Fußball-EM:Ein Verschmähter köpfelt Frankreich weiter

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Vom Verschmähten zum Helden der Partie: Frankreichs Antoine Griezmann, Torschütze zum 1:0 gegen Albanien. (Foto: AFP)
  • Der Gastgeber muss gegen Albanien bis zur 90. Minute zittern - dann leitet Antoine Griezmann ein 2:0 ein. Frankreich steht damit schon im Achtelfinale.
  • Angreifer Griezmann hatte zunächst überraschend auf der Bank gesessen.
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Von Ulrich Hartmann, Marseille

Man darf die Marseillaise, das sei noch mal klargestellt, nicht mit der Bouillabaisse verwechseln. Die Bouillabaisse ist eine Marseiller Fischsuppe. Die Marseillaise wurde im 18. Jahrhundert von Soldaten aus Marseille beim Einzug in Paris gesungen und ist seither die französische Nationalhymne. Am Mittwochabend sangen die französischen Fußball-Nationalspieler zusammen mit 60 000 Fans die Marseillaise in Marseille. Danach gewannen sie ihr zweites Spiel bei der EM gegen Albanien. Marseille spielt eine bedeutende Rolle in der französischen Geschichte und nun auch bei der Europameisterschaft.

Durch einen 2:0 (0:0)-Sieg mit zwei ganz späten Toren haben sich die Franzosen als erstes Team den Einzug ins Achtelfinale gesichert. Durch mindestens ein Unentschieden am Sonntag in Lille gegen die Schweiz würden sie die Vorrunde als Gruppensieger beenden. Gelingt auch im Anschluss alles nach ihrem Geschmack, dann kehren sie zum Halbfinale nach Marseille zurück. Nationaltrainer Didier Deschamps wurde hier mit Olympique Marseille als Spieler und Trainer Meister und Champions-League-Sieger. Die Stadt und das 'Stade Vélodrome' bringen ihm offenbar Glück. Diesmal trafen der spät eingewechselte Antoine Griezmann in der 90. Minute sowie Dimitri Payet in der Nachspielzeit.

Deschamps hatte seine Andeutungen wahr gemacht und Griezmann sowie Paul Pogba nach durchwachsenen Leistungen beim Auftaktsieg gegen Rumänien auf die Bank gesetzt. Dadurch wurde aus dem 4-3-3 vom Eröffnungsspiel ein 4-2-3-1, Kingsley Coman, 20, vom FC Bayern München, besetzte den rechten Offensivflügel, Anthony Martial, ebenfalls 20, von Manchester United, den linken. Dimitri Payet, Schütze des siegbringenden Treffers gegen Rumänien, spielte dazwischen zentral.

Frankreich kontrolliert, Albanien lauert

Die von Krawallen zwischen Engländern und Russen vor wenigen Tagen erschütterte Stadt hatte am Nachmittag verbündete französische und albanische Fans erlebt und damit das, was eine EM ausmachen sollte. Mit den Verbrüderungen war es nach dem Anpfiff freilich vorbei. Die Franzosen übernahmen sogleich die Kontrolle. Obwohl die Albaner nach ihrer Auftaktniederlage gegen die Schweiz mindestens einen Punkt benötigten, war ihr Spiel nicht auf Dominanz ausgelegt. Sie suchten ihr Glück in Kontern. Nach 24 Minuten verpasste Mittelstürmer Armando Sadiku eine Hereingabe von Elseid Hysaj nur knapp.

Die Albaner lauerten den Gastgebern früh auf. Das erschwerte ihnen die Ballzirkulation, hätte ihnen aber auch Räume eröffnet, sofern sie hinter die Abwehr gelangt wären. Doch dafür war ihr Spiel zu statisch, zu unkreativ. Ein bisschen Gefahr ging allenfalls von Standards aus. Zwei Mal brachte Payet einen Freistoß in den Strafraum, jedoch ohne Erfolg.

Nach 35 Minuten stimmten die Zuschauer wieder die Marseillaise an. Die Hymne musste doch irgendwie helfen. Es war dann aber der Albaner Ledian Memushaj, der die Zuschauer mit einem knapp über das französische Tor geschossenen Freistoß in die Pause verabschiedete. Mit Pfiffen begleiteten die französischen Fans ihre Spieler vom Feld, empfingen sie eine Viertelstunde später aber wieder mit Sprechchören.

Pogba durfte mit Beginn der zweiten Halbzeit sein Glück für den enttäuschenden Martial versuchen. Payet rückte nach außen, Pogba war nun für die Ideen zuständig. Doch den nächsten Dämpfer gab es nach gerade mal sechs Minuten. Eine Flanke in den französischen Strafraum beförderten die um den Ball kämpfenden Memushaj und N'Golo Kanté gemeinsam an den Pfosten. Die Zuschauer jaulten auf. Eine Niederlage gegen Albanien hatten sie in ihrem Sommermärchen nicht auf der Rechnung.

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Die Albaner blieben unverkrampfter als die Franzosen, die mit ihrem Ballbesitz weiterhin wenig anfingen. Ihrem Bemühen um Chancenkreation folgten immer wieder albanische Konter. Das Spiel wurde schneller, hektischer, unkontrollierter. Französische Chancen ergaben sich eher zufällig nach hohen Bällen als durch cleveres Passspiel. Was zuvor gegen die Rumänen durch Payets Sonntagsschuss in der 89. Minute gut gegangen war, konnte ja auch noch ein zweites Mal gelingen.

Ecke um Ecke spielten die Gastgeber nun heraus - vergeblich. Eine Flanke von Coman köpfelte Olivier Giroud knapp daneben. Coman wurde ausgewechselt. Griezmann kam herein. In der 69. Minute stieg Giroud wieder zum Kopfball hoch - diesmal an den Pfosten. Albaniens Abwehr wackelte. Die Zeit lief herunter. Die Zuschauer fieberten. Die Luft war elektrisiert.

Giroud verließ das Feld. Das Publikum bejubelte die Hereinnahme von André-Pierre Gignac. Doch der späte Siegtreffer sollte diesmal Griezmann vorbehalten sein. Mit einem Kopfballtor in der 90. Minute wurde der zunächst Verschmähte zum Helden dieses Spiels. Payet versetzte das Publikum dann endgültig in Ekstase.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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