Fußball-EM:Frankreich berauscht sich an seiner Spielfreude

Fußball-EM: Die Franzosen kamen aus dem Feiern gar nicht mehr heraus an diesem verregneten Abend im Stade de France

Die Franzosen kamen aus dem Feiern gar nicht mehr heraus an diesem verregneten Abend im Stade de France

(Foto: AP)

Frankreich zerlegt die gefürchtete Wikingertruppe aus Island in ihre Einzelteile - und läuft sich für das Halbfinale gegen Deutschland warm.

Von Claudio Catuogno, Saint-Denis

Antoine Griezmann küsst den Schuh von Dimitri Payet. Dimitri Payet küsst den Schuh von Antoine Griezmann. Olivier Giroud deutet in den Himmel. Antoine Griezmann liegt flach auf dem Rasen, bedeckt von seinen Teamkollegen, die ihm scherzhaft die Nase zuhalten. Paul Pogba küsst seinen Arm. So viel Spaß wie die Franzosen am Sonntagabend im Viertelfinale hatte bisher noch keine Elf bei diesem Turnier - und das alles schon in der ersten Halbzeit. Am Ende dieses Rausches stand ein 5:2 (4:0)-Sieg der Gastgeber gegen Island.

Im Quartier der deutschen Nationalelf in Évian-les-Bains dürften die Bilder aus dem Stade de France leichte Beunruhigung ausgelöst haben. Am Nachmittag war ja bekannt geworden, dass neben dem gesperrten Mats Hummels auch der verletzte Mario Gomez im Halbfinale am Donnerstag fehlen wird, dazu wohl noch Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira. Nun mussten die Deutschen mit ansehen, wie ihr Halbfinalgegner nicht nur ohne große Mühe eine Runde weiter kam - sondern dabei auch noch jede Menge Vergnügen und Spielfreude entwickelte.

Die Wikingertruppe fällt auseinander

Allenfalls ist die Frage offen geblieben, wie wetterfest Les Bleus im Zweifel sind - um das zu überprüfen, waren die inzwischen weltberühmten Isländer zu schnell in ihre Einzelteile zerfallen. Mit jener furchterregenden Wikingertruppe, die mit ein paar Basistugenden und viel Leidenschaft die Engländer rausgeworfen hatte, schienen die elf Männer in den weißen Hemden nur phasenweise verwandt zu sein. Eine gefährliche Halbfeld-Flanke, die zu Kolbeinn Sigthorssons Anschlusstreffer führte (53.), eine scharfe Flanke, aus der Birkir Bjarnasons Ehrentreffer resultierte (84.), dazu einige gefährliche Ecken, von denen eine den Torwart Hugo Lloris zu einer Parade zwang (63.) - um mehr zustande zu bringen, waren die Isländer zu früh desillusioniert.

Bisher hatte Didier Deschamps nicht nur in jedem Spiel seine Startelf umgestellt, sondern auch das System. Trainer und Team waren noch auf der Suche. Diesmal war Deschamps zu zwei Umstellungen gezwungen: Es fehlten N'Golo Kanté im defensiven Mittelfeld und Adil Rami in der Innenverteidigung, beide gelbgesperrt. Für Rami schickte Deschamps Samuel Umtiti, 22, ins erste Länderspiel seines Lebens. Auf Kantés Ausfall reagierte der Nationalcoach wieder mit einer Systemumstellung. Anstatt Kanté durch Yohan Cabaye zu ersetzen, rückte er Paul Pogba und Blaise Matuidi weiter nach hinten - und postierte Antoine Griezmann statt auf dem rechten Flügel auf der Zehner-Position. Neu in die Elf rückte rechts Moussa Sissoko. "Wo spielt Griezmann?" - das war seit dem 2:1 gegen die Iren die Frage gewesen in Frankreichs Medien, nachdem der Stürmer in der zweiten Halbzeit zentral gut mit Olivier Giroud harmonierte hatte.

Nach 20 Minuten stand es 2:0 für Frankreich

Ob es nun an der Taktik lag oder an der Überforderung der Isländer: Nach 20 Minuten stand es bereits 2:0. Zunächst überspielte Matuidi mit einem hohen Ball die isländischen Reihen, Giroud tunnelte Hannes Halldorsson (13.), 1:0. Die erste Ecke der Franzosen zirkelte dann Griezmann genau dorthin in den Strafraum, wo Pogba, wie man vermuten musste, ein Trampolin vergraben hatte - jedenfalls war sein Luftstand beachtlich, als er den Ball mit dem Kopf ins Tor wuchtete. Danach küsste Pogba erst mal seinen Arm. Man durfte das wohl als Anspielung auf die bras-d'honneur-Affäre zu Turnierbeginn verstehen, als eine abfällige Geste Pogbas mehrere Tage lang die Schlagzeilen beherrscht hatte. Ob es so klug war, die alte Geschichte jetzt noch mal aufzuwärmen? Es unterstreicht zumindest den speziellen Charakter des 1,91-Meter-Jünglings von Juventus Turin.

"Ich sage weiterhin, dass wir das beste Spiel von Island noch nicht gesehen haben", hatte Islands Trainer Heimir Hallgrimsson unter der Woche angekündigt. Passt auf, wir können sogar noch mehr als gegen England, sollte das heißen. Allein: Um das Versprechen einzulösen, war das Spiel schlicht zu früh entschieden.

Die 43. Minute: Einen von Giroud eroberten Ball legt Griezmann vor dem Strafraum für Payet ab, der schließt mit links ab, 3:0. Und das 4:0 folgte nur zwei Minuten später: Einen weiten Pass von Pogba aus der französischen Hälfte heraus lässt Giroud geschickt passieren - genau in den Lauf von Griezmann, der Halldorsson per Lupfer überlistet (45.). Der starke Giraud erzielt dann auch das 5:1, per Kopf, nach einer Freistoßflanke (59.).

France v Iceland - Quarter Final: UEFA Euro 2016

Antoine Griezmann krönte die spielerische Leichtigkeit der Franzosen mit dem schönsten Tor des Abends. Er lupfte den Ball locker über den Torhüter.

(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Die beiden einzigen mit gelb vorbelastetet Spieler konnte Deschamps früh auswechseln. Am Donnerstag geht es in Marseille gegen die Deutschen. In Bestbesetzung. Bloß: mit welcher Taktik?

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