Fußball-EM:So fühlt sich die Hochsicherheits-EM an

Fußball-EM: Selbst die immer freundlichen und friedlichen Nordiren werden bei der EM genau untersucht.

Selbst die immer freundlichen und friedlichen Nordiren werden bei der EM genau untersucht.

(Foto: AFP)

Ein Fußballturnier, bedroht von Terroristen und Hooligans. Die Polizei übermüdet, nervös, omnipräsent. Frankreich ist im Ausnahmezustand - das bekommt der Stadionbesucher zu spüren.

Reportage von Thomas Hummel, Paris

Deutschland gegen Polen, Gare du Nord in Paris. An jeder Eingangstür stehen zwei Polizisten und blicken den Menschen tief ins Gesicht. Ist das ein Krawallmacher? Oder gar ein Terrorist? Wonach sie suchen, weiß man nicht. Aber sie sind da. Dutzende, Hunderte vielleicht. Die Anzahl der Polizisten ist nicht zu übersehen. Bitte die Tasche öffnen. Haben Sie eine Eintrittskarte?

Dabei ist das erst Paris, das Spiel findet im Vorort Saint-Denis statt. Dicht gedrängt stehen die Menschen in der Stadtbahn RER B, hier Polen, da Deutsche. Wie schmeckt gleich das französische Bier? Genau, nach Himbeeren. Haste noch 'ne Dose? Nö, müssen uns gleich noch ein paar kaufen.

Vor dieser Europameisterschaft hatten die Sicherheitsbehörden fünf Partien als Risikospiel ausgemacht. Risiko im Sinne von Schlägereien, Randalen. Man befürchtete, dass Dumpfbacken aus beiden Ländern anreisen würden, um sich oder andere zu prügeln. So wie das in Marseille war, zwischen Engländern und Russen.

Station La Pleine Stade de France, alles raus aus der Bahn. Unten auf der Straße singen die Leute polnische und deutsche Lieder. Sie singen nicht so schön wie Iren und Briten, aber immerhin, sie singen. Am Ausgang des Bahnhofs warten Polizisten in Kampfanzügen, Vollausrüstung. Eine junge Polin in kurzer weißer Hose, roten Stutzen und sehr roten Lippen stellt sich zwischen sie, legt zweien die Arme auf die mit Plastikpolstern verstärkten Schultern, ihr Begleiter macht ein Foto. Die Polizisten grinsen dabei in die Kamera. Die Hand am Abzug. Sie wirken ein bisschen gerührt.

Ein paar Hundert Meter weiter muss man kurz vor dem Stadion unter der A86 hindurch, einer Autobahn rund um Paris. Wieder Polizisten in voller Montur. "Das hier ist nur eine Vordurchsuchung", sagt der Beamte. Soll heißen: Der echte Check kommt erst noch. 1200 Ordner stehen an diesem Tag rund um das Nationalstadion der Franzosen, die müssen auch noch was tun. Durchsuchung, Eintrittskarte. Was ist in der Tasche? Wer es vergessen haben sollte: Dies ist auch ein Ort der Anschläge vom 13. November.

Es ist ein langer Weg in ein Stadion dieser Europameisterschaft. Ein sehr langer. Die Behörden raten täglich dazu, sehr früh zu kommen, damit es zu keinen Besucherstaus an den Eingängen kommt. Man könnte sagen, im Angesicht von Terrorgefahr und Hooligan-Schlägereien ist dies die erste Hochsicherheits-EM der Geschichte. Und vielleicht ist dies ja erst der Anfang. Wer weiß schon, was in vier Jahren ist.

Die Befürchtung vor dem Turnier, Terroristen würden einen Anschlag verüben, hat sich bislang nicht bestätigt. Und dennoch gibt es schlimme Szenen. Russische Schlägertrupps jagen englische Fans in Marseille, 35 werden verletzt, einige schwer. Die Justiz verurteilt drei Russen zu Haftstrafen, weist 23 aus. Fanexperten sagen hinter vorgehaltener Hand, dass sie mit einem Sogeffekt rechnen. Nach dem Motto: Da kracht's, da fahren wir auch hin. Und, kommt es nicht so?

Zwischenfälle gab es genug - auch mit Deutschen

In Lille greifen 40 Rechtsradikale aus Deutschland ein Café in der Stadtmitte an, schlagen um sich, verletzen Ukrainer und deutsche Journalisten. In Nizza nimmt die Polizei elf rechtsradikale Spanier fest, weil sie in einem Supermarkt randaliert haben. Später geht wieder in Lille die Polizei gegen englische Fans mit Tränengas vor. Das Innenministerium gibt bekannt, dass die Polizei seit EM-Beginn 323 Personen vorläufig festgenommen habe wegen Gewalttaten, Diebstahl oder Sachbeschädigung.

Die Bilder werden bleiben, heutzutage geht das in Windeseile um die Welt. Und wer so einen Angriff selbst erlebt, der erholt sich davon schlecht, selbst wenn er körperlich kaum was abgekriegt hat. Die Erfahrung der Gewalt macht etwas kaputt in einem. Doch erlebt Frankreich generell eine Gewalt-EM? Eher nicht.

Am Tag des zweiten russischen Spiels gegen die Slowakei steht am Gare Europe in Lille die Armee mit Sturmgewehren. Es ist schwer zu erkennen, ob mehr Russen oder Sicherheitsleute in der Stadt sind. Die Alkoholausgabe ist eingeschränkt, und die allermeisten Engländer in der Stadt (ihre Mannschaft spielte tags darauf im nahen Lens) geht in Zivil durch die Straßen. "Wir möchten betonen, dass nicht alle Engländer Hooligans sind", sagt einer, "wir sind hier, um Fußball zu schauen und Spaß zu haben." Sie hoffen wirklich, dass der Spuk nun vorbei sei.

Vor dem Stade Pierre Mauroy sperrt dann die Polizei einen Eingang, ein Polizist sagt: "Es gibt einen Gegenstand, vielleicht eine Bombe." Plötzlich bauen die Ordner einen Zaun auf, scheuchen alle Menschen durch die Sicherheitsanlagen hindurch Richtung Stadion. Angst kommt auf, Unsicherheit. 15 Minuten später ist der Eingang wieder offen. Nichts ist passiert. Das Turnier, so viel ist sicher, findet in einem nervösen Land statt. Mit einer Polizei, die seit Monaten Sonderdienste schieben muss und nach jedem Vorfall zu hören bekommt, sie sei schlecht vorbereitet auf diese EM.

Deutsche und Polen lassen die vielen Sperren und Überprüfungen vor dem Stade de France schließlich klaglos über sich ergehen. Auch nach dem Spiel grüßen sie freundlich die Beamten am Straßenrand und gehen gemeinsam zurück zur Bahn. 30 000 sollen aus beiden Ländern an diesem Abend im Stadion gewesen sein. Besondere Vorkommnisse: keine.

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