Wales gegen Slowakei:Gareth "Wales" macht's wie Ronaldo

Wales gegen Slowakei: Das erste Turnier-Tor für Wales seit 1958: Gareth Bales Freistoß.

Das erste Turnier-Tor für Wales seit 1958: Gareth Bales Freistoß.

(Foto: AP)

Der Stürmer trifft beim 2:1-Sieg gegen die Slowakei und versetzt Tausende Waliser ins Ekstase. Der Außenseiter weiß nun noch nicht, was er sich selbst bei dieser EM zutrauen soll.

Von Johannes Kirchmeier

Gareth Bale nahm im Kabinengang noch einen Schluck aus der Wasserflasche, schaute konzentriert, schnaufte heftig durch. Es sollte sein erstes Spiel bei einer Europameisterschaft werden, sein erstes großes Spiel im walisischen Nationaltrikot. Wales nimmt ja nun zum ersten Mal an einer EM teil. Man merkte dem 26-Jährigen an, wie der Druck ihn in diesem Moment belastete. Da tritt das für große Fußballer inzwischen eigentlich wichtige Beiwerk in den Hintergrund: Seinen Dutt hatte Bale nur so mittelmäßig aufgezwirbelt, bei Real sah die Frisur in der vergangenen Saison deutlich besser aus. Ein paar dicke Haarbüschel standen weit weg, es wirkte ein bisschen so als durfte der eigens ins walisische Team bestellte Coiffeur gar nicht an die Haare des schnellen Stürmers ran. Beziehungsweise wenn er ran durfte, sollten die Waliser die Besetzung der Stelle möglicherweise noch einmal überdenken.

Und auch sonst war Bale vor dem Spiel etwas unentschlossen. Sollte er die Erwartungshaltung ganz im Real-Selbstverständnis noch steigern oder doch etwas Euphorie bremsen? Einerseits sagte er daher: "Wir wollen jedes Spiel hier gewinnen. Und wenn wir das schaffen, holen wir den Titel." Und andererseits: "Es ist ein bisschen surreal, weil Wales so lange nicht dabei war. Wann immer ein großes Turnier war, saß ich traurig vor dem Fernseher." An diesem Samstag aber war er der Held der Nation. Aus Gareth Bale wird Gareth Wales.

"Es war wie ein Heimspiel. Wir haben die besten Fans der Welt"

Ähnlich unentschlossen begann Bales Spiel, es sollte ja im Wortsinn eine haarige Angelegenheit an diesem Samstagabend werden, an deren Ende ein 2:1-Auftaktsieg für Wales stand. Dessen Anhänger für eine gute Stimmung in Bordeaux sorgten: "Es war wie ein Heimspiel. Wir haben die besten Fans der Welt", sagte Bale im ZDF. Er war gleich an der ersten guten Aktion der Partie beteiligt, allerdings negativ: Er verlor den Ball an den schnellen Slowaken Marek Hamsik. Im Anschluss dribbelte Hamsik locker an vier Gegenspielern vorbei, drang in den Strafraum ein und schoss aufs Tor. Wales' Torhüter Danny Ward konnte den Ball nicht parieren, hinter ihm grätschte jedoch Verteidiger Ben Davies gerade noch rechtzeitig rein und lenkte die Kugel über den Kasten (4. Minute).

Kurz darauf kam aber Bales erster großer EM-Moment: Wie sein Real-Mitspieler Cristiano Ronaldo stellte er sich breitbeinig vor einem ruhenden Ball auf - mit dem Unterschied, dass er den folgenden Freistoß mit links ausführen sollte. Er nahm Anlauf, schoss und entließ den Ball in eine wirre Flugkurve, die den slowakischen Torwart Kozacik derart irritierte, dass die Kugel nach kurzem Auftitschen im Netz seiner Torwartecke landete (10.). Beim Jubel lief er demonstrativ zur walisischen Bank. Der 100-Millionen-Euro-Mann betont ja stets, dass er nur ein Teil der erfolgreichen Mannschaft ist.

Wales v Slovakia - Group B: UEFA Euro 2016

Jubeltraube nach dem Tor von Wales.

(Foto: Getty Images)

Das Tor stärkte das Selbstvertrauen der Waliser, sie wurden sicherer in der Abendsonne Bordeauxs. Freie Räume für die konterstarken Slowaken bot der rote Riegel in der Rotweinstadt nicht mehr. So wie Bales Haarbüschel dann Mitte der ersten Halbzeit durchhing, plätscherte aber auch die Partie dahin. Lediglich zu einer Chance kamen die Slowaken noch in der ersten Halbzeit, Abwehrchef Martin Skrtel erreichte Juraj Kuckas Flanke völlig frei vor Ward jedoch nicht (45.). Gareth Bale im Übrigen verließ das Feld mit einem Pferdeschwanz in die Pause.

Wales schafft als erstes britisches Team einen EM-Auftaktsieg

Und kam mit wieder zum Dutt gerichteten Haaren zurück, also alles auf Anfang? Nein. Das Spiel veränderte sich, die Slowaken wurden stärker, kamen durch den ehemaligen Nürnberger Robert Mak zu Chancen (57./68.) - Bale scheiterte auf der anderen Seite mit einem Kopfball an Kozacik (57.). Und nach einem tollen Sololauf von Mak schafften die Slowaken durch den Sekunden zuvor eingewechselten Ondrej Duda das 1:1 (61.).

Als sich die Teams mit dem Remis langsam anfreundeten, zog der walisische Trainer Chris Coleman nun seinen Joker: Er wechselte den Angreifer Hal Robson-Kanu ein - und der ließ sich von Mittelfeldspieler Aaron Ramsay herrlich im Strafraum bedienen. Beim folgenden Schuss traf er den Ball zwar nicht richtig, der hoppelte aber dennoch zum 2:1-Siegtreffer ins Tor (81.). Dass es dabei blieb, hatte mit einem ungenauen Abschluss des Slowaken Adam Nemec zu tun. Der köpfelte kurz darauf den Ball nur an den Pfosten (86.).

Und wie erging es dann dem Hauptprotagonisten, auf den vor dem Spiel alle schauten? Gareth Bale jubelte äußerst heftig. Man merkte ihm an, wie groß der Druck auf ihn gelastet hatte: Er riss die Arme hoch, blickte konzentriert in den Himmel und schrie seine Freude heraus. Und seine Frisur? Die hielt dem Gefühlsausbruch nun stand. "Es ist ein herrlicher Augenblick für unser Land", sagte er mit einem Dauergrinsen. Wales hatte es gerade als erstes britisches Fußballteam überhaupt geschafft, bei einer EM ein Auftaktspiel zu gewinnen.

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