Fußball-EM:Natürlich, Italien!

EURO 2016 - Group E Belgium vs. Italy

93. Minute: Graziano Pellè liegt in der Luft und macht das 2:0.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Die Squadra Azzurra überrascht im ersten Gruppenspiel mit direktem Angriffsfußball und überrumpelt Belgien mit einem 2:0.
  • Auf diese eingeschworenen und takisch cleveren Italiener ist zu achten.
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Von Ulrich Hartmann, Lyon

In Frankreichs Hauptstadt der Feinschmecker ist der Fußball nicht immer eine Delikatesse. In der Stadt hat die Kochlegende Paul Bocuse ihre Restaurants, draußen im Stadion ist Olympique Lyon mit großem Rückstand Zweiter geworden hinter Paris. Am Montagabend, als mit der Partie zwischen Belgien und Italien der erste echte Leckerbissen dieser EM auf der Karte stand, war es dann aber passenderweise Fußball auf Sterne-Niveau. Immerhin trafen hier ja die Nummern zwei und zwölf der Weltrangliste aufeinander.

Die Belgier, erstmals seit 16 Jahren wieder bei einer EM dabei, werden als Titelkandidat gehandelt, deuteten mit ihrer jungen Mannschaft gegen abgebrühte Italiener aber allenfalls an, was sie sich bei diesem Turnier vorgenommen haben. Oft ist es im Fußball nämlich doch so wie in der Gourmetküche. Dem alten Bocuse macht auch niemand was vor, und die erfahrenen Italiener, mit der ältesten EM-Elf ihrer Historie auf dem Platz, besiegten die hochgehandelten Belgier doch tatsächlich eiskalt mit 2:0 (1:0).

Belgien hat im Gegensatz zu den alten Italienern allerhand juvenile Stars in der Mannschaft: Torwart Thibaut Courtois vom FC Chelsea sowie die Offensivkräfte Kevin De Bruyne von Manchester City, Romelu Lukaku vom FC Everton oder Eden Hazard, ebenfalls Chelsea. Sie standen alle in der Startelf. Christian Benteke und Divock Origi von Jürgen Klopps FC Liverpool mussten auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Im Tor - natürlich - der ewige Buffon

Die Italiener - bei der EM ohne Andrea Pirlo, Mario Balotelli, Claudio Marchisio, Marco Verratti - haben als lebende Legende weiterhin Gianluigi Buffon im Tor. Während die belgischen Fans vor dem Anpfiff früh ihren Block ausfüllten, kamen viele italienischen Zuschauer erst kurz vorm Spielbeginn. Vielleicht verriet das etwas über die Erwartungshaltungen.

Die Ränge waren dann aber gefüllt, als Lukaku (21, jüngster Spieler auf dem Platz) dem Torwart Buffon (38, ältester Spieler auf dem Platz) nach 90 Sekunden den ersten scharfen Ball in den Strafraum schoss. Das Spiel war auch ein Generationenkonflikt. Italiens Jüngster war der 26-jährige Matteo Darmian, Belgiens Ältester der 30-jährige Laurent Ciman. Italiens Juve-Abwehrblock mit Buffon, Barzagli, Bonucci und Chielloni ist komplett im fortgeschrittenen Alter.

Doch darauf darf man nichts geben. Die Italiener wirkten genauso vital wie ihre Kontrahenten - und wie die beiden Trainer Marc Wilmots und Antonio Conte, beide Mitte 40, die am Spielfeldrand ihre dauernde Leidenschaft demonstrierten. In diesem Spiel war alles immer in Bewegung: Spieler, Ball - und Publikum. Nach einer halben Stunde wurden die Italiener richtig dominant. Leonardo Bonucci spielte einen 50-Meter-Pass in die Spitze, in der der Bologneser Emanuele Giaccherini davon profitierte, dass Belgiens Abwehrmann Toby Alderweireld die Flugbahn des Balles falsch einschätzte.

Wilmots' Reputation gilt als gefährdet

Giaccherini stand frei vor Courtois und schob in der 31. Minute zum 1:0 ein. Vier Minuten später hätte Graziano Pellè beinahe das 2:0 geköpfelt, doch der Ball strich knapp am Tor vorbei. Vor just dieser Erfahrung haben die Belgier ja Angst: Dass sie wie bei der WM 2014 ihre hohe Veranlagung nicht auf den Boden der Tatsachen hinunterbringen. Wilmots' Reputation gilt als gefährdet, sollte sein Team das Halbfinale versäumen.

Das Spiel - ohne Beteiligung von Bundesliga-Spielern, was bei dieser EM eine Seltenheit ist - nahm in der zweiten Halbzeit noch an Tempo zu. Die Italiener nahmen zunächst neuerlich ihre abwartende Haltung ein, wollten lieber erst nach Ballgewinnen mit mehr Raum gen Strafraum stürmen, statt sich in Ballrotation aufzureiben. Die Belgier hingegen sind nur allzu gerne in Ballbesitz.

Hinterherlaufen ist nicht ihr Ding. Lukaku erhielt in der 54. Minute die beste Chance zum Ausgleich, als er nach einer cleveren Seitenverlagerung von Kevin de Bruyne das Tor hätte machen müssen. Im Gegenzug versäumte Pellè per Kopf die Vorentscheidung.

Lukaku köpfelt knapp vorbei

Die Italiener zerstörten den Spielfluss angesichts ihrer Führung nicht durch eine allzu tiefe Abwehr. Kein Catenaccio weit und breit. So ergaben sich Chancen für Belgien und Konterchancen für Italien zur abwechselnden Begeisterung des extrovertierten Publikums. Den Belgiern mangelte es mit fortlaufender Spielzeit ein bisschen an der Kreativität, die nötig gewesen wäre, um die italienische Abwehr noch ernsthafter in Gefahr zu bringen.

Viele Flanken fanden keinen Abnehmer, viele Fernschüsse krachten in die Vorhut der blau-weißen Defensive. Auf der anderen Seite blieben die Italiener aber stets gefährlich und hatten das zweite Tor im Auge. Aus dieser Ambition ergaben sich wiederum für die Belgier mehr Räume für jenen blitzschnellen Ballvortrag, den die Italiener nun mehrfach nur noch mit gelbbestraften taktischen Fouls bremsen konnten.

In der 82. Minute köpfelte Lukaku den Ball aus sechs Metern knapp übers Tor. Der hochverdiente Ausgleich sollte ihnen versagt bleiben. Und in der Nachspielzeit erzielte Pellè für Italien sogar noch per Volleyschuss das 2:0.

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