Fußball-EM:So fielen deutsche Hooligans in Lille ein

Fans eat and drink outside before the UEFA EURO EM Europameisterschaft Fussball 2016 Group C match b

Hier war die Lage in Lille noch ruhig - dann fielen die Hooligans ein.

(Foto: imago/BPI)

50 bis 60 Krawallmacher hinterlassen ein Bild der Verwüstung - die Polizei wirkt überfordert. Die nächsten Konfrontationen sind bereits absehbar.

Von Thomas Hummel, Lille

Die Krawallmacher waren offenbar sehr gut informiert. Sie warteten ab, bis sich am Sonntag um 17 Uhr mehrere Tausend deutsche Anhänger vom Bahnhof Lille Flandres in einem Fanwalk Richtung Stade Pierre Mauroy im Vorort Villeneuve-d'Ascq aufmachten, begleitet von 800 Polizisten.

Dann schlugen sie zu. Sie nutzen die Konzentration der Einsatzkräfte auf den friedlichen Karnevalszug, versammelten sich auf dem zentralen Platz Charles de Gaulle und rannten gegen 17.30 Uhr auf eine Ecke zu, wo sich drei Cafés nebeneinander drängeln.

50 bis 60 Mann mit schwarzen Masken und Kapuzenpullis bliesen zum Angriff und prügelten auf alles ein, was sich dort befand. Zumeist ukrainische Gäste bekamen die Schläge ab, auch deutsche Journalisten beklagten Tritte und Wunden. Es flogen Flaschen und Stühle. "Unsere Gäste sind in Panik geraten, vor allem die Frauen und Kinder", erzählte ein Barangestellter der Zeitung La Voix du Nord.

Das ganze dauerte nur ein paar Augenblicke, die Deutschen randalierten kurz, aber heftig. Und verkrochen sich wieder in den Gassen der Altstadt. Noch bevor die Polizei eintraf, war alles vorbei. Zurück blieben ein paar Leichtverletzte und eine Reihe verängstigter Augenzeugen. Der Gewaltausbruch fiel weniger heftig aus als in Marseille, wo russische Hooligans mindestens einen Engländer lebensgefährlich verletzten.

Mangelde Zusammenarbeit?

Diese Europameisterschaft in Frankreich hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Die Terrorgefahr, die Streiks, die sozialen Proteste. Vor dem Turnier deuteten die Sicherheitskräfte zudem an, dass dieses zum Anziehungspunkt für Hooligans werden könnte. Die Situation kommt also keineswegs völlig überraschend, an Beamten mangelte es auch im nordfranzösischen Lille wahrlich nicht. Und doch ist zunehmend der Vorwurf zu hören, die Polizei sei mäßig vorbereitet.

Volker Goll, Mitarbeiter der Koordinierungsstelle deutscher Fanprojekte Kos und Leiter der deutschen Fanbotschaft in Frankreich, stand zwei Stunden vor dem Hooligan-Vorfall in Lille nicht weit davon entfernt auf dem Place de Théatre und beklagte die mangelnde Zusammenarbeit. "Es ist nicht wie in Deutschland, dass die Polizei mit uns kommuniziert, dass wir in die Planungen eingebunden werden", sagte Goll. Die Franzosen machten ihr eigenes Ding, "und sie machen ein anderes Ding". Von der französischen Polizei wollte sich zunächst niemand dazu äußern.

Den ganzen Tag schon trieb sich eine Gruppe offensichtlich Rechtsradikaler in der Stadt herum, Fotos auf Twitter von einer Gruppe mit deutscher Reichsflagge wirkten unübersehbar bedrohlich. Ihr Angriff ist nun wohl der dunkle Fleck auf einem Tag in Lille, der lange Zeit ein lautes aber friedfertiges Volksfest war. Gruppen mäßig begabter Sängerknaben aus Deutschland, der Ukraine, auch Engländer und Franzosen mischten mit im Liederwettkampf. Der deutsche Mannschaftsbus fuhr einmal hupend durch die Innenstadt, es gab ein großes Hallo, auch wenn keine Mannschaft drin war.­ Zwar floss, wie meistens vor einem solchen Spiel, zu viel Alkohol, dennoch sagte Goll zunächst: "Alles super bis jetzt."

Hochsicherheitslage vor den nächsten Spielen

Es sprach noch die Hoffnung auf einen Tag ohne Zwischenfälle aus ihm. Dabei befürchten Fanexperten seit den extremen Kämpfen zwischen Engländern, Russen und Franzosen in Marseille einen Nachahmungseffekt für den Rest des Turniers. Dass sich Schläger aus allen möglichen Ländern und auch aus Deutschland nun denken: Kommt, da ist was los, da fahren wir auch hin!

Die Bundespolizei hinderte nach eigenen Angaben 21 Hooligans an der Ausreise nach Frankreich. In der Nacht zu Sonntag wurden in der Nähe von Trier zunächst 18 gewaltbereite Fans "festgestellt", im Laufe des Tages sei drei weiteren die Ausreise untersagt worden. Bereits am Samstag wurden bei acht Fans Rauschgift, Pfefferspray und Pyrotechnik sichergestellt; man ließ sie allerdings weiterreisen.

Erinnerungen an 1998

Die Gefahrenlage erinnert nun fatal an die Weltmeisterschaft 1998. Auch damals eskalierte in Frankreich an mehreren Orten die Gewalt. Deutsche Hooligans prügelten damals in Lens den Polizisten Daniel Nivel fast zu Tode. Er trug schwere Behinderungen davon, unter denen er noch heute leidet. Nivel saß am Sonntag auf Einladung des Deutschen Fußball-Bundes im Stadion und sah das 2:0 gegen die Ukraine live. "Sein Schicksal sollte uns angesichts der aktuellen Ereignisse Mahnung sein", sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel.

Ob dieser Appell Eindruck machen wird auf die Schläger? Die nächsten Konfrontationen sind bereits absehbar: Am Mittwoch spielen die Russen in Lille (gegen die Slowakei), am Donnerstag die Engländer und Waliser im nur 40 Minuten entfernten Lens. Die lokalen Einsatzkräfte befürchten ein Hooligan-Rückspiel der verfeindeten Gruppen. Und am Donnerstag kommt es in Saint-Denis um 21 Uhr zur Begegnung Deutschland gegen Polen. Die französische Polizei hat sich bereits auf eine Hochsicherheits-Lage eingestellt.

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