Fußball: Dynamo Dresden:Im Namen des Schornsteinfegers

In Deutschland gibt es viele schöne Sportstätten, die unschön heißen. Nun setzt Dresden mit seinem "Glücksgas"-Stadion noch eins drauf. Das schlechte Gewissen und die Aussicht auf ein gutes Geschäft halten sich dabei die Waage.

Boris Herrmann, Dresden

Ulrike Harbig hat ihren Vater Rudolf nie gesehen, sie kam 1943 in Dresden zur Welt, er starb 1944 an der Ostfront. Sie kennt ihn nur als Stadionnamen. "Und doch", sagt Harbig mit der Stimme einer pensionierten Deutschlehrerin, "glaube ich, diesen Rudolf Harbig besser zu verstehen als viele andere Menschen." Die Pokale, Ehrennadeln und Fotos, die sich über die Jahrzehnte in ihrem Wohnzimmer angesammelt haben, haben ihr eben doch vieles über den Vater erzählt, über seine drei Leichtathletik-Weltrekorde, über seinen Sportsgeist, über seinen Humor.

Eroeffnung Rudolf-Harbig-Stadion

Als die Dresdner Arena noch Rudolf-Harbig-Stadion hieß: Zur Wiedereröffnung im September 2009 kamen 32.000 Zuschauer.

(Foto: ddp)

Womöglich, glaubt Ulrike Harbig, hätte er lächelnd abgewinkt, wenn er erfahren hätte, dass sie in seiner Heimatstadt zwei Mal ein Stadion nach ihm benennen, nur, um es zwei Mal wieder umzutaufen. Vermutlich hätte er gesagt: "Sollen sie mich doch abhängen."

1972 wurde Harbigs Name das erste Mal von der Hülle des Dresdner Fußballstadions entfernt, da ein Bronzemedaillengewinner der Hitler-Spiele von 1936 und gefallener Wehrmachtssoldat nicht so recht in das Idealbild des DDR-Sports passte. Wenige Wochen nachdem seine Tochter Ulrike 1966 aus der DDR geflüchtet war, wurde es auch schon einmal in Erwägung gezogen. Im Nachwende-Dresden kam Harbig wieder zu alten Ehren. Jetzt wird sein Schriftzug wieder abgeschraubt.

In den Sechzigern verbreitete er zu wenig realsozialistische Grundwerte, heute fehlt ihm der kapitalistische Mehrwert. In der Rückrunde kickt der Drittligist Dynamo Dresden unter den Insignien eines bayerischen Energieversorgers - im Glücksgas-Stadion.

Bevor der Mittelstreckenläufer Rudolf Harbig in den Krieg zog, arbeitete er bei den Dresdener Stadtwerken als Gasableser. Wenn man die Sache wohlwollend betrachte, sagt seine Tochter, dann habe der neue Name sogar eine gewisse Kontinuität. Es ist allerdings so, dass die Sache keineswegs nur wohlwollend betrachtet wird. Viele der sehr traditionsbewussten Fans der SG Dynamo Dresden sind entsetzt. Selbst der Stadionmanager Hans-Jörg Otto sagt: "Wir brauchen nicht darüber reden, dass der Name ein bisschen unglücklich ist."

Ein bisschen unglücklich ist er alleine deshalb, weil es in Deutschland schon genügend schöne Sportstätten mit unschönen Namen gibt: die Nordfrost-Arena, den Signal Iduna Park, das easyCredit-Stadion, die O2-World. Noch unglücklicher ist er jedoch, weil es in diesem Fall nicht nur um verärgerte Traditionalisten und aufdringliche Werbebotschaften in städtischen Geldlücken geht. Es geht auch um jenes seltsame Gefühl, das viele Menschen befällt, wenn sie das Wort "Glücksgas" hören.

Gasherd, Erdgas, Gasableser, Gasdurchlauferhitzer - man kann die drei Buchstaben G, A, S in unzählige Substantive einbauen, ohne dass Unbehagen aufkäme. Je öfter man sich aber den neuen Stadionnamen von Dresden aufsagt, umso klarer wird: Glück und Gas sind zwei Wörter, die in Deutschland nicht zusammenpassen. "Ich denke nun mal ans Dritte Reich, wenn ich diesen Namen höre", sagt Ulrike Harbig.

Bleibt die Frage, weshalb sich eine Stadt mit dieser Geschichte und dieser Lage überhaupt auf ein derartiges Assoziations-Gestrüpp einlässt, wenn es um die Benennung einer ihrer größten und repräsentativsten Immobilien geht? Und weshalb sich ein Klub wie Dynamo Dresden, der sich in den vergangenen Jahren redlich aus seiner rechtslastigen Ecke herausgekämpft hat, diese Debatte antut?

Nur der Schornsteinfeger

Sie sagen, sie hätten es nicht gewollt. Und vor allem: Sie hätten es nicht verhindern können. Die Geschichte der Umbenennung des Rudolf-Harbig-Stadions ist auch ein Lehrbeispiel dafür, auf welch verschlungenen Pfaden öffentlicher Raum heutzutage zu Geld gemacht wird. Der Verein Dynamo hatte tatsächlich kein Mitspracherecht, weil er nur Mieter in einem Stadion ist, das der Landeshauptstadt Dresden gehört.

Die Stadt wiederum hat es für 32 Jahre an einen externen Betreiber mit Sitz in Düsseldorf übertragen. Diese Projektgesellschaft lässt ihrerseits die Namensrechte an dem Gebäude von der Sportfive GmbH aus Hamburg vermarkten. Auf diese Weise ist ein wilder Interessensknoten entstanden, der im deutschen Sportbusiness seinesgleichen sucht.

Einig sind sich alle Parteien nur darin, dass der Unterhalt dieser modernen Arena, in der auch Spiele der Frauen-WM 2011 ausgetragen werden, an allen Ecken und Enden tiefe Finanzlöcher reißt. Löcher, die ein aufstrebendes Unternehmen wie Glücksgas liebend gerne mit 500.000 Euro stopft.

Die Vermarkter von Sportfive haben ihren Teil der Arbeit damit erledigt. Und die Dresdner müssen jetzt eben schauen, wie sie mit ihrem neuen Taufpaten zurechtkommen. Ein schlechtes Gewissen und die Aussicht auf ein gutes Geschäft halten sich dabei die Waage. Der Stadtrat hätte die Möglichkeit gehabt, ein Veto gegen die Namensgebung einzulegen. Er hat sie nicht wahrgenommen. Der Stadionmanager Otto kann das nachvollziehen: "Ich kann einem Sponsor nicht sagen, ich nehme dein Geld, aber dein Name gefällt mir nicht."

Thomas Goldstein mag nicht verstehen, was an dem Namen seiner Firma so schlimm sein soll. "Wenn ich das mit dem Dritten Reich höre, dreht es mir regelmäßig den Magen um", sagt er. Goldstein ist ein Bezirksschornsteinfeger aus München, ein einfacher Handwerksmeister, wie er sagt. Er beteuert, sich nichts Böses gedacht zu haben, als er vor gut einem Jahr die Glücksgas GmbH gründete. Die Kaminkehrerei sei stark im Umbruch, da müsse man sich was einfallen lassen.

Goldstein hatte den Einfall, dass ein Schornsteinfeger, wenn er schon bei den Kunden in der Wohnung ist, doch auch gleich einen neuen Gasvertrag anbieten könne. Weil Kaminfeger gemeinhin mit Glück assoziiert werden, hat er diesen Einfall Glücksgas genannt. Künftig wird er in großen Buchstaben die Dresdner Nacht erleuchten.

Wem es bei diesem Anblick den Magen umdreht, der kann sich immerhin sagen: Es war doch nur der Schornsteinfeger.

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