dieser EM ein Spiel gedreht. Und Hodgson hatte in der Pause die Torschützen zum Sieg eingewechselt: Daniel Sturridge, der in der Nachspielzeit traf - und Jamie Vardy.

"Jamie Vardy's having a party", das ist der Lieblingsgesang der Fans in Leicester. Die Fans der Nationalmannschaft haben ihn am Donnerstag umgedichtet: "Bring on Vardy, and we'll have a party."

Dabei hatte es eben nach dieser Party lange nicht ausgesehen, sondern eher nach dem Spiel des Gareth Bale. Der teuerste Spieler der walisischen Auswahl, der Champions-League-Sieger mit Real Madrid, hatte das Duell zuvor emotionalisiert. Kein Spieler der Engländer habe die Klasse, um für Wales aufzulaufen, hatte Bale gesagt. Später räumte er ein: "Es ist extrem enttäuschend, aber ich bin auch stolz." Wales hat ja trotz der Niederlage noch gute Chancen aufs Weiterkommen.

Erleichtert wirkten die Engländer zunächst nicht

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Die Engländer hatten den Banter, die Sticheleien nicht erwidert. Zu sehr mussten die Fußballer der Three Lions nach den Ausschreitungen eigener Fans rund um das Auftaktspiel gegen Russland auf martialische Wortwahl achten, zu vorsichtig waren sie auch deshalb, weil sie gegen Russland nur 1:1 gespielt hatten. Dieses zum Battle of Britain hochgejazzte Aufeinandertreffen mit dem kleinen Bruder kam ihnen nicht gelegen: England musste gewinnen und konnte eigentlich nur verlieren.

"Sobald angepfiffen wird, ist das ein ganz normales Fußballspiel. Damit fühle ich mich viel wohler, und damit fühlen sich die Spieler wohler", hatte der auf Bales Sticheleien angesprochene Hodgson gesagt. Doch erleichtert sah es zunächst nicht aus, wie die Engländer auf den Abwehrriegel der Waliser zurannten.

Deren Coach Chris Coleman stellte seine Mannschaft in einem massiven 5-3-2-System auf, zudem nominierte er im Vergleich zum 2:1-Auftaktsieg gegen die Slowakei den bärtigen Mittelfeldspieler Joe Ledley. Jener Mann, der sich erst vor fünf Wochen das Wadenbein gebrochen hatte und auf wundersame Weise fit geworden war, sollte Wayne Rooney, 30, bewachen, der inzwischen im Nationalteam mit der ungewohnten Spielmacherrolle im Mittelfeld betraut ist.

Rooney spielte die Bälle aus dem Mittelfeld kreuz und quer über den Platz, da und dort brachen die äußeren Mittelfeldspieler Raheem Sterling und Adam Lallana durch, doch insgesamt wirkte das Spiel der Engländer zu statisch und ideenlos. Wales schien ohne jegliche Ambitionen angetreten zu sein, selbst Torgefahr zu entwickeln, die Fans sangen trotzdem zufrieden - und dann kam die 42. Minute.

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Die Analysen haben wohl in allen Zeitungen gestanden, sie liefen auf allen Fernsehsendern: Wenn Bale einen Freistoß schießt, dann fliegt der Ball erst hoch in die Luft, verharrt kurz, als würde er sich überlegen, in welche Richtung er gleich abbiegen soll, bevor er wie ein Stein hinunterfällt. "Ich habe es doch gewusst", das sagte der Gesichtsausdruck von Joe Hart, dem englischen Torhüter. Der Ball flog trotzdem zum 1:0 ins Netz, Bale drehte zum Jubeln ab, es war ihm ja egal, dass Hart den Schuss, der aus mehr als 30 Metern flach einschlug, hätte halten müssen.

Doch ohne dieses Tor hätten die Engländer in der zweiten Halbzeit nicht mutiger werden müssen, ohne dieses Tor hätte Hodgson nicht gewechselt, und ohne dieses Tor wäre der Battle of Britain nicht zu eben diesem geworden.

Die Engländer spielten in der zweiten Hälfte druckvoller und variabler, zogen den walisischen Abwehrblock auseinander, anstatt nur auf ihn anzurennen. Der Ausgleich nach 56 Minuten fiel glücklich: Nach einer Flanke von Sterling lenkte Verteidiger Ashley Williams den Ball unfreiwillig aufs eigene Tor, Vardy hatte dort in Abseitsposition gelauert, doch der Linienrichter erfasste die Situation - das Tor zählte.

Vardy war damit der überraschende Protagonist dieses Spiels, er hatte zuvor die englische Boulevardpresse mit Bildern gefüttert, die ihn vor dem Mannschaftshotel mit einer Dose Red Bull und Kautabak zeigen. Vardy, der Mann, der einst mit elektronischer Fußfessel spielte, den die Fans für seine Eskapaden lieben - er leitete die Wende ein.

Denn dann kam Sturridge. Je länger das Spiel dauerte, umso überlegener wurden die Engländer. In der Nachspielzeit dribbelte der Stürmer vom FC Liverpool noch einmal auf das walisische Tor zu, der Ball titschte zwischen Abwehrbeinen umher, gelangte über Delle Alli zurück zu Sturridge - und lag im Tor. Die Engländer hatten ein Spiel gewonnen, das sie nur verlieren konnten

© SZ vom 17.06.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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