Fußball-EM:Russlands Ausschluss ist alles andere als geregelt

EURO UK Russia CG

Ständiger Unruheherd: Russische Randaleure forderten die Ordnungskräfte in Marseille.

(Foto: Guibbaud Christophe/ddp images/abaca press)

Fliegt Russland beim nächsten Vergehen seiner Fans aus dem Turnier? So simpel wird es trotz der Uefa-Entscheidung nicht ablaufen. Auch wegen mancher Interessen von Funktionären.

Von Johannes Aumüller

Es gehört zu den Pflichten eines Nationaltrainers, dass er sich am Tag vor einem EM-Spiel der Öffentlichkeit präsentieren muss. Für gewöhnlich versuchen sich dabei viele in humoristische, belanglose oder schwer deutbare Sätze zu flüchten, aber als Leonid Sluzkij am Dienstagmittag in Lille vor die Presse trat, war das zwangsläufig etwas anders. Der Trainer der russischen Nationalelf setzte sich also hin und appellierte an die Anhänger seines Teams: "Unsere Fans werden sich jetzt benehmen und niemandem mehr einen Grund geben, uns zu disqualifizieren."

Russland spielt von nun an unter verschärfter Beobachtung. Kurz vor der Pressekonferenz des Trainers verurteilte die Disziplinarkommission von Europas Fußball-Union den russischen Verband (RFS) wegen der Fan-Ausschreitungen beim 1:1 gegen England zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 000 Euro sowie einem "Ausschluss auf Bewährung".

Sollten sich solche Szenen wie am Samstag in Marseille, als eine Gruppe russischer Fans den englischen Nachbarblock attackierte und zudem durch rassistisches Verhalten und das Werfen von Feuerwerkskörpern auffiel, wiederholen, droht Russland die Disqualifikation. Der russische Verband teilte mit, er verzichte auf eine Berufung und akzeptiere das Urteil. Er kann damit auch zufrieden sein, denn gemäß Statuten wären auch ein sofortiger Ausschluss oder ein Punktabzug möglich gewesen.

Man müsse dem russischen Verband "eine Chance geben"

Allerdings ist mit diesem Urteil nicht gesagt, dass bei den nächsten Bildern von prügelnden russischen Hooligans automatisch der Ausschluss erfolgt. Wie so vieles andere ist in der Sportpolitik auch die Disqualifikation eine komplizierte Sache.

Die formal unabhängige Disziplinarkommission ist nur für Verfehlungen innerhalb des Stadions zuständig. Einen sofortigen Ausschluss hätte sie nach langer Diskussion einmütig als zu hart empfunden, sagte der Kommissionsvorsitzende Thomas Partl aus Österreich der SZ. Man müsse dem russischen Verband "eine Chance geben", das Verhalten zu verbessern. Partl verwies zudem darauf, dass sich Russland in den vergangenen Jahren keine Verfehlungen geleistet habe.

Zwar war der russische Verband bereits während der vorigen EM 2012 in Polen und der Ukraine wegen des Verhaltens seiner Fans mit einer Geldstrafe im sechsstelligen Bereich sowie einem Punktabzug auf Bewährung für die folgende Qualifikationsrunde belegt worden. Doch laut Partl seien diese Vorgänge bereits verjährt und das relevante Vorstrafenregister leer gewesen.

Es stellt sich die Frage nach dem sportpolitischem Willen

Völlig unklar sind allerdings die Konsequenzen für den Fall, wenn es nicht im Stadion, sondern außerhalb zu schlimmen Vorfällen kommt - so wie in Marseille, als russische und englische Hooligans die Innenstadt verwüsteten. Mitten in die Ermittlungen der Disziplinarkommission hinein hatte am Sonntag das Exekutivkomitee der Uefa eine Erklärung verabschiedet, nach der die Verbände von England und Russland mit dem EM-Ausschluss rechnen müsste, falls sich solche Szenen wiederholten. Das klang zwar gut, aber dabei stellt sich nicht nur die Frage nach der konkreten (sport)juristischen Umsetzung, sondern auch nach dem tatsächlichen sportpolitischen Willen, falls es zu erneuter Randale abseits des Stadions kommt.

"Wie sollen Verbände verhindern, wenn ihre Hooligans, die meist noch nicht einmal eine Karte fürs Stadion haben, in der Stadt randalieren?", sagte beispielsweise schon das deutsche Exekutiv-Mitglied Wolfgang Niersbach in einem Gespräch mit der Sportbild. Im Uefa-Vorstand sitzen auch einige Personen, die es sich mit dem mächtigen Russland nicht verscherzen wollen - immerhin steht bald eine Präsidentschaftswahl an, bei der es einen Nachfolger für Michel Platini geben soll. Da dirigiert Russland ein großes Stimmpaket.

Das Verhalten von russischen Verbandsverantwortlichen ging in das Verfahren des Disziplinarkomitees nicht ein. Im Netz kursiert ein Video, auf dem der Sportminister und RFS-Chef Witalij Mutko nach dem Spiel in Marseille just in der Kurve aufmunternde Gesten macht, in der es zu den Vorfällen kam. Danach twitterte Igor Lebedew, RFS-Vorständler und Duma-Mitglied: "Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Eher im Gegenteil. Bravo, Jungs. Macht weiter so!" Aber das habe das Disziplinarkomitee nicht interessiert, sagte Partl, sondern nur die Vorfälle im Spiel. Es ist aber anzunehmen, dass die Ethiker des Fußball-Weltverbandes so etwas registrieren - immerhin ist Mutko auch Mitglied des Fifa-Vorstandes.

Nun bleibt abzuwarten, ob und was der russische Verband und die russischen Fans aus dem Vorfall und der Sanktionierung gelernt haben. Der Kreml geißelte die Vorfälle in Marseille am Dienstag als inakzeptabel. Er sieht den Image-Schaden, falls der Gastgeber der nächsten Fußball-WM neben dem drohenden Ausschluss seiner (Leicht-) Athleten bei den Sommerspielen in Rio nun auch noch das Aus der Sbornaja bei der EM in Frankreich erklären müsste.

Doch fast genau zu der Zeit, als das Disziplinarkomitee seine Entscheidung traf und Sluzkij appellierte, kam auch von der französischen Polizei eine Meldung. Nahe Marseille griff sie insgesamt 43 russische Hooligans auf, die sich offenbar auf den Weg nach Lille machen wollte - den Spielort der zweiten Gruppenpartie gegen die Slowakei an diesem Mittwoch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: