Fußball-EM:DFB-Elf leistet sich das erste 0:0

Fußball-EM: Thomas Müller gegen Polen: Nicht nur der Bayern-Angreifer blieb harmlos.

Thomas Müller gegen Polen: Nicht nur der Bayern-Angreifer blieb harmlos.

(Foto: AFP)

2:2? 3:3? 4:4? Nein, ausgerechnet Deutschland und Polen, die beiden torgefährlichsten Teams, treffen das Tor nicht. Der DFB-Elf fehlt die Präzision, Polen hat die besseren Chancen.

Von Claudio Catuogno

Wie geht ein EM-Spiel aus, in dem die beiden torgefährlichsten Mannschaften der Qualifikation aufeinandertreffen? 2:2? 3:3? 4:4? Im Fall des zweiten Gruppenspiels der Deutschen, am Donnerstag in Saint-Denis gegen Polen, lautete das Ergebnis: 0:0. Es war die erste torlose Partie des Turniers. Nicht eine Parade musste der deutsche Torhüter Manuel Neuer zeigen; sein Gegenüber Lukasz Fabianski wurde auch kaum geprüft. Fix qualifiziert fürs Achtelfinale ist damit noch keines der beiden Teams. Die Ausgangslage ist aber für beide weiter hervorragend, zumal die Ukraine als Tabellenletzter feststeht - und im neuen Modus sogar Gruppendritte weiterkommen. Die Enttäuschung war dennoch mit Händen zu greifen. Insbesondere Jérôme Boateng klagte energisch über die fehlende Kreativität im Aufbauspiel. Und Toni Kroos rechnete vor: "Wir haben zwei, drei klare Torchancen zu wenig gehabt." Wenn man zwei, drei klare Torchancen pro Spiel als Normalwert ansetzt, stimmt diese Rechnung.

Mit nur einer personellen Änderung im Vergleich zum 2:0 gegen die Ukraine hatte Bundestrainer Joachim Löw seine Mannschaft auf den Rasen des Stade de France geschickt: Shkodran Mustafi war trotz seines Premieren-Tores diesmal nur Ersatz, stattdessen nahm Mats Hummels seinen Stammplatz in der Innenverteidigung wieder ein. Das hatte sich zwar angedeutet - war aber dennoch bemerkenswert, nur 26 Tage nach seinem Faserriss in der Wade.

"Ich fühle mich sicher", hatte Löw bekräftigt

Eine kleine Überraschung also bei der Aufstellung des Bundestrainers - eine große Überraschung bei seiner Ausstattung. Die war, zumindest in den sozialen Netzwerken, zuletzt ja fast das größere Thema gewesen als der 2:0-Erfolg zum Auftakt. Würde Löw der Weltöffentlichkeit wieder sein schlafanzugartiges T-Shirt vorführen? Würde er einen Keuschheitsgürtel anlegen, um Übersprungshandlungen aller Art vorzubeugen? "Ich werde ein hellgraues statt ein dunkelgraues T-Shirt tragen," so viel hatte Löw vorab verraten - aber das war eine Finte! Löw trug einen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt. Klagen über jedwede Handbewegungen waren bei Redaktionsschluss auch nicht bekannt.

Es gibt ja weiß Gott wichtigere Themen. Zumal an diesem Ort. Die Rückkehr ins Stade de France war für alle, die in der Terrornacht des 13. November 2015 dort beim Freundschaftsspiel Frankreich - Deutschland dabei waren, mit Erinnerungen verbunden. Drei Selbstmordattentäter hatten sich vor dem Stadion in die Luft gesprengt, die Spieler hatten die Nacht in den Katakomben verbracht. Und selbst wenn das bescheidene Einschränkungen waren im Vergleich zu den Massakern in Paris - persönliche Angst ist ja keine Frage davon, ob andere noch Schlimmeres erleben.

Doch auch dieses Thema schienen die Deutschen spätestens mit dem Anpfiff abgestreift zu haben. "Ich fühle mich sicher", hatte Löw bekräftigt, die befragten Spieler hatten sich ähnlich geäußert. Zu besprechen waren die banalen Fußball-Gefahren. Wie verhindert man einen Verlust an Spielkontrolle wie am Ende der ersten Halbzeit gegen die Ukraine? Wie beraubt man die für ihre Konter gefürchteten Polen ihrer Stärke, für die ja vor allem ein Name steht: der des FC-Bayern-Stürmers Robert Lewandowski?

"Sie machen das noch besser als die Ukraine, weil sie variable und schnelle Spieler haben, die mit hohem Tempo in die Tiefe gehen", hatte Löw seine Männer gewarnt. Und schon nach zweieinhalb Minuten war klar: Sami Khedira hatte offenbar besonders gut zugehört. Zwei gelbwürdige Fouls hatte er zu diesem frühen Zeitpunkt schon angesammelt - es blieb bei einer Verwarnung. Nach 34 Minuten sah auch Mesut Özil gelb, ebenfalls wegen eines taktischen Fouls. Umsicht in der Rückwärtsbewegung würde einer der Schlüssel sein, das deutete sich früh an.

Am Ende wäre dann auch präzisere Vorwärtsbewegung schön gewesen.

Müller in der Sturmspitze

Lewandowski trat in der 15. Minute das erste Mal in Aktion: Auf der rechten Außenbahn ließ er Hummels im Laufduell stehen - Boateng fing den Ball ab, ehe es gefährlich wurde. Hummels blockte wiederum den ersten Schussversuch von Lewandowskis Sturm-Partner Arkadiusz Milik (22.). Noch nie hat Polen gegen Deutschland bei einem großen Turnier ein Tor erzielt - dabei blieb es weiterhin.

Und die Deutschen? Mario Götze per Kopf, bedient von Julian Draxler - drüber (4.). Dann Toni Kroos mit einem Schussversuch im Schlittern, nach Ballgewinn von Thomas Müller - vorbei (16.). Sehr viel mehr war nicht; vor einem Pfostentreffer von Götze stand Müller, der den Ball hatte abtropfen lassen, im Abseits (38.).

Die besseren Chancen hatte Polen

Allerdings zogen sich die Polen extrem weit zurück, Geduld war gefragt, gutes Passspiel sollte die Lösung bringen, und erkennbar war das Bemühen, zunächst einmal die eigene Defensive zu ordnen. Dennoch: Löw schimpfte, wobei er für jedermann gut sichtbar mit den Händen durch die Luft fuchtelte.

In der zweiten Halbzeit postierte sich Müller zentral in der Sturmspitze, Götze rückte zunächst nach rechts - und wurde dann gegen André Schürrle ausgetauscht (66.). Kurz darauf kam Mario Gomez, Torschützenkönig mit Besiktas Istanbul, für Draxler, Müller rückte zurück nach rechts - und in der neuen Grundordnung verfügten nun auch die Deutschen über einen echten Mittelstürmer, wenn auch nur über einen Süper-Lig-Lewandowski.

Die besseren Gelegenheiten hatte allerdings Polen - doch so präzise die Elf ihre Konter bis zum deutschen Strafraum entfaltete, entweder Milik verfehlte spektakulär (46.); oder Milik rutschte weg (68.), und Lewandowski kam gar nicht zum Abschluss. Ebenso wenig wie Gomez: Die Deutschen hatten zwar nur einen Mittelstürmer, versorgten ihn aber ihn nicht Mittelstürmerflanken. Und Löw resümierte: "Grundsätzlich bin ich nicht zufrieden. Aber wir müssen mit dem einen Punkt nun mal leben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: