Fußball-EM:Elf tapfere Isländer sind plötzlich enttäuscht

Fußball-EM: Sensation knapp verpasst: Der Isländer Eidur Gudjohnsen nach dem 1:1 gegen Ungarn.

Sensation knapp verpasst: Der Isländer Eidur Gudjohnsen nach dem 1:1 gegen Ungarn.

(Foto: AP)

Beim 1:1 gegen Ungarn verpasst Island die nächste Überraschung bei dieser Fußball-EM. Die Spieler sind "total niedergeschlagen".

Von Ulrich Hartmann, Marseille

Nach ihrem 1:1 zum Auftakt gegen Portugal hatten sich Islands EM-Debütanten noch wie im siebten Himmel gefühlt. Nach ihrem 1:1 am Samstagabend gegen Ungarn hingegen sprach die Enttäuschung aus ihren Augen. Das lag vor allem daran, dass sie diesmal 49 Minuten lang mit 1:0 geführt hatten und den Ausgleich erst in der 88. Minute und auch noch durch ein Eigentor von Birkir Mar Saevarsson hinnehmen mussten.

"Das Unentschieden fühlt sich wie eine Niederlage an", klagte der Stürmer Kolbeinn Sigthorsson. "Die Jungs sitzen total niedergeschlagen in der Kabine. Uns haben nur fünf Minuten gefehlt, das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht." Der Trainer Heimir Hallgrimsson nannte sich zwar stolz aufs Team, fand aber auch: "Wir hätten ein bisschen cleverer spielen können."

Elf tapfere Isländer

Die Ungarn hingegen haben mit nunmehr vier Punkten gute Chancen fürs Achtelfinale - auch wenn sie es im letzten Gruppenspiel noch mit Portugal zu tun bekommen. "Ich bin stolz darauf, wie die Mannschaft den Ball hat laufen lassen und wie sie sich überhaupt weiterentwickelt hat", sagte ihr deutscher Trainer Bernd Storck. "Das Tor fiel zwar spät und der Ausgleich wirkte dadurch etwas glücklich, aber wir haben uns nie hängen lassen und dieses Tor erzwungen - es war absolut verdient."

Elf tapfere Isländer gegen Cristiano Ronaldo - das war im ersten Spiel gegen Portugal eine isländische Herr-der-Ringe-Variation gewesen: elf Hobbits gegen den fiesen Zauberer Saruman. Doch diesmal bekamen sie es mit Ungarn zu tun, und die sind ja selbst so eine Art Hobbits im Kampf gegen die großen Fußball-Mächte. Das Duell der Unscheinbaren erfüllte seine Bestimmung in der ersten halben Stunde jedenfalls auf leidvolle Art. Unergiebige Ballzirkulation im Mittelfeld endete beiderseits am Strafraum, wo die Wege durch die Mitte verstellt und die Umwege über die Außen fürs technische Potenzial der Flankengeber offenbar zu anspruchsvoll waren.

In der 31. Minute hatte Islands Johann Gudmundsson die Chance zum 1:0, als er sich im ungarischen Strafraum gegen den Abwehrmann Tamas Kadar behauptete und danach leicht seitlich, aber allein vor dem EM-Altersrekordspieler und Torwart Gabor Kiraly stand. Erstmals überhaupt hätte er Island bei einer EM (im allerdings erst zweiten EM-Spiel) in Führung bringen können, doch er scheiterte kläglich. Oder aus der anderen Perspektive: Kiraly hielt prächtig.

Island verteidigt sein Tor wie eine Burg

Solche Szenen aber braucht es bisweilen, um in einem Spiel die Fesseln zu lösen. Nur drei Minuten später hatte der Bremer Laszlo Kleinheisler mit einem ziemlich knapp über das isländische Tor streichenden Schuss die erste gute Chance für die Ungarn.

Und dann durfte Gylfi Sigurdsson, der ehemalige Hoffenheimer, für Island doch die Geschichte der ersten Führung in einem EM-Spiel schreiben. Nach einer Ecke hatte Torwart Kiraly den Ball nicht fangen können und fallen lassen. Aron Gunnarsson wollte zum Ball, wurde von Kadar aber plump angegangen - und fiel theatralisch. Den umstrittenen, aber angemessenen Elfmeter verwandelte Sigurdsson in der 39. Minute unbeirrt zur 1:0-Pausenführung für die Isländer. Dabei hatten sie nur 33 Prozent Ballbesitz gehabt.

In der 88. fällt der hoch verdiente Ausgleich

Nun mussten die Ungarn, erstmals seit 30 Jahren bei einer EM dabei, vor den Augen von geschätzt 20 000 Landsleuten einem Rückstand hinterherlaufen, und die Isländer durften tun, was sie am besten können: ihr Tor verteidigen wie eine Burg. "Gegen diese Abwehr haben sich schon die Portugiesen die Zähne ausgebissen", sagte Trainer Storck später.

Die Isländer verzichteten fortan auf jede Art des Ballbesitzes, ließen die Ungarn rennen - und hatten auch ein bisschen das Glück, dass die Ungarn lange zu wenig aus ihrer Dominanz machten. Bei den Osteuropäern kam der Hannoveraner Adam Szalai, in der ersten Partie noch Startspieler und Torschütze, erst in der 84. Minute ins Spiel.

Es dauerte bis zur 88. Minute, ehe die Ungarn zum hoch verdienten Ausgleich kamen, sie benötigten dazu die Hilfe der Isländer. Der eingewechselte Nemanja Nikolic brachte einen scharfen Ball in den Fünfmeterraum, den Abwehrspieler Saevarsson beim Versuch zu retten über die eigene Linie drückte. Eine letzte Chance zum Siegtreffer bekamen die Isländer in der Nachspielzeit, doch ein 16-Meter-Freistoß von Sigurdsson landete in der Mauer, und der Nachschuss knapp neben dem Tor. "Immerhin bleiben wir ungeschlagen und können zuversichtlich sein", schloss Stürmer Sigthorsson, "jetzt wollen wir gegen Österreich gewinnen."

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