Fußball-EM:Portugal - "Land voller Neid und Kleinlichkeit"

EURO 2016 - Group F Hungary vs Portugal

"Jetzt sagt nur, dass er nie was macht": Jetzt hat sich schon Ronaldos Mutter in die Debatte um ihn eingeschaltet.

(Foto: dpa)

Nach einer mittelmäßigen Vorrunde trifft Portugal im EM-Achtelfinale auf Kroatien. Und obwohl fast alles von Cristiano Ronaldo abhängt, ist der Stürmer in der Heimat umstritten.

Von Javier Cáceres, Lyon

Es gibt wahrscheinlich günstigere Methoden, das Herz zu testen. Obwohl: Auch Portugal ist Opfer der Sparpolitik geworden, die Kürzungen im Gesundheitssystem zur Folge hatten; womöglich ist eine Reise von Lissabon nach Lyon günstiger als der Gang zum Arzt. Portugals Staatschef Marcelo Rebelo da Sousa freute sich nach dem 3:3 der Portugiesen gegen Ungarn jedenfalls nicht nur darüber, dass die Mannschaft seines Landes weitergekommen war. Sondern auch darüber, "dass wir unsere kardiovaskulare Widerstandsfähigkeit testen konnten".

Ohne dass jemand zu Schaden kam, trotz infarktösem Verlauf der Partie: Drei Mal geriet Portugal gegen die Ungarn in Rückstand, drei Mal wähnten sich die Portugiesen deshalb vor dem EM-Aus. Doch ebenso viele Male retteten der Stolz und der Wille des Stürmers von Real Madrid die Portugiesen. "Das Genie ist aufgetaucht", titelte die Zeitung A Bola.

Es war "ein Spiel für Verrückte", meinte Ronaldo

In der Tat. Erst legte Cristiano Ronaldo seinem Stürmerkollegen Nani den Treffer auf zum 1:1 (42.), dann erzielte er das zwischenzeitliche 2:2 sowie das Tor zum 3:3-Endstand selbst (50./62.). Okay, er scheiterte traditionsbewusst mit vier Freistößen (bei internationalen Turnieren hat er nun 40 Standards in Serie verschossen), und er war auch nicht um die längst charakteristischen, ausufernden Gesten der Missbilligung verlegen, wenn die Kameraden ihn übersahen oder der Schiedsrichter die Frechheit besaß, nicht zu seinen Gunsten zu pfeifen.

Doch das minderte nicht einmal ansatzweise die Berechtigung, mit der Cristiano Ronaldo den Titel "Man of the Match" abgriff, zur Krönung seiner eigenen Renaissance. Wem sonst hätte diese Ehre zuteilwerden sollen? Zumal es ja wirklich, wie Ronaldo meinte, "ein Spiel für Verrückte" gewesen war, das hervorragend zu einem zwangsjackenverdächtigen Tag passte.

Vor dem Spiel hatte die Meldung die Runde gemacht, Ronaldo habe beim Morgenspaziergang am See einem Reporter das Mikrofon abgenommen und ins Wasser geworfen. Der Journalist hatte es gewagt, ihn anzusprechen: "Ronaldo, bereit für das Spiel heute Abend?" Nach dem Spiel wiederum geriet die obligatorische "Man-of-the-Match"-Pressekonferenz zu einer Farce. Ronaldo beantwortete dort nur eine belanglose Frage eines Uefa-Sprechers - und durfte wieder gehen.

In der Heimat umstritten

Als die Reporter protestierten, lächelte Ronaldo: "Das haben die entschieden", sagte er und deutete auf den Pressesprecher der Portugiesen. Doch ob der Boykott wirklich auf Betreiben des Verbandes geschah? Ronaldo zählt nicht zu denen, die sich den Mund verbieten lassen - von einem Verbands-Zuarbeiter schon gar nicht.

Diesen Status hat er sich durch Erfolge erstritten, auch bei dieser EM purzelten wieder Rekorde. Ronaldo hat bei vier EM-Turnieren und drei Weltmeisterschaften getroffen, das heißt: bei mehr internationalen Wettbewerben als jeder andere Spieler. Er liegt in der ewigen EM-Torschützenliste nur noch ein Tor hinter dem Franzosen Michel Platini (neun Treffer). Zudem hat der Portugiese 17 Endrundenspiele hinter sich, mehr als jeder andere.

Und dennoch bleibt er in der Heimat umstritten, die Kritik nach den ersten Spielen nagte am Gemüt von Ronaldos Mutter: "Jetzt sagt nur, dass er nie was macht", schrieb Dolores Aveiro. Beistand erhielt sie vom Dichter und Politiker Manuel Alegre: "Portugal war stets ein Land voller Neid und Kleinlichkeit. Schon Camões klagte darüber", schrieb dieser an den Stürmer. Portugals Nationaldichter Luis de Camões, muss man dazu wissen, lebte in der Renaissance. Besiegen dürfte Ronaldo Neid und Kleinlichkeit am ehesten, wenn er weiter trifft, möglichst schon im Achtelfinale gegen Kroatien. Dann würde sich wohl auch zeigen, dass Portugal bei der EM besser gespielt hat, als es der dritte Tabellenplatz aussagt.

"Wir haben in den ersten Spielen gut verteidigt und nicht getroffen, nun war es umgekehrt", sagte Trainer Fernando Santos. Nun hofft er auf die richtige Balance, und darauf, dass Cristiano Ronaldo die Theorie bestätigt, wonach Tore wie Ketchup sind - erst kommt nichts, dann alles auf einmal. Portugals ehemaliger Nationalspieler Paulo Futre, inzwischen 50, würde das begrüßen: "Wenn Ronaldo gut drauf ist, ist träumen erlaubt."

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