Fußball-EM:Sie hatten geträumt

Island zeigt nach dem 2:5 gegen Frankreich zum Abschied Stolz und geht mit einem lauten "Hu!".

Von Javier Cáceres, Saint-Denis

"Ég er kominn heim", sangen die isländischen Fans vor jedem Spiel bei dieser EM, es ist eine kleine, seichte Ballade, die nach 50er Jahren klingt und deren letzten Zeilen schlicht lauten: Ich komme heim. Auch am Sonntagabend war das Lied, das so nach Sehnsucht klingt, zu hören; die 15 000 isländischen Fans, die sich ein Ticket für das Viertelfinalspiel im Stade de France in Saint-Denis sichern konnten, sangen schmachtend mit.

Dass die Isländer alles andere als frei sind von Sentimentalität, weiß die musikinteressierte Welt spätestens, seit Björk die Charts stürmte. Nur: In Wahrheit wollten die Isländer natürlich nicht heim. Im Leben nicht. Doch dann wurde es doch Wirklichkeit, nach einem demütigenden 5:2-Sieg der Franzosen.

Sigþórsson trifft wieder, aber an einen Sieg ist nicht zu denken

Die Isländer, die vor allem wegen ihres sensationellen Siegs gegen die Engländer so etwas wie den Status allseits geliebter, putziger EM-Maskottchen erlangten, waren die längste Zeit beim ersten internationalen Turnier ihrer Geschichte dabei. Wie es sich zu einem Abschied mit Stil gehört, kam noch einmal alles zur Aufführung, was sie bei diesem Turnier so liebenswürdig gemacht hatte. Die Doppelspitze des isländischen Trainerstabs, der Teilzeit-Zahnarzt Heimir Hallgrímsson und der nun scheidende Schwede Lars Lagerbäck, konnte zum fünften Mal in diesem Turnier auf die selbe Startelf vertrauen und im selben, althergebrachten 4-4-2-System spielen. Aron Gunnarsson katapultierte die Einwürfe wie schon in der Vorrunde in den Strafraum, nur diesmal eben ohne Erfolg. Gegen Österreich und England hatte er noch Tore vorbereitet und daher erdumspannend Lacher produziert wie vor ihm nur Charles Chaplin. Und der Stürmer mit dem programmatischsten Namen des Turnier, Kolbeinn Sigþórsson, schoss wie schon gegen England wieder ein Tor. Nur leider erst in der 56. Minute und damit zu einem Zeitpunkt, da weder an Sieg noch an Sig zu denken war. Es stand schon 4:0 für Frankreich.

Auch Torwart Hannes Halldórsson geriet wieder in den Fokus, nur diesmal nicht wie nach der souveränen EM-Qualifikation, als ihn alle Welt bestaunte, weil in seinem Lebenslauf auch etwas über Filmemacherei stand und man angesichts der epischen Glossen über sein Leben schon meinen musste, er sei ein versteckter Hrafn Gunnlaugsson, der von Insidern wegen seiner Wikingerverfilmungen aus den 80ern geschätzt wird. Dabei hatte Halldórsson mehr so Musikvideos gedreht.

Eiður Guðjohnsen wird zu seinem Abschied eingewechselt

Beim ersten Tor der Franzosen schob ihm Olivier Giroud den Ball durch die Beine (12.); beim 5:1, das ebenfalls Giroud (51.) per Kopf erzielte, traf er beim Herauslaufen das Kinn des eingewechselten Sverrir Ingason und nicht den Ball, den er wegfausten wollte. Zwischenzeitlich hatten auch Paul Pogba (19.), Dimitri Payet (43.) und Antoine Griezmann (45.) zum 4:0-Halbzeitstand getroffen.

Die Stille, die sich über den isländischen Fanblock legte, war vor allem deshalb beklemmend, weil sie bedeutete: Sie hatten geträumt. Und es hatte ja auch etwas Melancholisches, dass das Turnier für Island so brutal zu Ende ging: ohne ein Lächeln, ohne ein jauchzendes Herz, sondern mit einem Spiel, das zur Vorführung geriet. Aber: Sie wehrten sich, sie kamen durch Birkin Bjarnason zum 5:2 (84.) - unmittelbar, nachdem Altstar Eiður Guðjohnsen, der mal bei Klubs wie dem FC Chelsea oder dem FC Barcelona gespielt hatte und nun in Norwegen bei Molde BK reüssiert, eingewechselt worden war, um sein letztes Länderspiel zu bestreiten.

Sie gingen mit Anstand, und natürlich gingen sie mit ihrem Schlachtruf "Hu!", den man unnachahmlich nennen wollte, den aber Deutsche und Franzosen längst plagiieren.

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